Die Einweihung einer neuen Tempelanlage in der Stadt Varanasi war ein Weihnachtsgeschenk von Premierminister Modi an sein «Volk». Die Feier demonstrierte allerdings, dass er unter «Volk» im Gegensatz zur Verfassung nicht alle Bürger, sondern die Hindus unter ihnen versteht. Die Feier demonstrierte allerdings, dass er unter «Volk» im Gegensatz zur Verfassung nicht alle Bürger, sondern die Hindus unter ihnen versteht.
Am 13. Dezember weihte Premierminister Narendra Modi den soeben renovierten zentralen Tempelbezirk in der Stadt Varanasi ein, der vom Vishwanath-Tempel zum Ufer des Ganges führt. Es ist ungewöhnlich, dass ein gewählter Politiker an einer religiösen Stätte eine offizielle Handlung vollführt. Indien ist gemäss seiner Verfassung ein säkularer Staat. Aber Varanasi ist auch Modis Wahlbezirk, und so war kaum Kritik an dieser Überschreitung von Verfassungsprinzipien zu verzeichnen.
Zudem hat der Premierminister bereits früher solche Zeremonien durchgeführt, besonders deutlich bei der Grundsteinlegung des Ram-Tempels von Ayodhya, der nun über den Ruinen einer alten Moschee entsteht. Bei jeder dieser Gelegenheiten war er es, der sich als Zeremonienmeister in den Mittelpunkt der Feier stellte. Die jüngste war als ganztägiges Spektakel angelegt, «ganz auf die strenge und tiefgläubige Persona des Premierminister fokussiert», wie der Kommentator Suhas Palshikar im Indian Express schrieb, «eine Meisterklasse performativer Imagebildung, die multiple Botschaften aussandte».
Andere Beobachter wiesen darauf hin, dass im Bundesstaat Uttar Pradesh Regionalwahlen bevorstehen, «UP» ist mit 200 Millionen Einwohnern Indiens grösster Bundesstaat und deckt mit der Gangesebene das nordindische «Herzland» ab. Wer dort regiert, beeinflusst die Politik des Zentralstaats ebenso wie jene der anderen Bundesländer. Und Varanasi ist unbestritten die Hauptstadt des Hinduismus.
Ein massives Politikum
Ein massiver baulicher Eingriff mitten in einer der ältesten Städte der Welt ist daher auch ein massives Politikum. Über 300 Häuser und zahlreiche Läden wurden abgerissen, uralte Pilgerrouten und Gebetsstätten mussten weichen. Als Entschädigung versprach Modi ein riesiges Forum religiöser Inbrunst – Götterstatuen, ein Museum, Pilgerabsteigen, neue Kultstätten, eine Erneuerung mehrere «Ghats» zum Ganges. Vor allem aber würde mit der Renovation des wichtigsten Tempels der Stadt Gott Shiva wieder eine Heimstätte haben, die seines Avatars würdig ist – als Vishwanath, «Herr der Welt».
Trotz teilweise massiver Kritik aus den Reihen der Brahmanen ging Modis Rechnung damals auf. Nach der feierlichen Ankündigung im Jahr 2017 fanden in UP Wahlen statt. Es war kurz nach dem wirtschaftspolitischen Desaster der Demonetisierung von 80 Prozent der Banknoten, der grosse Teile der Spargelder der Armen dahinraffte. Allgemein wurde erwartet, dass die BJP massive Wahlverluste erleiden würde. Das Gegenteil war der Fall: Modis BJP wurde glänzend wiedergewählt.
Die Datumswahl für diese religiöse Feier gehorcht also politischem Kalkül. Deren Ausstattung und Pomp sprengten allerdings solch kurzfristige Motive. Eintausend Hindu-Würdenträger waren geladen, über dreitausend Bürgermeister aus dem ganzen Land waren anwesend, alle Medien berichteten ganztägig und flächendeckend über das Schauspiel. Und sie zögerten nicht, von einem «historischen Tag» zu sprechen.
Mit gefalteten Händen
Im Mittelpunkt stand folgerichtig nicht Shiva, sondern der Architekt von Shivas erneuter Inthronisierung. Bereits am frühen Morgen flimmerten Bilder in mehrere hundert Millionen Haushalte, die den Premierminister als frommen Pilger zeigten, der betend und mit gefalteten Händen in den Ganges watete, um dessen Wasser – durch den sakralen Akt vom Schmutz befreit – zu Vishwanath zu tragen. Akt zwei zeigte ihn als Priester, der am Spalier von Sängern, Trommlern und rosenspendenden Jungfrauen vorbei den Tempel betrat und den Shivling – Shivas phallisches Symbol – wusch.
Darauf wandte er sich im goldenen Brokatmantel wie ein Monarch an die geladenen Gäste, mit den langbärtigen Hohepriestern in der ersten Reihe. Als er am Abend durch die Anlage spazierte, war er wieder der moderne, lockere CEO der Nation, mit Hose und Hemd und einem ärmellosen Daunenjacket (auch sein «Pilgerkleid» am Morgen war ein orangefarbener ... Trainingsanzug). Er plauderte mit Gästen, Helfern, Sicherheitsbeamten, verbeugte sich vor den Götterstatuen. Es war ein Tag im Leben der Nation, an dem sich das ganze Land in ihm spiegelte. Die Frage stellt sich: Sollte es das ganze Land sein? Oder nur die Hindus? Oder fielen beide Begriffe zusammen?
Es fällt schwer zu glauben, dass dieser Aufwand alle indischen Bürger, gleich welchen Glaubens ansprechen sollte. Das zeigen auch die bedeutungsschweren Leerstellen, die in seiner programmatischen Rede enthalten waren. Denn der Vishwanath-Tempel ist einer der drei Orte, die quasi die Schutzheiligen eines Hindu-Reichs beherbergen: Ayodhya und Gott Ram, Mathura, der Geburtsort Krishnas, und Varanasi, die Stadt Shivas. Alle drei waren islamischen Invasionen und Zerstörungen zum Opfer gefallen, im Fall Varanasis und seines Shiva-Tempels gleich mehrmals.
Ignorierte muslimische Minderheit
Unmittelbar neben dem Vishwanath-Tempel steht die Gyan Vapi-Moschee, die Kaiser Aurangzeb errichten liess, mit Säulen und Kapitellen des von ihm zerstörten Tempels. Selbst nachdem er von der Königin von Indore 1777 wieder aufgebaut wurde, führte er während Jahrhunderten ein Schattendasein unter der höhergelegenen Moschee.
Narendra Modi erwähnte die Moschee mit keinem Wort, genauso wenig wie sie auf den kartografischen Angaben in der offiziellen Broschüre auftaucht. Er ignorierte die grosse muslimische Minderheit Varanasis, deren Weber die Brokat-Saris landesweit berühmt gemacht haben (und die vermutlich auch Modis Königsmantel gefertigt hatten). Kein Wort darüber, dass der Mogul-Kaiser Akbar den Wiederaufbau eines früher zerstörten Vishwanath-Tempels in Auftrag gegeben hatte; oder dass die Gyan Vapi-Moschee ihren Namen vom «Weisheitsbrunnen» hat, der zwischen Moschee und Tempel steht. Dessen Wasser wurde von beiden Gemeinschaften für rituelle Zwecke geteilt.
Dafür versicherte er seinen Zuhörern mit vielsagenden Umschreibungen, dass die fremden Invasoren, die für die jahrhundertelange Fremdherrschaft verantwortlich seien, es heute nicht mehr wagen würden, auch nur einen Stein aus dem Gebäude des Neuen Indiens zu reissen.
In die Wüste der Bedeutungslosigkeit verbannen
Er umriss einen neuen Gesellschaftsvertrag eines Hindu-Reichs, in dem er auch den Buddhisten, Jains und Sikhs ähnliche architektonische Verjüngungskuren versprach. Der Einschluss demonstrierte den selbstbewussten Anspruch der assimilativen Sogwirkung des Hinduismus; und in der verbalen Auslassung der Minderheitsreligionen Islam und Christentum besiegelte er deren Ausschluss.
Das Wort Islam kam nie über seine Lippen, obwohl die Muslime mit knapp 200 Millionen bei weitem Indiens grösste Minderheit sind. Die verbale Absenz machte sie aber nur noch präsenter, ein sprachlicher Trick, um den verhassten «Anderen» zu meinen und nicht zu nennen, und ihn damit in die Wüste der Bedeutungslosigkeit zu verbannen, ihn nicht einmal als valablen Gegenspieler anzuerkennen. Dies entspricht auch durchaus der Parteipolitik der BJP. In Uttar Pradesh gewann sie ihren letzten Wahlkampf, ohne einen einzigen Kandidaten muslimischen Glaubens zu nominieren.
Ähnlich lautete die Schlussfolgerung des oben zitierten Suhas Palshikar: «The image of the Prime Minister has underscored yet again the point that India belongs to one religious identity which forms the basis of its national being. (…) It is about a new India. It is about hierarchising citizens. It is, above all, about a new India that distorts its founding document and its historic pledge of inclusive democracy.»
«Hindustan Hamara Hai» – Indien gehört uns
Was dieser Vision Gewicht gibt, ist, dass Modi mit der Inthronisierung der religiösen Tradition kein rückwärtsgewandtes Indien will. Seine Rede war gespickt mit Mantren und Gebetsformeln – aber auch von «Unicorn» war die Rede, von «Start-ups» und einer technokratischen Weltmacht namens Indien.
Im neugebauten Korridor zwischen Tempel und heiligem Fluss wechseln sich wabenförmige Pagoden mit modernster Architektur ab. Und bei seinem Spaziergang durch das Forum verbeugte sich der Premierminister nicht nur vor alten Götterstatuen, sondern auch einer neuen Göttin, die ich zum ersten Mal in einem Tempelkomplex zu sehen bekam: Bharat Mata – eine Frauenstatue, die vor einer Wand mit den Konturen des grossindischen Reiches steht und damit zeigt, dass Nationalismus nun Teil des Hindu-Pantheons geworden ist. Während er sich vor ihr verbeugte, ertönte es von den Rängen der Zuschauer: «Hindustan Hamara Hai» – Indien gehört uns.