In diesen krisenhaften Zeiten wollen wir unsere Sprachrubrik nutzen, um wieder einmal eine erfreulichen Nachricht weiterzuverbreiten. Sie lautet:
Die deutsche Sprache wird reicher. Das mag manche Kulturpessimisten verblüffen, denn häufig genug ist ja in der Öffentlichkeit und unter Sprachpuristen das Lamento von grassierender Sprachverkümmerung zu hören, vom Rückzug des Deutschen als Wissenschaftssprache, von der zersetzenden Überfremdung durch das Angelsächsische usw.
Die angesehene Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat unlängst einen „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ vorgelegt, dessen Kurzfassung im Internet einzusehen ist. Eines der Hauptergebnisse der Untersuchung lautet: Heutzutage werden in deutschen Texten mehr als fünf Millionen Wörter verwendet. Diese Zahl hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts um etwa einen Drittel vergrössert. Dies wird in dem Bericht wie folgt kommentiert: „Wenn es uns bisweilen so scheint, als würde die Sprache verarmen, dann liegt das nicht an der deutschen Sprache der Gegenwart, deren Reichtum schier unerschöpflich ist. Es liegt an jenen, die diesen Reichtum nicht ausnutzen.“
Natürlich ist mit diesem Zuwachs an lexikalischem Reichtum das Problem mangelhafter Sprachbeherrschung nicht beseitigt. Doch dies betrifft eine ganz andere Ebene. Hier geht es um individuelle oder kollektive Fähigkeiten.
Die Sprache selbst blüht und gedeiht, sie wird immer reicher. Sprachkritiker sollten deshalb die Dinge beim richtigen Namen nennen: Nicht mit der Sprache geht es bergab, sondern allenfalls mit den Fähigkeiten oder dem Einsatz ihrer Nutzer.
Und wie steht’s mit dem Überhandnehmen der Anglizismen im Deutschen? Deren Zahl hat sich tatsächlich markant vermehrt. Im Lauf der der letzten hundert Jahre von 1000 auf ca. 11 000 Ausdrücke. Der zuständige Forscher in dem erwähnten Akademie-Bericht findet das indessen nicht alarmierend, weil die meisten der importierten Anglizismen in Zusammensetzungen mit deutschen Ausdrücken verwendet (Baby-Nahrung, Job-Markt, Flug-Ticket) und dadurch schnell in den deutschen Wortschatz integriert würden - was wiederum zu dessen Bereicherung beitrage.
Hinzuzufügen zu diesen optimistischen Befunden bleibt, dass die Forscher sich bei ihren Untersuchungen ausschliesslich auf Standard-Texte im Print-Bereich konzentrierten. Ausgeblendet wurden die mündliche und die digitale Kommunikation (also SMS, Blogs, E-Mails). Was unter Einbezug dieser letzteren Sphären für ein Resultat „zur Lage der deutschen Sprache“ herauskäme, das wollen wir hier offenlassen. Unbestreitbar aber: Der deutsche Wortschatz würde zumindest numerisch noch wesentlich reichhaltiger.
R. M.