Emile Roemer, der Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei, sah lange Zeit schon wie der sichere Sieger aus. Lange lieferte sich seine Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der VVD, der rechtsliberalen Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, bei dem mal die eine, mal die andere Partei die Nase vorn hatte.
Doch unbemerkt von vielen deutschsprachigen Medien, die Roemer auch jetzt noch als zukünftigen Ministerpräsident handeln, hat sich das Blatt in den vergangenen zwei Wochen gewendet. Roemers Sozialisten sind auf den dritten Platz abgerutscht, die Sozialdemokraten kämpfen sich überraschend in die Wählergunst zurück.
"Over my dead body"
Die eigentliche Wahlkampagne hat wegen der Schulferien erst spät begonnen, die Spitzenkandidaten der grossen Parteien sind sogar erst Mitte August in den Wahlkampf eingestiegen. Dadurch haben die nahezu täglichen Fernsehdebatten grosse Bedeutung bekommen. Und dort konnte wider Erwarten nicht der Sozialist Roemer sondern der Sozialdemokrat Diederik Samsom punkten.
Der 41-jahrige Samsom wurde erst im März dieses Jahres in einer Urwahl zum Fraktions- und Parteivorsitzenden gewählt. Sein Vorgänger auf dem Fraktionsvorsitz, der ehemalige Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen, war in seiner Amtszeit aus Parlamentsdebatten mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders meist als Verlierer hervorgegangen. In eben jenen Debatten konnte vor allem Emile Roemer punkten – was sich seinerzeit positiv auf die Umfragen der Sozialisten ausgewirkt hat.
Doch der Höhenflug währte nur einige Monate. Der Niedergang des Emile Roemer begann bereits vor der ersten Fernsehdebatte. Zum Kampagnenstart nach den Ferien versicherte der Sozialistenchef im „Financieel Dagblad“, dass er eventuelle EU-Sanktionen, dieses „lächerliche Bussgeld“, auf keinen Fall bezahlen wolle. Seine Ankündigung, Sanktionen bezahle er nur „Over my dead body“ wurde ein geflügeltes Wort.
Wankelmut
Dankbar griffen Medien und politische Gegner die Aussprache des potentiellen Ministerpräsidenten auf. Wohl erschrocken von der eigenen Courage und den überwiegend negativen Reaktionen im In- und Ausland, nahm Roemer seine Aussage noch am selben Abend in den Spätnachrichten zurück. Und auf einmal unterscheidet sich die ehemalige Partei der klaren Standpunkte nicht mehr von den anderen Parteien - wie zum Beispiel den Christdemokraten, die die mit ihrer Unterstützung eingeführten Sanktionen für Langzeitstudenten nicht schnell genug wieder abschaffen können.
Von diesem ungewohnten Wankelmut erholte sich Roemer nicht, in den folgenden Fernsehdebatten der Spitzenkandidaten fand er nicht mehr zu alter Form zurück. Und schon konnte sich der niederländische Wechselwähler nicht schnell genug der neuen Hoffnung des linken Spektrums, dem Sozialdemokraten Samsom zuwenden.
Selten gab es so viele Wechselwähler
Ein paar Debatten stehen den Spitzenkandidaten bis zum Wahltag am nächsten Mittwoch noch bevor. In den neuesten Umfragen liegen die Sozialdemokraten nur noch höchstens 4 Sitze hinter der führenden VVD von Rutte, doch 43% der Wähler haben sich weniger als eine Woche vor den Wahlen noch nicht festgelegt. Selbst Experten wollen keine Prognosen mehr abgeben. Die Verwaltungswissenschaftlerin Kirsten Verdel kommentiert den Wahlkampf für Volkskrant online: „Das tatsächliche Wahlergebnis wage ich jetzt kaum noch vorherzusagen. Selten habe ich so viele Wechselwähler gesehen wie in diesen Tagen.“