Den Kulturschaffenden gelten die Kulturmanager eher als Schrecken denn als Segen. Und umgekehrt. Zwei Welten prallen aufeinander. Kreativität, Experiment, Freiheit auf der einen Seite und Berechenbarkeit, Effizienz, Kontrolle auf der anderen laden ein Spannungsfeld auf. Häufig kracht es. Bohemiens gegen Erbsenzähler, im Atelier geübte Praxis gegen im Studium erworbene Theorie. Krachen könnte es allerdings auch deshalb, weil Vorurteile die Beziehungen belasten.
Pro und Contra
Eine neue, an Aufschlüssen sehr ergiebige Publikation erlaubt eine Probe aufs Exempel, ob das „Schreckens-Szenario“ auf falschen Verdächtigungen oder richtigen Einschätzungen beruht. Die „Zeitschrift für Kulturmanagement“, Ausgabe 1/2017, widmet sich der „Evaluation im Kulturbereich“ und stützt sich auf Referate der 9. Jahrestagung des Fachverbandes Kulturmanagement, organisiert von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Winterthur (ZHAW) im Januar 2016.
Naturrecht und Beliebigkeit
Kulturschaffende und Kulturvermittler, die für staatliche und private Unterstützung auf ein Naturrecht pochen, und Geldgeber, denen für die Förderung das Doppelprinzip „Giesskanne und Hoffnung“ heilig ist, lehnen die kritische Überprüfung ihrer Leistungen empört als kulturzerstörend ab.
Doch die „Laissez-faire-laissez-aller-Fraktion“ mogelt sich an drei bedenkenswerten und unbequemen Tatsachen vorbei. Der Rechtfertigungsdruck für staatliche Kulturbudgets steigt in der Konkurrenz mit Bildung und Forschung, die ebenfalls auf eine bessere Mittelausstattung drängen. Zweitens: Den privaten Stiftungen, die ihre Fördertätigkeit aus den Vermögenserträgen alimentieren, stehen massiv sinkende Einnahmen zur Verfügung.
Drittens: Institutionen, die nach Gefühl und elastischen Kriterien fördern, vergrössern das Risiko für Missgriffe. Zu viel Geld fliesst in schwache und scheiternde Projekte, das bei starken und erfolgreichen fehlt. Der Miststock, auf dem Rosen blühen sollen, wächst über vereinzelte Blumen hinaus.
Grenzen und Klippen
Das sind einleuchtende Gründe für die Notwendigkeit, Gelingen und Versagen der Förderung und der Kulturvermittlung professionell als Teil des Kulturmanagements zu evaluieren. Es nimmt mit dieser anspruchsvollen Aufgabe eine oft schicksalbestimmende Verantwortung auf sich. Ob sie in jedem Fall getragen werden kann, darf Zweifel wecken.
Tasos Zembylas, Professor an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, bejaht Evaluationen „als Steuerungsinstrumente in der Kulturpolitik, zeigt aber Grenzen und Klippen auf. Ob „das Heil der Kulturpolitik (und des Managements von Kulturbetrieben) in den Wissenschaften“ liege, sei eine zentrale Frage.
Der Glaube, wissenschaftlich erarbeitete Erkenntnisse liessen sich automatisch übertragen auf politisches Handeln, das weder linear noch rein rational verlaufe, müsse überprüft werden. Für Zembylas ist es wichtig, von den Evaluierenden neben fachlicher auch soziale und kommunikative Kompetenz zu verlangen, die zu beurteilenden Fragen auf wissenschaftlich seriös beantwortbare zu beschränken und die Betroffenen einzubeziehen. Das Referat liest sich als Aufforderung an die Gilde der Examinatoren, ihr Wirken sorgsam zu evaluieren, auch zur Vermeidung von Kollateralschäden zu Lasten der Kultur.
Theorie und Milchbüechli-Rechnung
Das Nationaltheater Mannheim (NTM) stellte seine Bedenken gegenüber der Entwicklung eines „Wirkungszielmanagementsystems“ zurück – offensichtlich auch gegenüber dem Sattelschlepper-Begriff – und bot Hand zu einer Fallstudie. Darüber berichtet Laura Bettag, promovierte Kulturmanagerin und Referentin am NTM.
Der für die Formulierung von „Wirkungszielen“ im Rahmen der „gesamtstrategischen Infrastruktur der Stadt Mannheim“ betriebene personelle und zeitliche Aufwand war enorm, samt Erklimmung eines einschüchternden Theorien-Bergs, der ein Mäuschen gebar.
Zusammengefasst lauten die fünf Ziele: 1. Lokale bis internationale Wahrnehmung des NTM „als exzellent und innovativ“. 2. Ein für die Stadtgesellschaft impulsgebender Spielpan. 3. Akzeptanz der Bildungsangebote. 4. Realisierung internationaler Festivals und Koproduktionen. 5. Eigenfinanzierung im geplanten Umfang.
Die Ziele sind vernünftig. Hätten sich die Theaterverantwortlichen als helle Köpfe in kurzer Zeit nicht selber darauf einigen können? Wohl ja. Geht es an, die Erreichung von Zielen, die auch Qualitatives beinhalten, nach Art der Milchbüechli-Rechnung mit der Anzahl der Produktionen, der Besucher und Presseartikel aussagekräftig überprüfen zu wollen? Wohl nein.
Management und Qualität
Einen Ansatz mit höherer Differenzierung beschreibt Diana Betzler, Dozentin und Projektleiterin an der ZHAW, am Beispiel des Theaters Winterthur. Auf dessen Wunsch wurde mit Unterstützung externer Fachleute versucht, ein Qualitätsmanagement nicht allein unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu entwickeln, sondern unter Einbezug der zu erbringenden künstlerisch-kulturellen Leistungen.
Hinsichtlich der Betriebsführung brachten die wissenschaftlichen Bemühungen einen Nutzen. Der von der Stadt Winterthur verordnete Sparkurs konnte mit organisatorischen Verbesserungen ohne Personalentlassungen und programmliche Abstriche abgefedert werden.
Wissenschaft und Verwissenschaftlichung
Noch aber stösst das Kulturmanagement bei der Qualitätsbeurteilung methodisch an Grenzen. Betzler wirft denn auch das Problem auf, „ob sich das Qualitätsmanagement als Bestandteil der Kulturbetriebsführung langfristig legitimiert.“
Der Weg dorthin verläuft auf einem schmalen Grat, wird steil, steinig und glitschig sein. Bruno Seger und Leticia Labaronne vom Zentrum für Kulturmanagement an der ZHAW bestätigen es in hoffender Form: „Die Vielfalt der Erfahrungen eines kreativeren Umgangs mit Evaluationen in der Kultur zeigen eine, wenn auch wiederum kritisch reflektierte, Aufbruchstimmung.“
Zur Skepsis regen weitere Beiträge der hier besprochenen Zeitschrift an: sei es ausdrücklich oder verhohlen durch die Absicht, Kunst und Kultur mit einem akademisch geschneiderten Korsett die Luft abschnüren zu wollen.
Ja und Nein
Die Umstände gebieten den kulturfördernden und kulturvermittelnden Institutionen die unvoreingenommene Überprüfung ihrer Arbeit und der durch sie ausgelösten Wirkungen. Die Experten aus dem Kulturmanagement empfehlen sich als Partner – sofern sie darauf verzichten, Kunst und Kultur gleichmacherisch in die Leistungsgesellschaft des Kostendrucks, Zeitdrucks, des Erfolgs- und Eventdrucks integrieren zu wollen.
Die scharfe Trennung beginnt bei der Sprache. „Peer Reputation“, „Financial Performance“, „Stakeholder“, „Action Research“, „Customer Value“ und überhaupt der Imponier-Jargon der „Senior Consultants“ vernagelt den Kulturmanagern, was sie dringend brauchen: den Zugang zu den Kunst- und Kulturschaffenden, die immer noch so heissen und nicht „Human Capital for Cultural Development“.
Der Blick durch die für die Wirtschaft geschliffene Manager-Brille verzerrt die kulturelle Wirklichkeit, blendet deren Eigenheiten aus und verleitet zu irrigen Erkenntnissen und Konsequenzen. Umdenken ist Pflicht.
Auch aus einem historischen Grund: Die frühesten Zeugnisse künstlerischer Kreativität, figürliche Darstellungen wie die „Venus vom Hohle Fels“, entstanden vor 35’000 Jahren. Das Kulturmanagement ist etwas jünger. Sensibilität für Kunst und Kultur wäre einer Anstrengung wert.