US-Präsident Donald Trump soll ungläubig auf einen Bericht des Magazins „Politico“ reagiert haben: Zwar sei nichts unmöglich, aber er glaube dem Bericht nicht. Das Blatt hatte berichtet, dass Israel in der Gegend des Weissen Hauses elektronische Überwachungsanlagen installiert habe, um Vorgänge in der Machtzentrale der Vereinigten Staaten mitverfolgen zu können. Eine erstaunlich zurückhaltende Reaktion, wo gleiche Vorwürfe gegenüber einem anderen Land sicher ungleich heftigere Erklärungen und Massnahmen zur Folge gehabt hätten.
Erinnerung an den Fall Pollard
In Israel reagierte man noch zurückhaltender beim Bestreiten des kolportierten Sachverhalts. Kein Wunder, denn nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen in der kommenden Woche (17. September) musste der politischen Führung in Jerusalem klar sein, dass solch ein Bericht geeignet wäre, den engen Beziehungen zu Donald Trump schweren Schaden zuzufügen, und dass die ersten spontanen Reaktionen nicht weiterhelfen konnten, die Story sei wohl das Werk von Antisemiten.
Realistischer war da schon der Hinweis darauf, dass es in Israel seit vielen Jahren strikte Anweisung gebe, jede geheimdienstliche Tätigkeit in und gegen die USA zu unterlassen. Grund hierfür war ein Fall, der die gegenseitigen Beziehungen seit 1985 belastet: Jonathan Pollard, Offizier im amerikanischen Marine-Geheimdienst, war damals unter dem Verdacht verhaftet und vor Gericht gestellt worden, Geheiminformationen an Israel weitergeleitet zu haben. Er wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Israel hatte zumindest einen Teil der Verantwortung übernommen, gab Pollard die israelische Staatsangehörigkeit, stilisierte ihn zum Volkshelden hoch und setzte sich in höchsten Regierungskreisen für seine Freilassung ein. Erfolglos. Auch Benjamin Netanjahu bot in einer früheren Amtszeit seine Hilfe an: Wenn Washington Pollard freilasse, werde Israel drei Monate lang keine neuen Siedlungen auf der Westbank bauen. Die USA lehnten ab. Erst 2015 wurde Pollard freigelassen, darf die USA für fünf weitere Jahre aber nicht verlassen.
Netanjahu lockt mit Teil-Annexion des Westjordanlandes
Während es seitdem still geworden ist um den Ex-Spion, hat Netanjahu im Wahlkampf der letzten Monate und ganz besonders mit einer Erklärung vor wenigen Tagen erneut bewiesen, dass er auch im Traum nie daran gedacht hat, die Besiedelung der 1967 von Israel eroberten palästinensischen Gebiete westlich des Jordans aufzugeben: Bereits vor Monaten deutete er an, dass er „die israelische Souveränität auf Teile dieser Gebiete ausweiten“ wolle – eine verklausulierte Umschreibung für „Annektierung“.
Diesmal wurde Netanjahu konkreter als in der Vergangenheit: Er habe vor, diese Massnahme nach einem Wahlsieg im grössten Teil der Jordansenke durchzuführen. Er griff damit auf eine Idee zurück, die bereits von 1967 stammt – nur fünf Monate nach der Eroberung dieser Gebiete – und „Allon-Plan“ genannt wurde – nach ihrem Erfinder, dem damaligen Vizepremier Jigal Allon: Das Land zwischen Jordan und dem Ausläufer der Berge westlich davon sollten „aus Sicherheitsgründen“ unter israelischer Kontrolle bleiben, während der Rest der Westbank für eine eventuelle Friedensregelung zur Disposition stehen könne.
Es ist bezeichnend, dass Allon nicht zum „rechten Lager“ gehörte, das Netanjahu heute anführt, sondern zu der von diesem bis heute verteufelten „linken“ Arbeiterpartei. Diese Tatsache verdeutlicht, dass Siedlungs- und Annektierungspolitik immer schon zum Repertoire der wichtigen politischen Strömungen in Israel gehörten.
Schreckbehauptungen aus der Trickkiste
Um damit Wählerstimmen zu gewinnen, braucht man sie nur mit der Sicherheitsfrage zu verbinden. Netanjahu tat auch dies in den letzten Tagen: Zunächst unterstellte er den israelischen Arabern, sie wollten Wahlbetrug begehen, dann steigerte er sich in die Behauptung, die Araber seien „darauf aus, uns alle umzubringen“ und nun stellte er auch noch in einem Interview Spekulationen darüber an, dass die Lage im Gazastreifen sich möglicherweise dahin entwickle, dass Israel gezwungen sei, dort erneut Krieg zu führen.
Zumindest Netanjahu ist überzeugt, dass solche Polemik, Warnungen und Drohungen die Wähler bei der Stange halten. Jüngste Meinungsumfragen könnten ihm Recht geben, der 17. September wird das zeigen.