Nur Stunden nach seiner Amtseinführung revidierte und annullierte der neue US-Präsident Joe Biden einen ganzen Stapel von Erlassen seines Amtsvorgängers Trump.
Trumps Kritik
Er wollte damit zeigen, dass seine Ankündigungen während des Wahlkampfes ernst gemeint waren und dass er sich nicht davon abbringen lassen werde, zu korrigieren, was Trump falsch gemacht und womit dieser die USA und wichtige Bereiche der Weltpolitik in falsche Bahnen geleitet hatte. Erstaunlich wenig tat sich bisher allerdings in einer Frage, die alles andere als nebensächlich ist und die weitreichende Auswirkungen haben dürfte, wenn nicht bald etwas geschieht: die Frage des Atomabkommens mit Iran.
2015 nach mühsamen Verhandlungen zwischen Iran und den Sicherheitsratsmitgliedern USA, Grossbritannien, Frankreich, Russland und China plus Deutschland ausgehandelt, sollte der Vertrag die Gefahr einer atomaren Aufrüstung Irans reduzieren – wenn nicht überhaupt verhindern. Freude und Zufriedenheit darüber währten aber nicht lange: Der 2016 gewählte US-Präsident Donald Trump entwickelte sich rasch zum wortstarken Kritiker des Abkommens, weil dieses Themen wie Irans Raketenentwicklung ebenso ausser Acht lasse wie die machtpolitische Rolle Irans in diversen Gegenden des Nahen und Mittleren Ostens.
Verbündeter Israels
Trump wurde dadurch zu einem der militantesten Verbündeten Israels, dessen Premier Benjamin Netanjahu schon längst mit denselben Thesen argumentierte, mehr aber noch damit, dass der erklärte Israel-Gegner Iran insgeheim an der Entwicklung von Atomwaffen arbeite und damit eine Existenzbedrohung Israels darstelle. Dass Israel selbst schon seit Jahren Atom-Macht, nicht aber Unterzeichner einschlägiger Konventionen ist (wie zum Beispiel des Nichtverbreitungsabkommens NPT), spielte und spielt dabei nur eine nebensächliche oder gar keine Rolle. Ebenso die Aussage der US-Geheimdienste, Iran habe sein Atomwaffen-Programm bereits vor Jahren eingestellt.
Washington war immer schon Israels Verbündeter. So eng und bedingungslos wie unter Trump war die gemeinsame Front gegenüber Iran aber nie gewesen. Ganz besonders seit Trump 2018 den Rückzug der USA aus dem Atomabkommen erklärte und die seit 2015 eigentlich schrittweise aufgehobenen Sanktionen gegen Iran erneut verhängte. Unter massivem Druck der USA und der meisten anderen Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens sollte Teheran zu Neuverhandlungen und weiter reichenden Konzessionen gezwungen werden. Die iranische Führung lehnte jedoch ab und beschloss, Uran über das vereinbarte Mass hinaus anzureichern. Diesen Schritt werde man allerdings rückgängig machen, sobald Washington zum Abkommen zurückkehre und die Sanktionen aufgehoben würden.
Furcht vor bewaffneter Eskalation
Vor Ort setzten militärische Spannungen ein, die die Furcht vor einer bewaffneten Eskalation vergrösserten. An Schauplätzen und Vorwänden mangelte es nicht: Da gab – und gibt – es die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien, wobei Saudi-Arabien von Trump mit umfangreichen Waffenlieferungen bedacht wurde. Dazu kommen die iranische Unterstützung für Syriens Präsident Assad und immer wieder massive israelische Luftangriffe auf iranische Ziele in Syrien. Nicht zu vergessen die aufsehenerregenden Morde am iranischen Chef der „Jerusalem-Brigade“, Qasem Soleimani, durch die USA und am Kernphysiker Mohsen Fakhrisadeh – wahrscheinlich durch Israel.
Bis zum Ende von Trumps Amtszeit wurde deswegen spekuliert, dass es in letzter Minute noch zu einer militärischen Eskalation ungeahnten Ausmasses kommen könne. Dies trat jedoch nicht ein. Stattdessen verhärteten sich die politischen Fronten weiter. Zum Beispiel in Teheran: Bereits im August hatten konservative Kreise im „Majlis“ – dem iranischen Parlament – vorgeschlagen, klare Bedingungen für eine Rückkehr zum Atomabkommen zu stellen und bei Ablehnung durch Washington selbst offiziell das Abkommen zu verlassen. Monate später erhielten diese Forderungen eine Mehrheit im Parlament.
Wieder waren die Konservativen treibende Kraft: Nach dem Wahlsieg von Biden mussten sie „befürchten“, dass dieser sich mit Präsident Rohani verständigen und das Atomabkommen wiederbeleben könnte, bevor im Mai ein neuer iranischer Präsident gewählt würde. Dieser dürfte vermutlich aus dem konservativen Lager kommen, denn die Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung ist in den zwei Amtszeiten Rohanis beträchtlich gewachsen, obwohl dieser eher den Reformern zuzurechnen ist.
Innere Probleme Irans
Die schlechte Wirtschaftslage ist zwar Resultat der Iran-Sanktionen, aber gleichzeitig ist man sich heute mehr denn je bewusst, dass „die da oben“ Vetternwirtschaft und Korruption betreiben und die einfache Bevölkerung dabei den Kürzeren zieht. Obwohl es keine politischen Parteien gibt und deswegen auch keine langfristigen Wahlprognosen möglich sind, wird doch angenommen, dass nach den Jahren Rohanis nun wieder die Konservativen an der Reihe sein werden. Ganz so, wie es fast immer nach zwei Amtsperioden einen solchen „Lagerwechsel“ gegeben hat.
Sicher ist aber nichts, ausser dass die Unzufriedenheit sich nicht nur gegen die gegenwärtige, sondern immer mehr gegen jede politische Führung richtet, weil diese als machtbesessen und egoistisch angesehen werden. Dies mag ein Vorfall der letzte Tage verdeutlichen, der sich in Teheran ereignete:
Ein konservativer Abgeordneter und ehemaliger Regionalgouverneur liess seinen Fahrer im Zentrum der Stadt die reservierte Busspur benützen, wurde aber von einem Soldaten angehalten, der ihn aufforderte, die Spur zu verlassen. Der Abgeordnete war dazu nicht bereit, es kam zum Streit, und schliesslich gab er dem Soldaten eine Ohrfeige. Hunderte beobachteten den Vorfall, und wenig später erschienen Fotos im Internet und lösten einen „Shitstorm“ in den sozialen Medien aus. Der Rücktritt des Abgeordneten wurde gefordert und erst nach Vermittlung von Parlament und Militär kehrte Ruhe ein. Der Abgeordnete entschuldigte sich offenbar, aber er hat auch nicht gerade Sympathie für die Konservativen erzeugt.
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wahlen sollte Biden nicht allzu lange zögern. Aus dem Kreis seiner Mitarbeiter sind bisher aber widersprüchliche Dinge zu hören: Einmal heisst es, man müsse eine Rückkehr zum Atomabkommen mit neuen Verhandlungen und zusätzlichen Themen verbinden.
Für Teheran kommt das nicht in Frage: Für das Rohani-Lager nicht, weil es ein Nachgeben unter US-Sanktionsdruck wäre, für das Lager der Konservativen nicht, weil sie jede Regelung mit dem Ausland ablehnen. Und selbst wenn der Wahltermin im Mai noch nicht unmittelbar bevorsteht: Der iranische Nationalfeiertag am 11. Februar kommt bald. Und mit ihm – wie immer – eine Welle des Nationalismus und Nationalstolzes: nicht gerade die ideale Voraussetzung für die längst überfällige Rückkehr zu Vernunft, Ruhe und Normalisierung.