Sie haben viel für die freie Welt getan. Wir verdanken Ihnen viel. Sie haben sich für weltweiten Frieden, Sicherheit und Abrüstung eingesetzt: für eine liberale, demokratische Weltordnung, für westliche Werte. Sie hatten den Mut, dem Kriegsverbrecher im Kreml die Stirn zu bieten. Fast 100 Milliarden Dollar haben Sie dazu aufgewendet. Ohne Sie wäre die Ukraine heute wohl russisch.
Präsident der USA zu sein, gehört zu den härtesten Politjobs. Doch Ihre vier Präsidentenjahre können sich sehen lassen. Dies, obwohl Ihnen die Republikaner, aufgehetzt von ihrem nicht wiedergewählten Präsidenten, nur Felsbrocken in den Weg gelegt haben. Sie werden als offener, ehrlicher Präsident in die Geschichtsbücher eingehen. Ihr Wille war es, «die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen» (Uno-Charta). Und Sie packten zu: Während die Deutschen noch über die Lieferung von Schlafsäcken an die Ukraine lavierten, schicken Sie schon modernste Raketenabwehrsysteme.
Jetzt sind Sie 81 Jahre alt. Es ist keine Schande, wenn man in diesem Alter körperlich und geistig nicht mehr ganz so agil ist. Altsein ist kein Makel. Die einen sind mit 81 noch quietschlebendig, die anderen etwas weniger. Sie gehören zu den anderen.
Jetzt steht viel auf dem Spiel. Viel mehr, als viele in den USA und Europa wahrhaben wollen. Eine Wahl Donald Trumps könnte Amerika, Europa, die freie Welt in die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg stürzen. Der Ex-Präsident hat sich in jüngster Zeit mehr und mehr radikalisiert und diktatorische Gelüste geäussert. Die Gefahr besteht, dass er als Präsident die Verfassung umbiegt, dass er an seinen Gegnern Rache und Vergeltung übt, dass er mehr und mehr unbeschränkte Macht anstrebt. Schon deutet er an, dass er unliebsame Medien knebeln will. Seine Rhetorik wird immer rabiater und rassistischer. Millionen Ausländern droht der Rauswurf. Trump hat offen angekündigt, dass seine zweite Amtszeit radikaler und kompromissloser sein werde.
Natürlich gibt es immer Leute, die dies als aufgebauschte Panikmache bezeichnen und erklären, nicht alles würde dann so heiss gegessen. Wenn man sich da nur nicht täuscht. Ein Heer der namhaftesten und seriösesten Politologen warnt heute eindringlich vor Trump. Einige fürchten gar, dass es zu bürgerkriegsartigen Szenen kommen könnte. Schlagen wir diese Warnungen nicht in den Wind. Wir haben die Tendenz, Trumps Wortschwall, sein absurdes Gelaber und seine versteckten Drohungen als Worte eines Irrläufers und von Hass Getriebenen zu taxieren – und nehmen sie deshalb nicht ganz ernst. Das könnte sich als kapitaler Fehler erweisen.
Für die Ukraine würde ein Präsident Trump wohl das Ende der territorialen Integrität bedeuten. Schon deutete der Ex-Präsident an, dass er mit Putin über eine Aufteilung des Landes sprechen will. Putin tut alles, um eine Wahl Trumps zu ermöglichen. Das heisst ja schon viel.
Herr Präsident, schauen Sie der Realität in die Augen. In den Meinungsumfragen liegen Sie zurück. Seit Monaten schon, jetzt nach ihrem wenig souveränen Rededuell mit Trump und dem verunglückten ABC-Interview am letzten Freitag erst recht. In allen entscheidenden Staaten sieht es schlecht aus für Sie, so in Arizona, Nevada, Pennsylvania, North Carolina, Georgia, Nevada. Jetzt haben Sie auch noch die Unterstützung der einflussreichen liberalen «New York Times» und der «Washington Post» verloren.
Herr Biden, Sie waren ein guter Präsident, aber jetzt sind Sie nicht mehr in der Lage, das Land und die freie Welt zu führen. Die Gefahr ist riesengross, dass Sie die Wahlen am 5. November verlieren werden.
Tun Sie der freien Welt, tun Sie den USA und Europa einen letzten grossen Gefallen: Treten Sie zurück, machen Sie Platz für wen auch immer. Aber wer auch immer Ihren Platz einnehmen wird, er oder sie hat grössere Chancen, Trump zu verhindern.
Man sagt, die Zeit sei zu kurz, um einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin aufzubauen. Das ist kein überzeugendes Argument. Vergessen wir nicht: Sie, Herr Präsident Biden sind unbeliebt, doch auch Trump ist es. Zwar liegt er einige Prozentpunkte vor Ihnen, doch auch er ist mehrheitlich unerwünscht. Laut einer letzten Umfrage des Instituts Ipsos für Reuters haben 56 Prozent der Amerikaner und Amerikanerinnen eine schlechte (unfavorable) Meinung von Trump und nur 42 eine gute (favorable).
Gerade die kurze Zeit, die bis zum 5. November bleibt, kann eine Chance sein, denn die Mehrheit der Bevölkerung lechzt geradezu nach einem neuen Gesicht. Viele sagen sich: Wir wollen keinen von beiden, weder Biden noch Trump, wir wollen einen Neuen oder eine Neue. Ein aus dem Hut gezauberter Shootingstar würde einen Medienwirbel, einen Hype sondergleichen entfachen. Der Neue wäre sehr schnell landesweit bekannt.
Natürlich gäbe es kleinere Probleme. Was geschieht mit den Millionen Spendengeldern, die eigentlich an Sie, Herr Präsident, gebunden sind? Doch soll man wegen einer solch sekundären Frage die Wahl eines polarisierenden und gefährlichen Polterers riskieren?
Herr Präsident, Sie graben sich im Moment ein, verharren auf Ihrer Kandidatur und setzen Ihren Wahlkampf fort. Im Hintergrund sind allerdings ernsthafte Bestrebungen im Gang, Ihnen einen ehrenvollen Abgang zu ermöglichen. Einen solchen haben Sie verdient, Sie haben viel für uns getan. Natürlich ist es schmerzhaft, nach einem prallen Politleben plötzlich kapitulieren zu müssen.
Wenn Sie auf Ihrer Kandidatur beharren, werden Sie als sturer Alter in die Geschichte eingehen. Man wird Ihnen Realitätsverlust vorwerfen: Alters-Trotz. Sie werden als jener gelten, der das Wohl der freien Welt seinem Eigensinn und seiner Starrheit geopfert hat. Kein schönes Urteil. Und: Sie werden als einer beschrieben werden, der einem egomanischen Lügner Tür und Tor geöffnet hat.
Wenn Sie aber freiwillig und in Ehren zurücktreten, werden Sie in den Geschichtsbüchern gelobt werden, und zwar als einer, der das Wohl der Nation und das Wohl der freien Welt über die eigenen Interessen gestellt hat.
Mit vorzüglicher Hochachtung J21/hh