Wie Recht er doch hatte. Sergio Pininfarina war nicht nur ein Träumer von neuen Formen. Er fand den Kompromiss zwischen Träumerei und Machbarem.
Fast alle Ferraris stammen aus seinem Haus. Doch auch für Maserati, Alfa Romeo, Fiat und Peugeot zeichnete er, so den Peugeot 406 Coupé.
Kleine und grosse Buben träumten und tgräumen von ihm und seinen Kreationen. Über vielen Betten italienischer Knaben hängt ein Poster eines Ferrari P4, einer 240 GT Berlinetta, eines 275 oder eines 360 Spider.
Wenige Stunden nach seinem Tod hagelte es – zu Recht – Elogen auf den grossen Designer. „Er war einer der grössten Vertreter des made in Italy“, sagte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo. Und der Vizepräsident des Senats kommentierte: „Er war einer der Hauptdarsteller unseres Landes.“ Italiens grösste politische Zeitung, La Repubblica, schreibt pathetisch: „Das Auto beweint einen Riesen, einen der das Kaliber von Enzo Ferrari oder Henri Ford hatte”. Für viele war er mehr als ein Designer, er war ein Künstler.
Diese überschwänglichen Würdigungen haben viel mit Nostalgie zu tun. Sergio Pininfarina steht für eine Zeit, in der es der die italienische Autoindustrie noch Weltklasse war. Mehr noch: Er steht für eine Epoche, in der in den Sechziger- und Siebzigerjahren die gesamte italienische Industrie internationalen Ruhm erlangte. Turin im Piemont war eine dieser Brutstätten, in dem italienische Ingenieure den Takt vorgaben.
Tempi passati. Heute tut sich Italiens Autoindustrie schwer. Die Autoverkäufe im ersten Halbjahr 2012 sind um knapp 25 Prozent eingebrochen. Lancia und Alfa Romeo wurden längst von Fiat gefressen. Und Fiat geht es schlecht – trotz des neuen Fiat 500er-Renners.
Doch der jetzt mit 85 Jahren in Turin verstorbene Sergio Pininfarina war zusammen mit Bertone und Giugiaro der begnadetste Auto-Designer Italiens.
Er zeichnete nicht nur Autos. Er arbeitete auch die die SBB und konzipierte die Designs der Lokomotiven Re 460 und der Intercity-Neigezüge. Dass die Neigezüge wenig populär sind, weil es vielen Leuten übel wird, hat nichts mit dem Design zu tun. Pininfarina entwarf auch das Zürcher Cobra-Tram und den italienischen Luxus-Zug ETR 500.
Er baute zusammen Anfang der Siebzigerjahre mit dem Politechnikum in Turin den ersten Windkanal in Italien, einen der ersten der Welt. Noch ging es nicht darum, mit windschnittigen Modellen Benzin zu sparen. Damals kostete ein Liter 700 Lire. Geschwindigkeitsbeschränkungen gab es nicht. Aerodynamik war damals gefordert, um möglichst schnell zu sein. Dann kam der Erdölschock – und die Aerodynamik zahlte sich aus.
Sergio Pininfarina, geboren am 8. September 1926, trat in die Fussstapfen seines Vaters Battista Farina, der sein Unternehmen „Pinin“ nannte. Dieser Battista hatte unter anderem den legendären Lancia Aprilia gezeichnen, der heute auf Italiens Auto-Nostalgie-Märkten 400'000 Euro Wert ist – auch ohne Motor.
Battista starb 1966 und Sergio wurde Chef des Unternehmens. Mit riesigem Erfolg. Er änderte seinen Namen und fügte dem „Farina“ das „Pinin“ bei. Höchste Stellen in Rom haben diesen Namenswechsel beurteilt gutgeheissen. Sergio Pininfarinas Welt war von Geburt an das Auto. „Anstelle des Herzen hatte er ein Auto“, spottet ein Journalist der „Repubblica“. Sein Cousin Neto war Formel-1-Fahrer.
Sergio, ausgebildeter Ingenieur, wartete immer wieder mit aussergewöhnlichem Design auf, mit avantgardistischen Formen – aber mit machbaren Formen. Das war seine Stärke.
Sein Erfolg brachte ihn auch in die Politik – zuerst eher widerwillig. Auf der Liste der „Liberali“ wurde er Europa-Abgeordneter. Von 1982 bis 1982 war er Präsident des Industrieverbandes Confindustria. 2005 wurde er zum Senator auf Lebenszeiten bestimmt - Krönung einer industriellen Karriere.
Zuerst sträubte er sich in die Politik einzutreten. „Ich mache gern Dinge, die ich verstehe“, sagte er. Doch er bereute seinen Einzug in die Politik nicht.
Schon früh war er mit Enzo Ferrari zusammengetroffen und Zeit seines Lebens war er ein Freund von Gianni Agnelli, dem Fiat-Chef.
Vor drei Jahren traf ihn ein Schicksalsschlag. Sein Sohn Andrea hatte die Geschäfte übernommen und das Unternehmen erfolgreich „internationalisiert“. 2008 starb der 51-jährige Andrea auf einem Scooter, als er in Turin mit einem Auto zusammenstiess. Jetzt hat Sergios zweiter Sohn das Geschäft übernommen.
Doch die grossen Zeiten sind vorbei. Heute arbeiten 2500 Angestellte in Italien, Frankreich, Deutschland, Schweden und Marokko für das Unternehmen. Jährlich werden 70‘000 Autos gebaut, die im Haus Pinanfarina gezeichnet wurden. Doch das Unternehmen hat an Glanz verloren und kämpft ums Überleben – gerade deshalb erinnert man sich gerne an die goldene Zeit des jetzt verstorbenen Sergio.