Prozentrechnen hat noch nichts mit High-tech Financial Engineering zu tun. Nichts mit CDO und CDS und all den modernen finanziellen Massenvernichtungswaffen, an denen sich Bankster bereichern, während sie die Folgeschäden dem Steuerzahler aufbürden. Aber Prozentrechnen hat’s auch in sich.
Fangen wir mit einem einfachen Beispiel an. Steuerzahler Muggli leiht sich 10'000 Franken bei der Bank und verspricht, dafür 10 Prozent Zinsen zu zahlen, bis er den Betrag wieder zurückgibt. Macht pro Jahr also 1000 Franken. Nun verzögert sich die Rückzahlung etwas, aber nach 14 Jahren hat’s Muggli geschafft. Bevor er zur Bank geht, hat er sich überschlagsmässig ausgerechnet, dass 14 Jahre à 1000 Franken plus die ursprüngliche Schuld 24'000 Franken sind.
Die Zahl 70
Als er den Betrag auf den Schalter zählt, kichert der Banker kurz: «Ich will Sie nicht mit Zinseszinsrechnungen langweilen», erklärt er ihm, «aber merken Sie sich als Faustregel: Die Zahl 70 dividiert durch die Zinsen in Prozent ergibt in Jahren, wie lange es dauert, bis sich die ursprüngliche Schuld verdoppelt hat. Bedeutet für Sie: Sie schulden uns noch 16’000 Franken, und dafür wollen wir jetzt 20 Prozent Zinsen. Kommen Sie also in 3,5 Jahren wieder und zahlen uns dann nochmal 32'000 Franken.»
Ziemlich bitter für Muggli. Das gleiche Prinzip funktioniert aber auch umgekehrt, und die Grösse der Zahlen spielt dabei keine Rolle. Damit kriegt man jede beliebige Menge von Staatsschulden weg. Man muss nur eine Annahme treffen und sich von der Realität nicht beeindrucken lassen.
Simsalabim
Deutschland hat Staatsschulden fast in der Höhe der Summe aller Produkte und Dienstleistungen, die während eines Jahres hergestellt werden, also dem BIP. Damit unterscheidet sich Deutschland nicht gross von den meisten Euro-Ländern, den meisten entwickelten Staaten und ist im Vergleich mit Japan (Staatsschulden 2013 in der Höhe von geschätzten 245 Prozent) noch schlank aufgestellt. Um die deutschen Schulden auf einen Schlag zu beseitigen, müsste also ein Jahr lang das gesamte BIP dafür aufgewendet werden.
Das ist natürlich unmöglich. Aber es gibt dennoch Hoffnung. Unter der Annahme, dass das BIP pro Jahr um 5 Prozent steigt, unter der Annahme, dass die Schuldenzinsen weiterhin für Deutschland faktisch bei Null liegen und unter der Annahme, dass keine neuen Schulden aufgenommen werden, sind die gesamten Schulden in 14 Jahren weg. Also ein wenig länger würde es schon dauern, da ja nicht das gesamte Wachstum des BIP wegbesteuert würde, aber wir haben ja schon genügend Annahmen. Um die Schuldenlast auf 60 Prozent des BIP zurückzuführen, würde das jedoch locker reichen. Ist das grossartig oder ist das toll?
Zinsrechnen macht Spass
Rein rechnerisch ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden, es ist amtlich. Es gibt dabei nur ein kleines Problem: Seit Existenz der Bundesrepublik Deutschland gab es noch nie 14 Jahre lang ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum von 5 Prozent. Und man muss weit, sehr weit in die Geschichte zurückgehen, um auch nur ein Jahr zu finden, in dem sich die Staatsschulden nicht deutlich vergrösserten. Im Falle Deutschlands, das ja im Vergleich zu Griechenland oder Italien eine einigermassen glaubhafte Staatsrechnung führt, verdoppelten sich die Staatsschulden zwischen 1995 und 2013. Im Jahre 1970 betrugen sie übrigens geradezu neckische 64 Milliarden Euro, verdoppelten sich bis 1975 (Ölkrise) allerdings auf immer noch putzige 130 Milliarden. Das entsprach damals rund 16 Prozent des BIP, das waren noch Zeiten.
Schuldenzahlen
Jeder einigermassen verantwortungsbewusste Schuldner geht immer davon aus, dass er geliehenes Geld, mit oder ohne fällige Zinsen, in Zukunft durch damit generierte Gewinne zurückzahlen kann. Darin unterscheidet sich ein Muggli in nichts von einem Staat. Ausser in einem: Niemand würde einem Muggli noch Geld leihen, wenn der bereits bis zum Haaransatz verschuldet wäre. Selbst wenn er verspräche, dass er in den nächsten 14 Jahren pro Jahr mindestens 5 Prozent Gewinn machen würde.
Erst recht nicht, wenn er das bereits in der Vergangenheit einmal versprochen und nicht gehalten hätte. Wie die Eurostaaten. Die versprachen nämlich vor der Einführung dieser Fehlgeburt, dass sie sich niemals pro Jahr um mehr als 3 Prozent neuverschulden würden und niemals die Gesamtschuldenmenge auf über 60 Prozent des BIP steigen liessen. Wie sollte das bei einer möglichen Neuverschuldung von 3 Prozent pro Jahr gehen? Ganz einfach, unter Annahme eines kontinuierlichen Anwachsens des BIP um rund 5 Prozent pro Jahr. Die 3 Prozent Neuverschuldungsobergrenze ist in den meisten Eurostaaten schon längst pulverisiert, der Schnitt der Staatsschulden liegt in Euroland bei über 90 Prozent. Ach, und kontinuierliches Wirtschaftswachstum von 5 Prozent und mehr gab es nie.
Die impliziten Schulden
Zählt man zukünftige Sozial- und Pflegeversprechen zu den ausgewiesenen Schulden dazu, müsste Deutschland aktuell seine Staatsschulden sogar um jährlich 4 Prozent des BIP abbauen, um innert nützlicher Frist seine Schuldenlast auf 60 Prozent zu konsolidieren. Das arme Griechenland sogar um 17,6 Prozent.
Aber genug der Prozentrechnungen. Die aktuelle Situation kann man auch ganz einfach beschreiben: Entweder geschieht ein Wunder, oder alle Gläubiger werden rasiert, enteignet. Durch eine hübsche Inflation und/oder einen Schuldenschnitt. Das Wunder ist: Scheint niemanden so wirklich zu interessieren.