Die Sammlung Klassischer Moderne des Kunst Museums Winterthur sucht in der Schweiz ihresgleichen – dank zahlreicher Legate kaufkräftiger Persönlichkeiten der Stadt und auch dank der eigenen klugen Ankaufspolitik. Die Liste der Namen ist eine Liste der Besten – Picasso, Giacometti, Monet, Sisley, van Gogh, Bonnard, Toulouse-Lautrec, Braque, Gris, Klee, Magritte, Mondrian, Moilliet, Arp, Taeuber-Arp. Ihre Werke sind von ausgesuchter Qualität.
Wer aber in diesen Tagen durch die grossbürgerlich anmutenden Säle des um 1915 realisierten Museumsbaus von Robert Rittmeyer und Walter Furrer geht, mag indigniert sein: Was da, fein säuberlich auf Museumssockeln und teils unter Glas-Schutzhauben, mitten in den Räumen steht, scheint von einem anderen Stern zu stammen: Nichts Klassisch-Modernes, nichts Weihevolles, nichts Gemessenes, keine kostbaren Materialien, eher Witziges oder Basteleien aus ganz verschiedenen und teils trivialen Materialien wie Holz, PU-Schaum, Ton, Kunststoff. Dem Begriff der Bastelei soll in diesem Zusammenhang nichts Negatives anhaften, im Gegenteil: Bastelei ist verstanden als ein zweckfreies Spiel mit Materialien, die teils einfach da sind, teils bewusst ausgewählt werden und unter den Händen des Künstlers und dank seiner Phantasie zu neuer Form finden.
„Ofen, Geist & Meister“
Lutz & Guggisberg waren hier. Andres Lutz, geboren 1968, und Andreas Guggisberg, geboren 1960, sind seit 1996 ein Künstlerpaar, vielfach ausgezeichnet, multimedial aktiv und weltweit tätig mit Ausstellungen ihrer oft skurrilen Arbeiten und in ganz verschiedenem Kontext.
Die beiden griffen mit „Ofen, Geist & Meister“, so der Ausstellungstitel, in die Winterthurer Sammlung ein – nicht laut und provokativ, aber schon ein wenig hinterhältig und wohl auch subversiv. Sie sind sich des Eigenwertes ihrer 19 kompakten, sich in ihren Dimensionen meist den Sammlungsbeständen angleichenden Skulpturen im Klaren und treten damit selbstbewusst neben all die Klassiker. Damit greifen sie kräftig in jene Wahrnehmungsprozesse ein, die heute in aller Regel die Publikumsbegegnung mit Klassischer Moderne prägen – und auch verharmlosen. Reaktionen auf den durchaus provokativen Charakter mancher dieser Werke zum Beispiel von Picasso, Arp, Delaunay, Schlemmer oder auch Bonnard sind ja ausgesprochen selten geworden. Kulinarischer Genuss dominiert. Was Millionenwerte repräsentiert, muss wohl gut sein.
Gezielt in die Sammlung gesetzt
Schon im Ausstellungs-Titel „Ofen, Geist & Meister“ blitzt Ironie auf, die Anlass zum Grübeln sein mag: Der Ofen gehört zur behaglichen Stube, doch sind die Museumsräume wirklich eine behagliche Stube? Welcher Geist weht da? Und wer sind – und für wen – die Meister?
Wie geht das Künstlerpaar vor? Ein Beispiel ist seine Skulptur „Ofen, Geist & Meister“ (2016), die der Ausstellung den Titel gegeben hat: Sie ist eine 42 cm hohe schneeweisse Kegelform aus gebranntem Ton mit einem Zugang unten und mit einer Ausstülpung im oberen Drittel, die als Kamin gelesen werden kann. Das Modell eines Möbelstücks? Eine perfekt gestaltete Form, die zwischen Abstraktion und Anwendbarkeit pendelt? Die gleichen Fragen liessen sich auch stellen zu Hans Arps Werken gleich dahinter, auf die Lutz & Guggisberg mit ihrer Präsentation offensichtlich Bezug nehmen.
Ein anderes Beispiel ist „The Joys of Eclecticisme“ von 2020, auch das eine Skulptur aus gebranntem weissem Ton. Sie fällt in unser Blickfeld zusammen mit einem Werk von Juan Gris (“Bouteille et compotier“ von 1920). Die Malerei von Gris selber ist keine Bastelei, aber sie schildert ein Stillleben, das ähnlichen Gesetzen gehorchen mag wie „The Joys of Eclecticisme“. 100 Jahre liegen zwischen den beiden Werken. Die Sprache ist eine andere. Die Absicht bleibt sich ähnlich. Oder „Pille, Maske und Fee“ aus Holz von 2016: Wir sehen dieses Gebilde, das an die Jahreszeiten-Bilder des manieristischen Malers Giuseppe Arcimboldo erinnert, zusammen mit Picassos „Deux Personnages“ von 1934 und stellen auch da eine verwandte Strategie der Dekomposition und neuen Komposition fest als Zeichen des Weltverständnisses eben nicht nur von Lutz & Guggisberg.
Ein letztes Bespiel ist „Phänomena 2000“ von 2000: Da sind die beiden Pole in einem Werk vereint – der Kunstbetrieb mit White Cube, Büro und Laptop (als Modell) und die Kunst, die sich diesem Schema des Gängigen nicht fügen will, sondern als amorphe silberne Masse aus allen Löchern quillt. Auch das ist ein Werk über die Kunst und ihren Stellenwert.
Das sind nur einige der Parallelen, die Lutz & Guggisberg zum Sprechen bringen – unterhaltsam und mit Witz, aber trotzdem ernsthaft und mit Bedacht und zum Nutzen der Werke der Sammlung, die wir neu zu sehen lernen, aber auch zum Nutzen ihrer eigenen Werke, die in diesem Kontext eine ganz eigene Sprache entwickeln.
“Bewegte Bilder“
Im Neubau zeigt das Haus mit der Ausstellung „Bewegte Bilder“, was an Videokunst neu in die Sammlung gekommen ist. Das Meiste geht auf eine Schenkung von Heinz E. Toggenburger zurück, der bedeutende Werke der Pioniergeneration dieses Mediums gesammelt hat: Bruce Nauman, John Baldessari, Valie Export sind vertreten, aber auch Pipilotti Rist und Sylvie Fleury. Zu sehen sind in diesem Zusammenhang auch einige grosse Videoinstallationen des Belgiers David Claerbout – und eine Videoarbeit von Lutz & Guggisberg. Das Künstlerpaar hat sie dem Museum aus Anlass des Amtsantrittes von Konrad Bitterli als Direktor des Hauses im Jahr 2017 geschenkt.
Kunst Museum Winterthur beim Stadthaus. Lutz & Guggisberg bis 10. Januar. Bewegte Bilder bis 15. November