Die Parlamentswahlen in Ägypten beginnen am 18. Oktober in Oberägypten. Sie werden erst Anfang Dezember abgeschlossen sein. Eigentlich hätten diese Wahlen im vergangenen März stattfinden sollen. Doch sie wurden vertagt, weil das Verfassungsgericht einige Aspekte der Wahlgesetze als verfassungswidrig verurteilte. Die Wahlgesetze mussten daher erst neu geschrieben werden.
Die Verzögerung von sechs Monaten diente Präsident Abdel Fattahas-Sissi dazu, in dieser Zeit alleine zu regieren und alleine Gesetze zu erlassen. Seine Dekrete, es gibt Hunderte davon, müssen nachträglich von dem zu wählenden Parlament innerhalb von zwei Wochen bewilligt oder abgelehnt werden. Da ein «Sissi-Parlament» zu erwarten ist, werden sie wohl bewilligt werden.
Ausgeklügelte Undurchsichtigkeit
Die Wahlprozedur ist ausserordentlich kompliziert ausgefallen. Die Komplexität sorgt für Intransparenz. Sie ist in erster Linie dadurch gegeben, dass zweierlei Kandidaturen bestimmt wurden. Von den total zu vergebenden 568 Sitzen werden 120 oder 21 Prozent aufgrund von Listen gewählt. 448 Sitze oder 79 Prozent werden aufgrund individueller Kandidaturen vergeben. Dazu kommen weitere 28 Sitze, deren Inhaber der Präsident ernennt.
Die persönlich Antretenden werden mit einfacher Mehrheit in ihren Wahlbezirken gewählt. Es wird erwartet, dass diese Sitze in erster Linie von Persönlichkeiten gewonnen werden, die in ihren Bezirken Einfluss geniessen. Es gibt Bezirke mit vier oder fünf Sitzen, andere mit weniger oder bloss einem.
Man hat zu erwarten, dass auf diese Sitze entweder reiche Leute gewählt werden oder solche aus einflussreichen Familien, solche mit Stammespositionen oder grosser persönlicher Klientel. Dies sind überwiegend Personen, die darauf angewiesen sind, sich mit den staatlichen Behörden gutzustellen, weil diese ihre Interessen fördern oder behindern können. Nur in Ausnahmefällen werden es Personen sein, die sich für Anliegen einsetzen, die den Exponenten der staatlichen Macht wenig zusagen.
Aus diesem Grunde brachten Politiker im Vorfeld der Wahlen oft Einwände gegen die individuellen Kandidaturen vor, und diese Einwände haben dazu geführt, dass auch die Möglichkeit gewährt wurde, ein Fünftel der Sitze aufgrund von Listen zu besetzen. Aber die Listensitze werden nicht proportional, sondern majoritär bestimmt. Das heisst, in jedem Distrikt erhält jene Liste, die das Mehr davonträgt, alle Listensitze.
Parteien unter Majorzzwang
Diese Bestimmung hat im Vorfeld der Wahlen zu einem grossen Basar der Parteien geführt. Weil die Parteien nur mit Koalitionslisten eine Chance haben, absolute Mehrheiten zu gewinnen, sahen sie sich zu Zusammenschlüssen gezwungen. Manche Parteien haben im Zug dieser Vorwahlmanöver mehrmals ihre Zugehörigkeit zu einer der Koalitionslisten verändert. Andere Listenkoalitionen brachen kurz vor den Wahlen zusammen. Dies hat schlussendlich dazu geführt, dass nun lauter Koalitionslisten im Kampf um die Listensitze stehen, zu denen sich mehrere Parteien und politische Gruppierungen zusammengeschlossen haben. Es gibt nur eine Ausnahme, die Nur-Partei der Salafisten.
Diese einzige auf religiöser Grundlage beruhende Partei, die am Wahlkampf teilnimmt, hat ihre eigene Liste aufgestellt. Doch gerade Nur (was «Licht» bedeutet) wurde in den Vorwahlwochen von vielen der Pro-Regierungszeitungen angegriffen. Sie warfen der Salafistenpartei vor, sie diene als Paravent oder als Troyanisches Pferd, hinter dem oder in dem sich die Muslimbrüder versteckten. Diese sind bekanntlich in Ägypten als Terroristen eingestuft und in vielen Fällen massenweise zum Tode verurteilt worden. Ob diese Vorwürfe der Nur-Partei bei den Wählern nützen oder schaden werden, dürfte der Wahlausgang zeigen.
Die Listenkoalitionen, zu denen sich die grosse Mehrheit der Parteien zusammenfand, tragen fast alle das Wort Ägypten im Titel. So gibt es die Koalition «Für die Liebe zu Ägypten». In ihr sind total sechs Parteien und Gruppierungen zusammengeschlossen, die für Präsident as-Sissi eintreten. Von ihr wird erwartet, dass sie in den meisten Wahlkreisen siegen wird. Sie habe «Regierungsunterstützung», sagen die Ägypter einstimmig.
Führungslose «Opposition»
Es gibt auch den Zusammenschluss, der als die «Oppositionsliste» antritt. Sie heisst «Ägypten-Liste». Ihr Patron ist General Ahmed Shafik, der jedoch nicht persönlich kandidieren kann. Shafik war der Gegenkandidat Mursis, als dieser im August 2012 knapp zum Präsidenten gewählt wurde. In der Stichwahl hatte Shafik fast 49 Prozent der Stimmen erhalten. Erwar unter Mubarak Luftwaffenkommandant und später Minister für Luftfahrt gewesen, und er wurde kurz vor Mubaraks Sturz zum letzten von diesem ernannten Ministerpräsidenten.
Als as-Sissi Präsident wurde, verliess er Ägypten und lebte in Dubai. Später kehrte er heim, doch die Regierung as-Sissis erlaubte ihm nicht, eine politische Rolle zu übernehmen. Man kann ahnen, dass er in der Armee Rückhalt bei Offizieren geniesst, die keine Anhänger des Präsidenten sind. Doch diese Vorgänge bleiben geheim.
Eine weitere Liste ist die des «Unabhängigen Nationalen Erwachens». In ihr sind Politiker zusammengeschlossen, die in Oberägypten von Gewicht sind, und sie kandidiert nur dort.
Die Liste der «Demokratischen Strömung» bildete sich zwar, verzichtete aber schlussendlich darauf, als Parteiliste zu konkurrieren. Sie besteht aus fünf Parteien, die alle dem nasseristischen Politiker Hamdeen Sabbahi nahestehen. Sabbahi hatte in den Präsidentschaftswahlen von 2012 in der Stadt Kairo die Mehrheit gewonnen. Seine Liste beschränkt sich darauf, Kandidaten für die individuellen Wahlsitze aufzustellen.
Entpolitisierte Wahlen
Die Wahlen aufgrund von Listen werden im November in zwei Schritten durchgeführt werden. Die für individuell zu vergebende Sitze kommen zuerst an die Reihe, ebenfalls in zwei Schritten: zunächst für Oberägypten, dann für die nördlichen Teile des Landes mit Kairo.
Die Politiker, deren Namen in Ägypten mehr oder weniger bekannt sind, treten alle als Kandidaten für die vier Fünftel der individuellen Sitze auf. Um sie müssen sie aber mit Rivalen kämpfen, die in ihren Wahlbezirken nicht primär als Politiker sondern als einflussreiche Persönlichkeiten und Patrons bekannt sind.
Gesamthaft gesehen muss man feststellen, dass die politischen Parteien mit ihren Programmen minimale Chancen haben, sich durchzusetzen. Jene Personen jedoch, die bereit sind, as-Sissi die politischen Entscheidungen der kommenden Jahre mehr oder weniger widerspruchslos zu überlassen, werden das Parlament dominieren. Die einzige Ausnahme, die eine Art von Programm vorlegt und dafür auch eintritt, ist die salafistische Nur-Partei. Ihre politische Forderung ist ein islamischer Staat mit der Scharia als Grundgesetz, jedoch zu erkämpfen «mit friedlichen Mitteln».