Das Gleiche gilt für das Verbrechen, das Anders Behring Breivik auf der norwegischen Ferieninsel Utøya verübt hat. Auf den ersten Blick leuchtet das ein, handelt es sich doch jeweils um mehrere Opfer. Um das Ungeheuerliche einer solchen Mordtat zu unterstreichen, wird das Wort „Masse“ verwendet.
Die Sprache aber entfaltet ihre eigene Dynamik. Der Begriff „Massenmord“ erinnert an die grossen Schrecknisse der Geschichte, an die Morde Hitlers und Stalins, an Pol Pot und andere Verbrechen, die, wenn sie überwiegend ethnisch motiviert sind, auch als Genozid bezeichnet werden. Eigentlich müsste das Wort „Massenmord“ auf Taten beschränkt sein, die wirklich „Massen“ von Menschen betreffen.
In anderen Zusammenhängen als einer Mordtat würde man eine Anzahl von Menschen, die unter oder knapp über Einhundert liegt, nie als Masse bezeichnen. Unter Masse verstehen wir grundsätzlich grosse Populationen oder Ansammlungen. Sonst ergäbe der Begriff „Massenbewegung“ eben so wenig einen Sinn wie „Massenmedien“.
In der kriminologischen Literatur aber ist man sich in Europa und den USA einig: Ab vier Personen bei einer Mordtat spricht man von „Massenmord“. Werden mehrere Personen hintereinander umgebracht, wie zum Beispiel von Jack the Ripper oder von Marc Dutroux, spricht man von Serienmord. Definitionen sind das eine, Sprachgefühl ist das andere. Eine Gruppe von gerade mal mehr als vier Personen ist die noch keine Masse. Das wird sie erst in dem Augenblick, in dem ein Mörder auf den Plan tritt.
S.W.