Als „Alleskönner“ hat der der bekannte deutsche Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider unlängst im Magazin der „Zeit“ den Sprachmeister Thomas Mann bezeichnet. Das sei, schrieb Schneider, „das Eindrucksvollste an Thomas Mann: wie er über das tragische und das Ironische, die doppelbödige Behäbigkeit und das blanke Feuer gleichermassen gebietet“.
In der Tat ist es eine ungemein bereichernde Erfahrung, wenn man sich gelegentlich aus der hektischen tagespolitischen Wörter- und Bilderflut ausklinkt und für ein paar unvergessliche Stunden in einen epischen Wälzer oder die Novelle eines Sprachvirtuosen wie T.M. eintaucht, respektive sich davon verzaubern lässt. In den letzten Wochen hat mich so die Lektüre des „Doktor Faustus“, der ja auch eine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und der Hitler-Katastrophe ist, in Bann geschlagen.
Dabei sei nicht verschwiegen, dass mitunter auch langfädige Passagen auszuhalten (oder zu überblättern) waren. Doch stösst man dann immer wieder auf überaus prägnante Formulierungen und mitreissende Passagen. Da ist zum Beispiel bei der Beschreibung der Nazi-Ideologie und ihrer rücksichtslosen Gewaltpraxis von „frevlerischer Vernunftverachtung“, der „sündhaften Renitenz gegen die Wahrheit“ oder „dem ordinär schwelgerischen Kult eines Hintertreppenmythus“ die Rede.
Dieser teuflischen Verirrung Hitler-Deutschlands stellt T.M. ein paar Seiten weiter folgende Betrachtung der damaligen Schweiz gegenüber: „Die Schweiz, neutral, mehrsprachig, französisch beeinflusst, von westlicher Luft durchweht, ist tatsächlich, ihres winzigen Formats ungeachtet, weit mehr ‚Welt‘, weit mehr europäisches Parkett als der politische Koloss im Norden, wo das Wort ‚international‘ seit langem ein Schimpfwort ist…“
Das mag nun - über 60 Jahre nach der (im amerikanischen Exil erfolgten) Niederschrift des „Doktor Faustus“ - etwas gar schmeichelhaft für die Schweiz tönen. Doch zweifellos entsprach dieses Kontrastbild zwischen dem deutschen Hitler-Verhängnis und der vergleichsweisen heilen helvetischen Welt der persönlichen Wahrnehmung Thomas Manns, der 1933 Nazi-Deutschland den Rücken gekehrt und sich (bis 1938) in der Schweiz niedergelassen hatte.
Persönlicher Wahrnehmung entspricht auch die ergreifende Schilderung des fünfjährigen Nepomuk Schneidewein im „Doktor Faustes“ und die reizenden helvetischen Einsprengsel in dessen sprachlichem Ausdruck. Dieser Nepomuk wird so vorgestellt: „Nepomuk oder ‚Nepo‘, wie die Seinen ihn riefen, oder ‚Echo‘ wie er, schon seit er zu lallen begonnen hatte, in wunderlicher Verfehlung der Mitlaute sich selber nannte…. Für das „Silberstimmchen“ des kleinen Kerlchens, schreibt Thomas Mann, sei der „vom Vater (einem gebürtigen Schweizer) ererbte und von der Mutter (einer Bayerin) früh übernommene, leicht bedächtige, leicht feierlich schleppende und bedeutsame Tonfall, mit Zungen-R und drollig stockender Silbenfolge charakteristisch. In Echos Rede, heisst es weiter im Text, sei „viel Dialekthaftes“ aufgeklungen, wie ‚Hüsli‘ statt ‚Haus‘, ‚Öppis Feins‘ für ‚Etwas Feines‘ und ‚es bitzli‘ statt ‚ein bisschen‘.“
Mit Sicherheit hätte Thomas Mann diese dialektale Facette nie in seinen Roman hineingeflochten, wenn er nicht selber ein paar Jahre in der Schweiz gelebt und sein Lieblingsenkel Frido nicht eine schweizerische Mutter (die aus Zollikon gebürtige Gret Moser, die Frau seines jüngsten Sohnes Michael Mann) gehabt hätte. Von dieser Mutter hatte Frido als kleines Kind offenkundig gewisse helvetische Spracheigenheiten angenommen. Als hellwacher Beobachter seines Umfeldes und als begnadeter „Alleskönner“ hat T.M. solche lebensnahen Details in seinen grossen Roman „Doktor Faustus“ eingebaut.
R. M.