Und neu ist auch eine lange vermisste Disziplin in der Bevölkerung, saubere Städte, und, Wunder über Wunder, Autobahnen. Disziplin und Autobahnen? Das macht mich nervös. Denn im Kontext von Sri Lanka wecken solche Bilder nicht Assoziationen mit der Schweiz oder Deutschland. Mahatma Gandhi kommt mir in den Sinn, der sich beim Besuch von Mussolinis Italien über die pünktlichen Züge gefreut hatte.
Es ist ein unfairer Vergleich. Hat nicht Präsident Mahinda Rajapakse nach zwanzig Jahren Krieg dem Terror der LTTE endlich ein Ende gemacht? Ist er nicht der populärste Politiker in der Geschichte des Landes, vor zwei Jahren mit einer rekordhohen Mehrheit wiedergewählt? Hat er mit der erlangten Friedensdividende nicht sein Volk neu geeint und wieder auf das Ziel einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung eingeschworen?
Mehr Soldaten, mehr Waffen
Hat er alles. Aber hinter seiner starken Führung formieren sich ominöse Gebilde. Nehmen wir die Armee. Warum hat der Präsident die Friedensdividende nicht eingelöst und die vom Krieg aufgeblähte Streitmacht allmählich wieder auf Friedenszeiten-Mass gesenkt? Das Gegenteil geschieht. Seit dem Ende des Kriegs 2009 wurde das Militärbudget ausgeweitet und verschlingt heute ein Viertel aller Staatsausgaben.
Mehr Soldaten, mehr Waffen, mehr Logistik – all dies. Dazu kommt im ganzen Land – und gerade im Tamilengebiet – ein dichtes Netz von neuen Militärbasen. Im Norden bilden sie den Kern neuer Wohnsiedlungen, bevölkert von armen Bauern aus dem Süden und ehemaligen Soldaten, und sie kommen just zwischen tamilische Dorfverbände zu stehen. Es ist eine Kolonisierung mit dem Zweck der quasi-militärischen Sicherung, ähnlich wie die jüdischen Siedlungen in der Westbank. Auch der Unsicherheitsfaktor "Ethnie" ist abgedeckt: Die Kolonisten sind Singhalesen, genauso wie auch die Armee seine Rekruten fast ausschliesslich aus dieser Volksgruppe holt.
Ideologie von Disziplin
Die Militarisierung geht jedoch über das Militärische hinaus. Den besten Ausdruck dafür findet man in der Ämterkumulation des Präsidentenbruders Gothabaya Rajapakse, der Verteidigungschef und Minister für städtische Entwicklung ist. Armee-Offiziere werden zu Chefs von Stadtentwicklungs- und Tourismusbehörden ernannt, stehen staatlichen Firmen und Grossprojekten vor. Eine Ideologie von Disziplin und hierarchischen Befehlsstrukturen soll die lethargischen Strukturen auf Vordermann bringen.
Wie ernst es den Rajapakses dabei ist, zeigt der Erziehungssektor. Die wichtigste Kaderschule ist zur Universität aufgewertet worden, mit Kursen für Business Management und Urbanistik. Die Studentenschaft soll ebenfalls auf diszipliniertes Verhalten eingeschworen werden. Letztes Jahr mussten alle Universitätsanfänger einen dreiwöchigen Führungskurs in verschiedenen Armee-Camps absolvieren; dasselbe wurde den Ministern und Abgeordneten der Regierungspartei verordnet. Und 23 College-Rektoren rückten für einen einwöchigen Kurs im "Nationalen Kadettenkorps" ein; dann wurden sie zu Kadetten-Obersten ernannt.
Arrondierter Machtbereich
Diese Militarisierung ist nicht etwa ein kalter Militärputsch. Im Gegenteil, die Streitkräfte werden in das Programm der Rajapakse-Herrschaft eingebunden, das darin besteht, demokratische Institutionen auszuhebeln. Der erste Schritt erfolgte 2010, nach dem spektakulären Wahlerfolg Rajapakses. Die Zweidrittelmehrheit eröffnete ihm die Möglichkeit, die Verfassung zu ändern und die Beschränkung der präsidialen Amtszeit auf zwei Wahlperioden aufzuheben. Das tat er, und nun kann er über 2017 hinaus regieren.
Darauf kam es zum Ausbau der Macht seiner beiden jüngeren Brüder. Gothabaya wurde mit der Ausweitung des Verteidigungskonzepts auf Stadtentwicklung und Erziehung ein neuer Superminister. Und auch der Wirtschaftszar Basil Rajapakse konnte seinen Machtbereich arrondieren. Ein neues Gesetz namens "Lebenserweiterung" (Divi Neguma) bündelte die Armuts- und Hilfsprogramme unter dem Wirtschaftsministerium. Dazu gehören Programme, die bisher von den Provinzen verwaltet wurden. Mit einem Strich wurde so die regionale Autonomie gestutzt. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Budgetposten zeigt, dass 64 % aller Ausgaben für 2013 durch die Hände der drei Brüder fliessen. Als das Oberste Gericht die Verfassungsmässigkeit des Divi Neguma-Gesetzes anzweifelte, wurde die Oberste Richterin ihres Amtes enthoben.
Eingeschüchterte Medien
Der Bonapartismus geht über das Brüder-Trio hinaus. Nun ist auch der älteste Bruder hinzugestossen, als Parlamentspräsident; dessen Sohn ist Chef der Südprovinz, des Präsidenten Sohn ist Abgeordneter, enge Verwandte sind Botschafter in Washington und Moskau. Und Hambantota, der verschlafene Familiensitz der Rajapakses im Südosten der Insel, schmückt sich mit imperialen Insignien. Der kleine Fischerhafen wird zu einem riesigen Container-Hafen ausgebaut, einschliesslich Marinebasis; ein internationaler Flughafen kommt hinzu, ein Musikpalast in Form einer Lotusblume muss her, sowie ein Hochhaus. Dies alles wird mittels einer Autobahn an die Hauptstadt Colombo angebunden.
Wer kann das bezahlen? Für‘s erste ist der übliche Verdächtige – China – eingesprungen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass Beijing geschätzte 4,5 Mrd. $ springen lässt, nur um an eine Marinebasis zu kommen. Sri Lanka wird die Kredite zurückzahlen müssen. Aber niemand weiss, wie viel dies kostet. Denn das ist Geheimsache des Triumvirats. Die Medien sind mittels Einschüchterung (und dem gelegentlichen Journalistenmord) mundtot gemacht, die Justiz muckt nicht mehr auf, und auch das Parlament ist weitgehend gleichgeschaltet. Der Clan traut nicht einmal der eigenen Regierungspartei über den Weg, da sie viele Jahre die Hauspartei der Bandaranaike-Familie war. Sie hat nur noch die Dekrete aus Hambantota abzusegnen.
Menschenrechtsverletzungen
Doch so einfach lässt sich eine sechzigjährige Demokratie nicht gefügig machen. Vorläufig halten Geschäftsklasse, Kleinbürger und Bauern noch zu den Rajapakses. Doch dank der Budget-Largesse ist die Inflation auf zweistellige Höhe geklettert. Bereits ist es zu ersten Streiks gekommen, und auch Studenten und Bildungselite lassen sich die Bevormundung immer weniger gefallen. Vor allem aber ist die internationale Gemeinschaft irritiert über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, die Missachtung demokratischer Normen, und besonders über den fehlenden Willen, den schweren Vorwürfen von Kriegsverbrechen am Ende des Bürgerkriegs nachzugehen.
Bereits vor zwei Jahren hatten nur opportunistische Manöver der Ratsmitglieder – darunter Indiens – Sri Lanka vor einer Verurteilung durch den UNO-Menschenrechtsrat bewahrt. Nun ist neues Material aufgetaucht. Diese Woche publizierte die britische Channel Four-TV drei Fotos vom zwölfjährigen Sohn des LTTE-Chefs Vellupillai Prabhakaran.
Das erste zeigt ihn in srilankischer Gefangenschaft, in einem Unterstand sitzend, wie er, mit nacktem Oberkörper und angstvollem Blick, an einem Biskuit knabbert. Das dritte, offensichtlich mit der gleichen Kamera kurz danach fotografiert, zeigt den gleichen Buben tot auf dem Boden liegen, mit vier Schusswunden. Nächsten Monat werden diese Fotos und neue Filmdokumente dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt werden. Es ist zu hoffen, dass der Rat diesmal nicht zögert, die Fassade des Rajapkase-Triumphalismus zu entlarven und das Land mit seiner jüngsten Vergangenheit zu konfrontieren. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine neue LTTE aus der Asche ihrer Untaten (und jener der drei Brüder) steigt.