Der Verdächtige bei der Vernehmung: «In meinem ganzen Leben habe ich nie nichts gestohlen». Der logisch geschulte Untersuchungsrichter könnte ihn nach diesem Geständnis gleich als Gewohnheitsdieb arretieren. Da er aber mit dem bei älteren Leuten noch gängigen Idiom vertraut ist, weiss er, dass die doppelte Negation hier verstärkend gemeint ist. Vorsichtshalber nimmt er die Aussage nicht wortwörtlich ins Vernehmungsprotokoll auf. Dieses «nie nichts» könnte zu Ungunsten des Vernommenen auf falsche Weise richtig oder auf richtige falsch verstanden werden.
Scheint hier die Logik leicht verständlich zu sein, so ist sie es in einem anderen Fall offensichtlich nicht. Bei einer bestimmten Form doppelter Negation fallen immer mehr Schreiber herein: «Die Aussage des Verdächtigen ist nichts weniger als eine Selbstbezichtigung.» Sie meinen damit zu sagen, es handle sich um eine eindeutige und krasse Selbstbezichtigung. Was sie aber entgegen ihrer Absicht aussagen, ist das genaue Gegenteil.
Warum hier so streng, wenn doch bei doppelten Negationen populäre nichtlogische Ausdrucksweisen sonst toleriert sind? Die Antwort ist einfach: Das «nichts weniger als» ist in seinem eigentlichen logischen Sinn gebräuchlich; man kann daher dessen Aussage nicht einfach umdrehen. Der Satz «Die Aussage des Verdächtigen ist nichts weniger als eine Selbstbezichtigung» weist die Annahme, es handle sich um eine solche, entschieden zurück. Daran vermag auch eine gegenteilige Aussageabsicht nichts zu ändern.
Lässt man aber nur einen Buchstaben weg und schreibt «Die Aussage des Verdächtigen ist nicht weniger als eine Selbstbezichtigung», so sagt man das Gegenteil. – Allzu oft liest man Sätze dieses Musters, die wegen einem einzigen Buchstaben etwas völlig anderes behaupten als sie eigentlich sagen wollen. (Urs Meier)