Ein stilles Kleinod mit Überraschungen, so könnte man das mittelalterliche 800 Seelen-Städtchen St-Ursanne umschreiben. Die einzige Stadt der Schweiz, welche nach wie vor nur durch die drei mittelalterlichen Haupttore betreten werden kann, macht dann jeweils das ganze Städtchen am romantischen Doubs-Ufer zur Fussgängerzone und präsentiert sich mit einer Mischung aus Stolz und jurassischer Selbstverständlichkeit: Le beau Jura, c’est nous!
8. Edition des Festivals „Piano à St-Ursanne"
Auf musikalischer Ebene stellt das alljährlich und nun schon zum achten Male stattfindende Pianistenfestival „Piano à St-Ursanne“ eine inzwischen auch international beachtete Nische dar. Dies ist den berühmten Namen der jeweiligen „Invités spéciaux“ zu entnehmen, welche ihre grossen Weltklasse-Podien immer wieder verlassen, um in der unwirklichen, zauberhaften Abgeschiedenheit des Klosterkreuzgangs der Collégiale St-Ursanne zu musizieren. (Letztere besitzt mit ihrem romanischen Südportal übrigens, neben der Stiftskirche von Romainmôtier, das wohl schönste und hervorragend, zum Teil noch in den Originalfarben erhaltene romanische Kirchenportal der Schweiz!).
So wird mir unter anderem das Konzert der brillanten französischen Pianistin Brigitte Engerer von 2009 unvergesslich bleiben, allerdings auf eine ganz andere Weise als das Konzert, das der Meisterpianist und Musikologe Paul Badura-Skoda bei der diesjährigen Eröffnung gab.
Einer der letzten Grossen: Paul Badura-Skoda
Denn der Wiener Pianist mit ungarischen Wurzeln, mit ungezählten Preisen und Ehrungen ausgezeichnet, ist inzwischen 83 Jahre alt. Soweit ich mich erinnere, ist nur Vladimir Horowitz in diesem Alter noch aufgetreten. Doch Horowitz ist seit 1989 tot, und Badura-Skoda ist wohl der Letzte in jener Reihe von grossen Pianistenpersönlichkeiten, an denen das vergangene Jahrhundert so reich gewesen war.
Wenn man sich nur schon vor Augen hält, welche Gedächtnisleistung so ein Solokonzert, auswendig gespielt, darstellt, kann man über die Memorisationsfähigkeit in derart hohem Alter nur staunen. Badura-Skoda, auch technisch immer noch auf erstaunlich hohem Niveau, führte einen Schubert-Abend von hoher geistiger Konzentration vor, der wohl allen unvergesslich bleiben wird – nicht nur, aber auch durch die unwirkliche Atmosphäre mit den aufgescheuchten, lautlos die Kreuzgewölbe durchpfeilenden Fledermäuse!
Schubert ohne Zuckerguss
Dazu kam, dass der Pianist - für das Publikum überraschend und begeistert aufgenommen – das Konzert durchgängig in Französisch kommentierte, wobei, in fast familiärer Stimmung, die weltmännische Geläufigkeit und der Charme seiner Wiener Meisterkurse durchschimmerte. Aber in Badura-Skoda’s Spiel war nichts von wienerischem Gefühls-Zuckerguss des armen, leider allzu oft musikalisch malträtierten „Franzl“ zu hören. Das war ein erstaunlich ernster und klarer Franz Schubert, besonders in der „Wanderer-Fantasie“ und Schuberts letzter Klaviersonate b moll D 960, aus der aber trotzdem manchmal Eleganz und eine triumphierende Geste aufstrahlten.
Schubert als Festival-Schwerpunkt
Die diesjährige Edition des Festivals ist - ganz ohne erkennbare biografische Jubiläumsdaten - schwerpunktmässig dem enormen Klavierwerk Franz Schuberts gewidmet. Eine breiter angelegte instrumentale Weiterführung wird das Wochenende vom 5./6./7. August bieten, wo man die Pianisten Christiane Baum-Sanglard, Philippe Cassard, Delphine Bardin und Michel Dalberto, die Klarinettisten Frédéric Rapin und Antony Morf, den Flötisten Jean-Philippe Schaer, Doruntina Guralumi auf dem Fagott sowie die Sopranistin Brigitte Fournier erleben wird.
Dalberto gilt übrigens als einziger lebender Pianist, der das gesamte Klavier-Oeuvre Schuberts integral eingespielt hat. Wie bei Schubert wohl kaum anders denkbar, werden die reinen Instrumentalkonzerte während des gesamten Festivals durch Gesang ergänzt, unter anderem in der das Festival abschliessenden „Nuit de la Voix“ unter der Stabführung von Nicolas Farine(11.8.).
Die beiden jurassischen Mitbegründer und künstlerischen Ideengeber des Festivals, die Pianistin Christiane Baume-Sanglard und der inzwischen weit über die Grenzen hinaus bekannte Pianist Gérard Wyss, geben am Sonntag, 7. 8., einen Abend mit „Klavier zu vier Händen“. Aber auch dem pianistischen Nachwuchs wird Sorge getragen mit der „Tribüne der jungen Artisten“. Apropos jung: Der Veranstalter Crescendo offeriert allen Jugendlichen einen Spezial-Eintrittspreis auf alle Veranstaltungen von nur sfr. 10.-
„Schubertiade d’Espace 2“ in Porrentruy
Der andauernde Erfolg des St-Ursanner Festivals hat den Veranstalter Crescendo im Jahre 2009 dazu bewogen, eine Seitenlinie des Festivals auch in der Hauptstadt der Ajoie, in Porrentruy, durchzuführen („Piano à Porrentruy“. Über Porrentruy siehe auch meinen Bericht „Das Glück des ersten Sonntags“)
Am Wochenende des 3. und 4. Septembers werden innerhalb von „Schubertiade d’Espace 2“ rund 160 Kurzkonzerte von 30-40 Minuten in der ganzen Stadt Porrentruy und an zum Teil überraschenden Orten angeboten.
Piano à St-Ursanne, 2. – 11. August www.crescendo-jura.ch