Während Jahrzehnten war er oft in gefährlicher Mission unterwegs gewesen: in Afghanistan, in Algerien, in Bosnien, im Irak, im Libanon, in Pakistan, in den Palästinensergebieten. Doch mit einer Ausnahme war ihm nie etwas passiert. In Afghanistan versuchten ihn Flüchtlinge im Dezember 2001 an der Grenze zu Pakistan zu steinigen, eine Attacke, der er nur knapp lebend entkam. «Man kann sich der Wahrheit nur annähern, wenn man dort ist», sagt er im Film «This Is Not a Movie» (2019) des Kanadiers Yung Chang, der sein langjähriges Wirken als Korrespondent dokumentiert.
«Die Leute fürchten sich vor Leichen, weil sie Angst vor dem Tod haben», sagte Robert Fisk 2008 im «Observer», was seine erschütternden Depeschen über Blutvergiessen und Massaker betraf. «Ich bin sehr vorsichtig. Ich will noch lange leben. Ich fürchte mich aber nicht vor dem Tod. Ich bin einer der wenigen, die wissen, dass sie sterben werden.» Ende vergangener Woche ist Robert Fisk im St. Vincent’s Spital in Dublin im Alter von 74 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.
Ein kontroverses Credo
Sein journalistisches Credo hatte er 2010 in einer Rede in der First Congregational Church in Berkley (Kalifornien) erläutert: «Ich glaube, dass es die Pflicht eines Auslandskorrespondenten ist, sich neutral und ohne Vorurteile auf die Seite der Opfer zu stellen, wer immer sie sein mögen.» Das Bekenntnis blieb nicht ohne Widerspruch, vor allem als er während des Bürgerkriegs in Syrien von der Seite der Regierung berichtete und Kritiker ihm vorwarfen, er würde Bashar al-Assad verharmlosen.
Robert Fisk sah das anders. Ihm ging es nicht darum, die Gräueltaten des Regimes in Damaskus zu beschönigen. Er wollte aufzeigen, dass sich Assads Gegner – die Free Syrian Army (FSA), die Nusra-Front und ISIS – nicht von hehren Motiven wie dem Kampf für Freiheit oder Demokratie leiten liessen, was immer auch Medien über den syrischen Widerstand berichten mochten. Er wusste um das Diktum des kalifornischen US-Senators Hiram Johnson, wonach die Wahrheit das erste Opfer ist, wenn der Krieg kommt.
Ein skeptischer Blick
Entsprechend skeptisch war Robert Fisk auch gegenüber Berichten von Bürgerjournalisten aus dem Kriegsgebiet. Nicht, dass er ihnen misstraute. Er befürchtete aber, aus den Augenzeugenberichten nur die halbe Wahrheit zu erfahren. Er wollte das Geschehen mit eigenen Augen beobachten, was aber in Syrien auf Seiten der Rebellen viel zu gefährlich wurde, nachdem ISIS begonnen hatte, westliche Journalisten zu enthaupten. Wenig hielt er auch vom Begriff «Fake News», der ihm zufolge missverständlich war. Er bevorzugte dafür «erfundene Geschichten».
Übel nahmen ihm Kritiker nach dem Zwischenfall in Afghanistan den Umstand, dass er Verständnis für seine Angreifer geäussert hatte: «Ihre Brutalität war allein das Ergebnis von anderen, von uns – von uns, die wir sie (die Afghanen) im Kampf gegen die Russen bewaffnet hatten, ihr Leid ignorierten und uns über ihren Bürgerkrieg lustig machten, und sie dann (nach 9/11) erneut bewaffneten und für den ein paar Meilen entfernten ‘War of Civilisation’ bezahlten und dann ihre Häuser bombardierten, ihre Familien auseinanderrissen und sie ‘Nebenschäden’ nannten.» Er selbst hätte, schrieb er, Robert Fisk oder jeden anderen Westler attackiert, den er hätten finden können.
Eine zornige Stimme
Robert Fisk, kein Zweifel, konnte in seinen Berichten aggressiv, verletzend und zornig werden. Was ihn weder unter Kollegen noch unter Regierenden in Washington, London oder Jerusalem besonders populär machte. Er verachtete die «Hotelkrieger», jene Journalisten, die sich in Bagdad nach der amerikanischen Invasion im Gegensatz zu ihm nicht mehr aus ihren streng bewachten Büros auf die Strasse trauten und sich auf die offiziellen Verlautbarungen der US-Armee zum Kriegsgeschehen verlassen mussten.
In seinem 1’283-seitigen Werk «The Grat War of Civilisation», dem umfangreichsten seiner fünf Bücher, kritisiert Robert Fisk US-Kollegen, was ihre Berichterstattung über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern betrifft: «Wenn die amerikanischen Journalisten, so dachte ich mir, die so unterwürfig aus dem Nahen Osten berichten – so ängstlich, weil sie sich vor israelischer Kritik fürchten, dass sie die Morde Israels als ‘gezielte Angriffe’ und illegale Siedlungen als ‘jüdische Nachbarschaften’ bezeichnen, nur Amira Hass zuhören könnten.»
Ein unbestechlicher Augenzeuge
Amira Hass, die 64-jährige Tochter von Holocaust-Überlebenden, berichtet als Kolumnistin für die linksliberale israelische Tageszeitung «Haaretz» über Westjordanien und aus Gaza, wo sie seit fast 30 Jahren auch lebt. Fisk hat sie wiederholt zitiert: «Es gibt das Missverständnis, dass Journalisten objektiv sein können (…) In Wirklichkeit geht es im Journalismus darum, die Mächtigen und die Zentren der Macht zu überwachen.»
Robert Fisk, noch als Korrespondent» der «Times» in London, war 1982 während des Bürgerkriegs im Libanon einer der ersten, der nach dem Massaker durch christlichen Milizen die beiden Palästinenserlager Sabra und Schatila in Beirut betrat, wo seiner Schätzung nach über 2’000 Menschen «abgeschlachtet» worden waren, während die israelische Armee passiv zusah. «Ich hatte noch nie so viele Leichen gesehen. Ich habe bei 100 zu zählen aufgehört. Ich stieg über Leichen hinweg. Ich erinnere mich, gedacht zu haben, dass diese Menschen, falls sie Seelen hätten, gewollt hätten, dass ich dort war», erinnerte er sich später.
Ein akribischer Rechercheur
Aufsehen erregte Robert Fisk Jahre später, als er 1996 nach der Invasion Israels im Libanon berichtete, die israelische Armee habe entgegen ihren Beteuerungen sehr wohl gewusst, dass sich auf dem Stützpunkt der Uno-Friedenstruppen in Kana im Süden des Landes geflüchtete Zivilisten aufhielten, als die Invasoren, wie sie sagten, die Basis als Reaktion auf Mörserfeuer mit Artillerie beschossen. Über 100 Menschen starben und noch mehr wurden verletzt.
Fisk konnte beweisen, dass die israelische Armee vor dem Artillerieangriff eine Drohne über dem Stützpunkt hatte kreisen lassen. Das hinderte prominente Kritiker wie den Harvard-Rechtsprofessor und Trump-Anwalt Alan M. Dershowitz nicht daran, den Korrespondenten als «anti-semitisch» zu bezeichnen, eine Einschätzung, die Fisk unter Verweis auf Fakten stets entschieden dementierte.
Ein engagierter Historiker
Robert Fisk wusste schon früh, was er werden wollte. Als Zwölfjähriger hatte er Alfred Hitchcocks Film «Foreign Correspondent» (1940) gesehen. Die Geschichte des amerikanischen Reporters Johnny Jones, gespielt von Joel McCrea, der in Europa in die Wirrnisse vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gerät, liess ihn nicht mehr los. Der Sohn eines Veteranen des Ersten Weltkriegs ging an eine Privatschule, studierte Linguistik in Lancaster und promovierte 1983 an der University of Dublin in politischer Wissenschaft mit einer Arbeit über Irlands Neutralität während des Zweiten Weltkriegs.
Die Faszination für Geschichte hatte Robert Fisk von seinem Vater geerbt, mit dem er als Junge die Schlachtfelder an der Somme, in Verdun und in Ypres besuchte. Die Affinität zur Historie schlug sich später auch in seinen Depeschen nieder, sei es ab 1972 für die «Times» aus Nordirland und dem Nahen Osten sowie ab 1989 für den Londoner «Independent» aus Beirut, Nordafrika und dem Balkan.
Ein Gegner Rupert Murdochs
Er wurde nicht müde zu betonen, wie viele zeitgenössische Konflikte ihren Ursprung in der Geschichte hatten: «Nach dem Sieg der Alliierten 1918 (…) teilten die Sieger die Länder ihrer früheren Feinde auf. Innert nur 17 Monaten kreierten sie die Grenzen Nordirlands, Jugoslawiens und fast des gesamten Nahen Ostens. Und ich habe meine ganze Laufbahn – in Belfast und Sarajevo, in Beirut und in Bagdad – damit verbracht, zu beobachten, wie Menschen innerhalb dieser Grenzen verbrannten.»
Ein Nahost-Korrespondent, sagte er, sei immer auch ein Historiker, «denn in der Region steht die Geschichte nie still». So berichtete er für die «Times» 1979 über die Revolution im Iran und später über den achtjährigen Krieg zwischen der Islamischen Republik unter Ayatollah Khomeini und dem Irak Saddam Husseins. 1989 verliess Robert Fisk das Blatt, weil es unter dem neuen Besitzer Rupert Murdoch für seinen Geschmack zunehmend «zahm, pro-Tory, pro-Israel und bar jeglicher redaktioneller Unabhängigkeit» geworden war.
Ein zensierter Berichterstatter
Zum Bruch mit der «Times» kam es, nachdem die Redaktion in London im Juli 1988 seinen Bericht über den Abschuss eines Airbus der Iran Air über dem Persischen Golf durch den Kreuzer USS Vincennes zensiert hatte. Die US-Navy dementierte, dass sie den A300 mit 275 Zivilisten an Bord fahrlässig abgeschossen hatte und zirkulierte Nachrichtenlecks, wonach Kapitän William C. Rogers III mit gutem Grund habe annehmen können, Pilot Mohsen Rezaian wolle sich mit seinem Jet auf das amerikanische Kriegsschiff stürzen.
Die «Times» strich alle Hinweise auf ein mögliches Verschulden der USA aus dem Bericht ihres Korrespondenten und suggerierte in einem Leitartikel, der Captain des Airbus sei in der Tat ein Selbstmordattentäter gewesen. Eine offizielle Untersuchung der amerikanischen Marine entdeckte jedoch drei interne Ursachen für den Abschuss des iranischen Passagierflugzeugs. Robert Fisk hatte Recht. Stossend trotzdem am Ende, dass Kapitän Rogers von Präsident George W. H. Bush 1990 einen Verdienstorden „für ausserordentliche Pflichterfüllung im Einsatz» für sein Kommando an Bord der USS Vincennes erhielt.
Ein Interviewer Bin Ladens
Zu Robert Fisks exklusivsten Berichten gehörten seine drei Interviews in den 1990er-Jahren mit Osama bin Laden, dem Kopf hinter den Attentaten vom 11. September 2001 in den USA. Ein erstes Mal sprach er mit dem Saudi im Sudan und danach in Höhlen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. «Anti-sowjetischer Krieger schickt seine Armee auf die Strasse zum Frieden», schrieb Fisk 1993: «Mit seinen hohen Backenknochen, eng sitzenden Augen und einer langen, brauen Robe sieht Mr. Bin Laden ganz wie ein Bergkrieger aus einer Mudschaheddin-Legende aus.»
Doch Osama Bin Laden gelang es nicht, Robert Fisk dazu zu bewegen, zum Islam zu konvertieren. «Mr. Robert, sagte er, «einer unserer Brüder hatte einen Traum (…) dass Sie eine spirituelle Person sind (…), was heisst, dass sie ein wahrer Muslim sind.» Fisk antwortete: «Scheich Osama, ich bin kein Muslim (…) Ich bin ein Journalist, dessen Aufgabe es ist, die Wahrheit zu sagen.» Im letzten Interview sagte der Saudi am 22. März 1997 ominös, er erbitte Gottes Hilfe, «um Amerika in einen Schatten seiner selbst zu verwandeln».
Ein Beobachter ohne Illusionen
In der Folge warfen Kritiker Robert Fisk vor, für Osama bin Laden heimlich Sympathien gehegt zu haben, was der Korrespondent vehement dementierte. Er verurteilte die Attentate von 9/11 und nannte sie «ein hinterhältiges Verbrechen gegen die Menschheit».
Gleichzeig verurteilte er die Reaktion der USA auf die Anschläge in New York und Washington DC und forderte einen ehrlicheren Diskurs über die amerikanische Nahost-Politik. Diese, schloss er, sei bisher umgangen worden sei, «weil ein eindringlicherer Blick auf den Nahen Osten verstörende Fragen über die Region, über die westliche Politik in diesen leidgeprüften Ländern und über Amerikas Verhältnis zu Israel aufgeworfen hätte.» Ein Kuriosum, dass Osama bin Laden in einer seiner Schriften dem Weissen Haus empfahl, zu lesen, was «Mr. Robert» über die Region schrieb. Den Koran erwähnte der Saudi nicht.
«Der Nahe Osten ist wie ein grosser Roman», sagt Robert Fisk in «This Is Not a Movie»: «Du liest bis Mitternacht und sagst dir, nur noch das nächste Kapitel. Es ist eine menschliche Tragödie. Ich kann mich nicht losreissen zu schauen, was als Nächstes geschieht.» Er hätte aus Irland, wo er in der Nähe von Dublin ein Haus besass, demnächst wieder in sein geliebtes Beirut zurückkehren wollen, wo er seit 1986 an der Corniche in einer Wohnung mit Blick aufs Mittelmeer wohnte und die bewegte Geschichte der Hauptstadt und des Libanon aus nächster Nähe verfolgte. Soweit kam es nicht mehr. Robert Fisks eindringliche Stimme ist verstummt und viele Leser im Nahen Osten, denen er in seinen engagierten Berichten aus dem Herzen sprach, werden sie vermissen. Obwohl er selbst keine Illusionen hegte, was seine Tätigkeit betraf: «Vor allem fürchte ich, dass das, was wir schreiben, nicht den geringsten Unterschied ausmacht.»
Quellen: The Independent, The Irish Times, The Guardian, BBC, Al Jazeera, The New York Times, The Washington Post, Wikipedia, YouTube.