Grimms Deutsches Wörterbuch, das sonst in seinen 16 Bänden allem, was deutsch klingt, in die feinsten Verästelungen folgt, weiss zum Lemma «Herausforderung» fast nichts zu sagen. Das Verb «herausfordern» kommt überhaupt nicht vor. Das sprachgeschichtlich junge Wort hat demnach eine steile Karriere durchlaufen. Sie könnte begonnen haben bei der Bedeutung der «Herausforderung eines Gegners zum Zweikampf», welche das «zum Duell fordern» substantiviert und mit der Präposition «heraus» (unnötigerweise) unterstreicht.
Ähnlich aggressives Fordern steckt auch im Wortgebrauch, der ein schwieriges oder heikles Problem als «Herausforderung» bezeichnet. Die Aufgabe, es zu lösen, bekommt den Charakter eines Zweikampfs, in dem es – fast wie im Duell – ums Ganze geht.
Wie so oft, verschliss sich der drastische Gehalt des Wortes dann aber durch die Gewohnheit, harm- und belanglose Dinge mit entsprechender Wortwahl zu dramatisieren. Wenn das blechschadenfreie Einparken als «Herausforderung» durchgeht, ist das Wort zur Nullaussage domestiziert. Jeder zu überwindende Widerstand, jede zu bewältigende Aufgabe passt in diese Worthülse.
Vermutlich unter dem Einfluss der Positiv-Denken-Mode ist «Herausforderung» gewissermassen semantisch bekehrt worden. Der drohende, unheimliche Beiklang ist verhallt. «Herausforderung» meint inzwischen vielmehr die Chance, sich zu bewähren oder die Gelegenheit, etwas hinzuzulernen. So liest man denn in Kündigungsschreiben von Praktikantinnen, sie würden «sich künftig neuen Herausforderungen zuwenden». – Da wir ja auch die Duelle nicht zurück wünschen, sollten wir uns mit dieser Begriffs-Abrüstung wohl abfinden. (Urs Meier)