Einen sonnigeren Staatsbesuch konnte man sich nicht wünschen, gerade in diesen Zeiten politischer Trübsal. Was sahen wir anstelle der Standarten auf den Limousinen, den steifen Ehrengarden und dem minutenlangen Händeschütteln? Drei Kinder, die in Pijamas über Tempelstufen hüpften, die Mutter in wehenden Gewändern mit einem vollkehligen Lachen, der Vater barfuss und nachsichtig lächelnd.
Selbst die protokollarische Foto-Op vor dem Taj Mahal – was zeigte sie anstelle des obligaten händchenhaltenden Präsidenten-Paars? Eine humorvolle Persiflage des Aktes: Mutter und Kinder mit gespieltem Ernst auf dem Bänklein, der Vater, den Rücken zur Kamera, als Regisseur des Aktes. Seit dem Bild von Prinzessin Diana, die mutterseelenallein darauf sass, das weisse Monument der Liebe hinter ihr, hatte nie mehr ein Besucher die Schablone so pointiert herausgefordert.
Instagram-Diplomatie
Wenn es um die Auskleidung dieser Instagram-Diplomatie ging, war die fünfköpfige Trudeau-Familie auf der Höhe des Zeitgeschmacks. Michelle Obama hatte damit begonnen, als sie Kleider von Mode-Designern aus dem besuchten Land trug. Die Trudeaus liessen gleich die ganze Familie von der rustikal-eleganten Bombay-Designerin Anita Dongre ausstatten.
Für jeden Anlass gab es das eigene Thema mit Variationen – Taj, Gandhi-Ashram, der Goldene Tempel der Sikhs in Amritsar, Tee bei Shahrukh Khan etc. Bereits Kate Middleton und die belgische Königin hatten mit Dongres Outfits für Schlagzeilen gesorgt, was sonst nur ein dürres Communiqué wert gewesen wäre.
Um diesen Familienausflug – pardon: Staatsbesuch – auch richtig geniessen zu können, wollte die kanadische Seite den offiziellen Empfang in Delhi erst fünf Tage nach der Ankunft stattfinden lassen. Was bedeutete, dass Premierminister Narendra Modi erst letzten Freitag den freundlichen Onkel spielen durfte, der die Baby-Backen des jüngsten Trudeaus tätschelte.
Plötzlich dunkle Wolken
Doch plötzlich war niemand mehr an diesem Klaps interessiert. Stattdessen zoomten alle Medien-Objektive auf die Körpersprache Modis bei der Begrüssung von Trudeau Senior. Würde er ihn umarmen? Oder würde er es bei einem geschäftsmässigen Handschlag belassen?
Was war geschehen? Schmollte Modi etwa, weil die Trudeaus ihn nicht auf den Ausflug durch Indien mitgenommen hatten? Nein, es waren die politischen Ziehkinder, die dem Landesvater einen Streich spielten. Sie waren schuld daran, dass sich während des fünftägigen Picknicks immer dunklere Wolken über den Häuptern der lustigen First Family zusammenzogen.
Bereits das Tüchlein, das sich Trudeau in Amritsar artig über den Kopf legte, war nicht mehr eine dieser vielen Multikulti-Gesten, sondern entwickelte eine geradezu ominöse Bedeutung. Kein Wunder, denn ausgerechnet der kulturelle Eckstein indo-kanadischer Brüderlichkeit – die grosse Diaspora kanadischer Sikhs – drohte zum diplomatischen Mühlstein zu werden.
Radikalisierte Sikhs
Die Sikhs in Kanada sind eine Erfolgsstory der Migration. Aus kolonialen Arbeitssklaven, die aus dem Panjab in den kanadischen Eisenbahnbau verschifft worden waren, ist eine Mittelklasse-Elite geworden. Deren politisches Gewicht ist weit grösser, als ihre Zahl – eine halbe Million – dies vermuten liesse. Allein im Kabinett Trudeaus sind vier Panjabis vertreten, zwei davon sind Sikhs. Er habe mehr Panjabis in seiner Regierung als Narendra Modi in der seinen, spasste Trudeau.
Doch nicht alle Sikhs stammen von Eisenbahn-Arbeitern ab. Als in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre der Streit um ein unabhängiges Khalistan im Panjab Terror und Gegenterror entfesselte, flüchteten viele radikale Sikhs nach Kanada.
In Indien selber vertrieb die Abscheu vor der rohen Gewalt auf beiden Seiten den meisten Panjabis die Lust auf ein eigenes Staatswesen. Die Jungpartei Aam Admi bekam dies bei der letztjährigen Provinzwahl zu spüren. Sie wollte den etablierten Spielern mit dem Khalistan-Slogan Stimmen und Mandate entwinden – und fiel dabei prompt auf die Nase.
Derweil blühte im liberalen Kanada die Idee mit dem attraktiven Lockruf des „Selbstbestimmungsrechts“ wieder auf. Eine Reihe von Sikh-Extremisten, in Indien mit Mordklagen zur Verhaftung ausgeschrieben, bauten namentlich in den westlichen Provinzen eine Politkarriere mit Krawatte und weissem Hemd auf. In Indien verbotene Organisationen wie Babbar Khalsa – mit zahlreichen politischen Morden auf dem Gewissen – firmierten dort als NGOs.
Diplomatische Stolpersteine
In Indien macht sie dies nicht zur Persona grata. Als im letzten Frühjahr der soeben gekürte kanadische Verteidigungsminister Harjat Singh Sajjan Indien und den Panjab besuchte, wurde er vom Regierungschef der Provinz vor der Tür stehen gelassen. Sajjan pflege Verbindungen mit den Khalistanis, lautete die Begründung für die Terminverweigerung.
Dasselbe Geschick drohte nun sogar Justin Trudeau. Er werde Trudeau erst die Hände schütteln, liess Chefminister Amarinder Singh – ein altes Schlachtross der Kongresspartei – verlauten, wenn die beiden Sikh-Minister in der Regierung von Ottawa dem Separatismus eine klare Absage erteilten. Und diese traf ein. Noch bevor Trudeau den Goldenen Tempel besuchte traf er sich mit Singh. Anschliessend begnügte er sich statt des instagrammatischen Turbans auf dem Kopf mit einem ... Taschentuch.
Auch von mitreisenden Sikh-Mitbürgern wurde Trudeaus Sunnyboy-Aura auf die Probe gestellt. Bei einem Empfang für die Besucher aus Übersee in Bombay schob sich ein Kanadier neben die First Lady und liess sich mit ihr ablichten. Es war, einmal mehr, ein publizitätswirksames Bildchen: Sophie Grégoire im indischen Kleid neben dem Inder im westlichen Geschäftsanzug.
Doch die Sozialen Medien haben auch ihre gefährliche Seite. Unter den hunderttausenden Augenpaaren finden sich immer einige, die wie Röntgenstrahlen wirken. Es dauerte keine Stunde, und schon war der freundliche Brillenträger entlarvt. Es war Jaspal Atwal, ehemaliges Mitglied der Sikh Youth Federation, die selbst in Kanada als Terrororganisation verboten ist. Atwal war in Kanada zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich 1986 auf dem Vancouver Island am Mordversuch gegen einen Minister der Panjab-Regierung beteiligt hatte.
Atwal war wegen guter Führung frühzeitig entlassen worden. Er gehörte nicht der Trudeau-Delegation an, hatte aber von der indischen Botschaft in Ottawa ein Touristenvisum erhalten. Einmal in seiner alten Heimat, ergatterte er sich nicht nur eine Einladung in Bombay, sondern auch für einen Parallel-Anlass der kanadischen Botschaft in Delhi einen Tag später. Dank dem medialen Outing wurde diese dann hastig zurückgezogen. Die zweite Foto-Op für Atwal, diesmal vielleicht mit einem turbanisierten Premierminister, konnte gerade noch verhindert werden.
Doch noch eine Bären-Umarmung
So konnte sich die First Family am Freitag vollzählig wieder mit ihrem sonnigen Gesicht zeigen, auch wenn nur noch die Kinder in indischer Freizeitkleidung dabei waren. Und Premierminister Modi konnte seine Bären-Umarmung anbringen, bevor die bilateralen Gespräche allen Ernstes begannen.
Modi nutzte dann die abschliessende gemeinsame Pressekonferenz, um Klartext zu reden. „Wer separatistische Trennlinien errichten will, wer die Souveränität, Einheit und Integrität unseres Landes in Frage stellt, wird auf keine Toleranz zählen können.“ Im gemeinsamen Communiqué wird unter dem Thema der gemeinsamen Bekämpfung von Terror-Organisationen explizit auch die Babbar Khalsa aufgezählt.
In seiner kurzen Rede sagte Modi, mit Trudeau als Adressaten, auch dies: „Sie haben während Ihres Besuchs die Vielfalt Indiens kennengelernt. Terror und Extremismus sind eine Gefahr für pluralistische Staaten wie Indien und Kanada. Jene, die religiöse Gefühle missbrauchen, um unsere Gesellschaften zu spalten, sollten bei uns keinen Platz finden.“ Adressat war wiederum der kanadische Gast. Aber man kann nur hoffen, dass er gerade beim letzten Satz sich selber ebenfalls aufmerksam zugehört hat.