Über tausend Leserbriefe zum Werk und zur Person von Max Frisch lagern im Archiv gleichen Namens (es befindet sich im ETH-Gebäude in Zürich). Sie gehören ins analoge Zeitalter, das einem gelegentlich schon fremd vorkommt, obwohl es doch so kurze Zeit zurückliegt. Jetzt lässt sich eine kleine Auswahl der Dokumente an Wänden oder in Schaukästen anschauen und studieren. An der Eröffnung der Ausstellung beschäftigte sich Tobias Amslinger, Leiter des Archivs, mit den vielen bewundernden, begeisterten Leserreaktionen, während der Präsident der Max Frisch-Stiftung, Thomas Strässle, die bizarren und wüsten Beschimpfungen, Wutschreie und Morddrohungen unter die Lupe nahm.
Man ist ja heute, im digitalen Zeitalter, von den sogenannten sozialen Medien einiges an Hasstiraden gewohnt; aber was da zu Frischs Zeiten an Bösartigkeiten aufgeschrieben, getippt, zum Briefkasten oder zur Post getragen wurde, steht aktuellen verbalen Explosionen in nichts nach. Vertieft man sich in die ausgestellten Dokumente, kann einen – trotz der zeitlichen Distanz, die manches nur noch lächerlich oder unfreiwillig komisch erscheinen lässt – ein kalter Schauder überkommen.
Schriftsteller als Projektionsfläche
„Was bringt Sie scheusslicher Gift-Zwerg dazu, unser Land, wo Sie Ihr gemeines Dasein geniessen, in den Dreck zu ziehen? Sie sind ein ekelerregendes Invidium und gehörten in ein Land spediert, wo Sie sofort erschossen würden.“ Der Schreiber dieser netten Postkarte verziert seine orthographisch etwas lädierten Schmähungen mit dem Porträt eines ausgesprochen hässlichen Hundes, dessen „Frässe“, wie er schreibt, ihm angenehmer sei als diejenige Frischs.
Frisch, der mit zunehmendem Ruhm im Fokus der Öffentlichkeit stand, war sich der Wirkung, die seine pointierten politischen Äusserungen, seine Kritik an Staat und Gesellschaft haben konnten, durchaus bewusst. Vielen bürgerlich-konservativ Gesinnten im kalten Krieg bot er die ideale Projektionsfläche für alles, was es abzulehnen und zu bekämpfen galt. Und während sich die des Schreibens und Argumentierens Mächtigen wütend an ihm abarbeiteten, begnügten sich einfachere Gemüter mit dem Schlachtruf „Ab nach Moskau!“ oder „Moskau einfach!“
In seinen Tagebüchern, Reden, Interviews hat sich Frisch oft und nuanciert zu dem Verhältnis des engagierten Schriftstellers, wie das damals hiess, zur Öffentlichkeit geäussert. In diesem Zusammenhang spielen die Reaktionen aus der öffentlichen Sphäre, zu denen auch die Leserbriefe gehören, eine wichtige Rolle. Strässle verwies in seiner Rede auf eine Stelle im Tagebuch 1966–1971, in der Frisch luzid über die im Briefkasten vorgefundenen Hasstiraden sinniert.
Kreativer Umgang mit dem Hass
Nach dem Versuch, etwas Kreatives mit den ihm zugeleiteten Schmähungen und Beleidigungen zu machen, indem er Satzfetzen zu einem prosaischen Unratshaufen collagiert, rückt Frisch dem Begriff Hass auf den Leib, rein rational, ohne Emotionen zu zeigen. Er tut es auf die ihm eigene Art, zieht das Wort ganz nah an sich heran, probiert sich gewissermassen als Hassender und als Gehasster an, stellt knifflige Fragen. Hass, die „Stichflamme“, bringt einen zum Verdummen, während gehasst zu werden wach macht und sogar förderlich sein kann – so die überraschenden Einsichten.
Entzieht man dem Hass die Emotion, begegnet man ihm rational, geht ihm die Luft aus. Und so kann man sich, des Autors Räsonnement im Gepäck, noch einmal über die wilden oder heimtückischen Elaborate in den Schaukästen beugen und herauszufinden versuchen, was genau denn so irritierend, so Hass erzeugend gewesen sein muss, was dem Autor und was der Zeit, den gesellschaftlichen Zuständen geschuldet ist.
Die Ausstellung in der ETH trägt den Titel „Schmähbriefe, Fanpost und Tweets – Antworten auf Max Frisch“ und dauert bis Ende September.