Man traut seinen Ohren nicht. Vor wenigen Wochen noch sagte er: „Sono in pista.“ Ich komme zurück, ihr müsst mit mir rechnen. Und heute?
Heute sagt er: „Es wäre verantwortungslos, Mario Monti zu stürzen.“ Wie ein schnurrender Kater steht er vor den Kameras. Er lächelt, er ist entspannt. Und jugendlich wirkt er. Die linksliberale Zeitung Repubblica, wahrlich keine Freundin von Berlusconi, bezeichnet ihn plötzlich als „Taube“.
Nicht genug: Der Financial Times sagt er in einem Interview, er wolle nicht mehr Ministerpräsident werden. Er ziehe sich aus der ersten Reihe der Politik zurück.
Er, der Falke, der Machtmensch, das Alphatier, die Polit-Hyäne. Er nannte sich „den besten Regierungschef, den Italien je hatte“. Und jetzt soll er plötzlich die zweite Geige spielen?
In Italien glaubt das kaum jemand
Ist er sich bewusst geworden, dass er auch in der eigenen Partei den Rückhalt verloren hat? Hat er verstanden, dass das Ausland, die EU, kein Vertrauen in ihn hat? Ist der Druck von Seiten der Wirtschaft und der Kirche so gross geworden, dass er aufgibt? Hat er gemerkt, dass er auf viele seiner Freunde nicht mehr zählen kann?
In Italien glaubt das kaum jemand. Noch immer traut man Berlusconi alles zu. Wieder wird spekuliert, was der schlaue Fuchs im Sinn haben könnte. Vielleicht hat er ganz Grosses im Sinn.
Berlusconi hat sich jahrelang vor unpopulären Massnahmen gedrückt, um seine Popularität nicht zu verspielen. Dringend notwendige Struktur-Reformen, die dem Volk Opfer abverlangt hätten, gab es keine. Während Jahren belogen er und sein Wirtschaftminister das Volk. Sie gaukelten den Italienern vor, wie gut es der italienischen Wirtschaft gehe.
Die dicken Brocken stehen noch aus
Doch dann, beschleunigt durch die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise, brach das Lügengebäude zusammen. Jetzt kamen Ultimaten aus Brüssel, jetzt wurde es ernst, jetzt musste den Italienern reiner Wein eingeschenkt werden. Und jetzt glaubten viele seiner Freunde nicht mehr, dass er der richtige Mann am richtigen Ort sei.
Sein Nachfolger, Mario Monti, muss nun das tun, was Berlusconi nicht tat. Er muss aufräumen. Er muss Massnahmen einleiten, die den Italienern an die Substanz gehen. Massnahmen, die vielen weh tun.
Monti hat damit begonnen. Doch, was er bisher tat, war eher nur Kosmetik. Ein bisschen Liberalisierung, ein bisschen Aufweichung des Kündigungsschutzes, ein bisschen Abbau der Bürokratie. All das hatte wohl zum Ziel, das Volk auf Schlimmeres einzustimmen. Die dringend nötigen, tiefgreifenden Strukturreformen – die dicken Brocken - stehen noch aus.
Wenn Monti allzu zögerlich vorgeht, wird das Land weiter ins Schlamassel rutschen. Fasst er aber die heissen Eisen an, könnte er sich daran verbrennen.
Denn wenn die dicken Brocken folgen, könnte Italien stürmische Zeiten erleben.
Noch hält die Linke zu Mario Monti
Noch steht die grösste italienische Partei, der linke Partito Democratico (PD), zu Monti. Doch wie lange noch? Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die vor allem die Armen trifft, hat man gerade noch geschluckt. Doch zu zusätzlichen Opfern ist man nicht bereit. Wenn der Kündigungsschutz ausgehöhlt wird, wenn das Pensionsalter stark heraufgesetzt wird, wenn die Pensionen und Zulagen gekürzt werden, wenn Immobiliensteuern verlangt werden – dann wird die Linke auf die Strasse gehen.
Die drei grossen Gewerkschaften sind kampferprobt und zu allem fähig. Sie sind perfekt organisiert, bis hinunter ins kleinste Dorf. Zwar haben sie in den letzten Jahren an Elan eingebüsst. Doch wenn jetzt an ihren heiligen Errungenschaften gerüttelt wird, erwachen sie zu neuem Leben.
Dann könnte das Land ins Chaos stürzen. Die Züge fahren nicht mehr, LKWs blockieren die Autobahnen, die Tankstellenwärter streiken. Was in Griechenland geschieht, könnte auch in Italien geschehen.
Wenn aufgeräumt ist, kommen wir zurück
Wird sich dann Berlusconi als Retter aufschwingen? Wird dann Monti gestürzt und Berlusconi ist wieder da? Es gibt Hinweise, dass Berlusconi am Tag seines Sturzes ein solches Szenario im Hinterkopf hatte.
Es gibt auch Hinweise dafür, dass er und seine Partei sich gesagt haben: Lassen wir nun doch den Dreck die andern machen. Sie sollen die unpopulären Massnahmen durchsetzen. Wir werden dafür nicht verantwortlich gemacht. Und wenn aufgeräumt ist, kommen wir zurück.
Doch vielleicht ist alles ganz anders. Vielleicht hat Berlusconi wirklich genug vom aufreibenden Tagesgeschäft. Vielleicht will er wirklich nicht mehr Ministerpräsident werden, wie er sagt. Und Staatspräsident?
Staatspräsident Giorgio Napolitano ist 86 Jahre alt. Seine siebenjährige Amtszeit läuft im Mai 2013 ab.
Berlusconi gibt sich in den letzten Tagen und Wochen so freundlich und zahm, als wollte er allen gefallen. Und er müsste vielen gefallen, wenn er zum Staatspräsidenten gewählt werden wollte. Da spricht er von „der Ehre, diesem italienischen Staat dienen zu dürfen“. Mit „Eleganz und Verantwortungsgefühl“ habe er Monti Platz gemacht. Immer habe er nur eines im Sinn gehabt: das Wohl Italiens. Und eifrig schönt er seine Biographie: Die Orgien in seinen Villen seien harmlose Tanzabende gewesen. Alles andere sei Verleumdung durch die Medien.
Staatspräsident Berlusconi
Dieser eklatante Stilwechsel lässt Journalisten, Blog-Schreiber und den Mann und die Frau auf der Strasse fröhlich spekulieren: Hofft der emeritierte Cavaliere wirklich noch auf das höchste Amt im Staat? Wie wäre denn sonst seine plötzliche Sanftmut zu erklären?
Wirklich ernst nimmt diese Möglichkeit heute niemand. Aber eben: Dass das frühere Raubtier über Nacht zum liebevollen Schäfchen geworden ist, will niemand so recht glauben.
Es ist kaum anzunehmen, dass Linke ihren einstigen Lieblingsfeind zum Staatspräsidenten küren. Und auf einige linke Stimmen wäre Berlusconi angewiesen. Auch die Zentrumsparteien sind glücklich, dass Italien endlich „Ciao Silvio“ gesagt hat.
Zudem laufen im Moment zahlreiche Prozesse gegen ihn. Zwar könnte der „Mills“-Prozess am 14. Februar verjährt sein: Doch es laufen mindestens zwölf weitere Verfahren. Im Ruby-Prozess könnte er zu vier Jahren Gefängnis verurteilt werden. In einem solchen Fall wäre der Traum vom Staatspräsidenten ohnehin ausgeträumt. Noch immer arbeitet ein Heer von Anwälten für den einstigen Polit-Entertainer. Und noch immer rechnet Berlusconi damit, sich aus der Schlinge der „kommunistischen Richter“ ziehen zu können. Dann zumindest bliebe der Traum intakt.
In der Zwischenzeit arbeitet er an seinem Image. Mit seinen Freundlichkeiten will er der Nachwelt einen guten Eindruck hinterlassen. Denkt er schon an seinen Auftritt in den Geschichtsbüchern? Jedenfalls stellt er sich als ehrenwerten, sauberen Mann dar.
Die sauberen Hände, das Rassenpferd und der Pornostar
Dazu gehört auch der jüngste Auftritt mit Antonio Razzi. Der in Emmenbrücke im Kanton Luzern lebende Razzi gehört der italienischen Abgeordnetenkammer an. Im Dezember 2010 war der Hinterbänkler (Sitz-Nummer 291) plötzlich zu Berlusconi übergelaufen, hatte in der Vertrauensabstimmung für ihn gestimmt – und so seine Regierung gerettet. Die Vermutung lag auf der Hand, dass Razzi von Berlusconi bestochen worden war – so, wie Berlusconi schon früher Abgeordnete köderte.
Vor wenigen Tagen nun stellte Razzi sein Buch vor: „Die sauberen Hände“ (Le mani pulite). Darin stellt sich der Autor als Ehrenmann dar. Gast der Buch-Präsentation war auch Silvio Berlusconi, der ein Vorwort im Buch geschrieben hatte. In seiner Laudatio dankte er Razzi, dass er vor gut zwei Jahren für ihn gestimmt hatte. „Damit konnte unsere Regierung ein Jahr länger regieren“, sagte Berlusconi.
Dann stimmte der Regierungschef a.D. hohe Töne an: „Razzi ist ein Held, ein Rassenpferd.“ Er, Berlusconi habe Razzi nie bestochen, nie etwas bezahlt. Dieser habe „autonom, aus Verantwortungsbewusstsein gehandelt“. Das war die Hauptbotschaft: Ich, Berlusconi, ein ehrenwerter Mann.
Ganz angekommen in der neuen Welt ist der Konvertit Berlusconi noch nicht. Bei der Vorstellung von Razzis Buch war auch Vittoria Risi dabei – ein grünäugiger, vollbusiger Pornostar.