Eine alte Bekannte hat mich vor einige Zeit mit der Frage konfrontiert: „Du machst also auch auf Selbstausbeutung“? Die Frau ist eine erfahrene Buch-Verlegerin, die mit Leib und Seele für ihr Unternehmen tätig ist – und dabei wenig verdient.
Bei gründlicherem Nachdenken kommt man kaum um die Erkenntnis herum, dass dem in einigen Milieus beliebten Selbstausbeutungs-Begriff eigentlich immer ein ironischer Beigeschmack anhaftet – unabhängig davon, ob der Sprechende oder Schreibende dies beabsichtigt oder nicht.
Das hängt zum einen davon ab, dass die Vokabel Selbstausbeutung zwangsläufig Assoziationen weckt zum berühmten Marxschen Diktum, Kapitalismus bedeute die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Dies wiederum ruft nach schmunzelnden Erinnerungen an die seinerzeit im kommunistischen Ostblock beliebte Gegenaussage: Im Sozialismus ist es genau umgekehrt!
Zum andern ist eine eindeutige Definition des Begriffs Selbstausbeutung praktisch unmöglich. Ein mässig oder schlecht bezahlter Architekt, Journalist oder mittlerer Bankangestellter, der von seinen Kollegen oder seiner Partnerin als „Workaholic“ eingestuft wird, empfindet seine Beschäftigung möglicherweise als interessante Selbstverwirklichung, die ihm Freude und Genugtuung verschafft. Sind Mitarbeiter von „Journal21“, die für Gotteslohn tätig sind, Selbstausbeuter?
Keine Frage, es gibt krasse Fälle von wirklicher Ausbeutung – am meisten verbreitet sind sie in armen Entwicklungsländern. Aber wer in hoch entwickelten Sozialstaaten das Thema Selbstausbeutung anschneidet, muss wissen, dass er sich da auf doppelbödigem Gelände bewegt. Wer den Begriff todernst meint und nicht in ironischem Sinne oder als Jammerliese verstanden werden will, sollte sich um präzisere, ideologisch weniger belastete Beschreibungen bemühen.