Es herrscht Sommerloch, Sauregurkenzeit. Die Politik ruht – die Kultur blüht. Deshalb sei es mir vergönnt, an dieser Stelle statt der üblichen Randbemerkungen zur Politik ein kleines Aperçu zum Thema Kultur anzubringen. Landauf, landab, zwischen Bregenz und Mörbisch, zwischen Bodensee und Neusiedlersee werden grosse Opern und spritzige Musicals inszeniert, Burgruinen zu Kulissen für grosse Dramen. Im Epizentrum des sommerlichen Kulturbetriebs Salzburg, wo Höchstkultur zu Höchstpreisen geboten wird – für die kulturellen Eliten, oder jene, die sich dafür halten, beziehungsweise es sich leisten können, sich dafür auszugeben.
Don Giovanni – vor und hinter den Kulissen
Genie und Irrsinn, so stellte der italienische Kriminologe Cesare Lambroso 1887 in seinem Werk „genio e follia“ fest, lägen nahe beieinander. Dass aber auch Genie und Banalität mitunter zu friedlicher Koexistenz zusammenfinden, ist weniger bekannt, kommt aber häufiger vor als man denkt. So geschehen, kürzlich, am Fernsehen, wo uns am vergangenen Sonntag Servus TV ein geradezu geniales Bildschirm-Erlebnis bescherte – mit der fünfstündigen Live-Übertragung des „Don Giovanni“ von den Salzburger Festspielen.
Simultan konnte der Zuschauer auf dem Bildschirm die Oper genießen – und im Internet, auf dem Laptop, hinter die Kulissen blicken. Genial ist bekanntlich nicht nur Mozarts Musik, die uns in die Höhen der Liebe und die Tiefe der Hölle führt, sondern auch Lorenzo Da Pontes überaus geistreiches Libretto, genial Ildebrando D’Arcangelo als ein von Eros und Sex besessener (und unwiderstehlicher) Verführer mit einer Stimme, die nicht nur Frauenherzen dahinschmelzen lässt.
Otto und Erna „Normalverbraucher“?
Doch leider gab es auch die Moderatorinnen und den Moderator, die uns von den schwindelnden Höhen dieser drei Genies in die Abgründe der Trivialität hinunterrissen. Vor allem eine hatte es mir angetan: Gefühlte zehn Mal (real neun?) betonte sie, dass dank der Simultan-Technik von Servus TV auch „Otto Normalverbraucher“ die einmalige Chance habe, das Geschehen jenseits der Bühne mitzuerleben.
Wer ist denn dieser besagte Otto? Der (allzu) vielzitierte und daher hoffnungslos banalisierte Begriff wurde in einem deutschen Spielfilm („Berliner Ballade“, 1948) geprägt, in dem Gerd Fröbe in seiner Rolle als „Otto Normalverbraucher“ einen zurückgekehrten Wehrmachtssoldaten spielte. „Normalverbraucher“ war damals eine Person, der bei der Zuteilung von Lebensmittelkarten "Normalverbraucher" war damals eine Person, der bei der Zuteilung von Lebensmittelkarten keine besonderen Vergünstigungen erhielt. Der Ausdruck reicht allerdings weiter zurück – nämlich auf die NS-Zeit, nach Kriegsausbruch im September 1939 als der „Normalverbraucher“ erstmals eingeführt wurde – von den Nazis.
Vielen Dank, liebe Moderatorin, vielen Dank Servus TV. Da wird uns der Hochgenuss durch dümmliche Moderatorinnen vermiest, die nach eigener Aussage zwar „während Stunden“ darüber gebrütet hatten, was sie denn an diesem grossen Abend anziehen sollten – denen nicht ausser besagtem „Otto Normalverbraucher“ eher wenig eingefallen ist. Und überhaupt: Wie steht es denn mit der political correctness, liebe Moderatorin? Erna Normalverbraucher hiess übrigens das weibliche Gegenstück zum lieben Otto.
Jenseits von Luxus-Dirndl und Salon-Lederhose
Wenn schon. Dass wir Opernliebhaber am Bildschirm uns despektierlich als „Otto Normalverbraucher“ titulieren lassen müssen, da wir uns weder das Luxus-Dirndl, die Salon-Lederhose noch die Parkettkarte zum „Giovanni“ leisten können (oder wollen) ist das Eine – dass wir pausenlos mit einem Ausdruck aus dem Wörterbuch des NS-Staates konfrontiert werden das Andere.
(Dieser Artikel ist zuvor in den "Vorarlberger Nachrichten" erschienen)