Ein neuer Weiterbildungskurs in Winterthur will nun ab Frühjahr 2013 Abhilfe leisten und internationale Beziehungen aus praxisnaher Perspektive vermitteln.
Aufgebaut wurde dieser Zertifikatslehrgang (CAS) in Foreign Affairs & Applied Diplomacy mitsamt einer gleichnamigen Fachstelle an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die in Winterthur ansässige School of Management and Law der ZHAW erkannte die Lücke und will nun dem wachsenden Bedürfnis Rechnung tragen. Somit soll neben Genf, Bern und St. Gallen auch im Wirtschaftsraum Zürich internationale Kompetenz zusätzlich gefördert werden.
Aussergewöhnlich an diesem viermonatigen Kurs (jeweils Freitag nachmittags und Samstagmorgen) ist der starke Praxisbezug. In kurzer Zeit haben sich auch über 24 Vereine, Handelskammern sowie vier Kantone für den CAS ausgesprochen. Damit konnten weitere Experten aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik gewonnen werden, die ihre Erfahrungen im Kurs an die Teilnehmenden weitergeben.
Die gut 100 Lektionen sind aufgeteilt in zwei Module: Zuerst wird unter dem Titel „Globale Herausforderungen und Antworten“ auf die Internationalen Beziehungen und Organisationen eingegangen. Modul II widmet sich danach den Schweizer Prioritäten in der Aussenpolitik sowie der angewandten Diplomatie. Die immer wichtiger werdenden kantonalen und regionalen Aussenbeziehungen werden dabei mitberücksichtigt.
Initiiert wurde die neue Fachstelle vom jetzigen Studienleiter Max Schweizer. Der ehemalige Diplomat mit dem Titel eines Ministers war während über 30 Jahren unter anderem in Madrid, Riad, Pretoria, Helsinki, in den baltischen Staaten und in Ankara für das Eidgenössische Departement des Äussern (EDA) im Einsatz. Die Etappe nach Winterthur war für den Zürcher Diplomaten jedoch nur noch 3 Zugstunden entfernt: In Genf, als Stellvertretender Missionschef der ständigen Vertretung der Schweiz bei der WTO und EFTA, befasste er sich von 2007 bis Sommer 2012 vor allem mit Freihandelsabkommen (EFTA) und der multilateralen Liberalisierung des Welthandels bei der Welthandelsorganisation. „Journal 21“ sprach mit ihm.
„Journal 21“: Herr Schweizer, was reizt Sie an diesem neuen Job?
Max Schweizer. Wer über Kreativität verfügt, fühlt sich von neuen Möglichkeiten immer angesprochen: Während die Strukturen und Rahmenbedingungen im EDA weitgehend von Dritten vorgegeben werden, können diese jetzt stärker mitbestimmt werden.
Waren Sie es, der auf die Idee kam, diese Weiterbildung anzubieten?
Ja, es war mir ein Anliegen, in einer international leicht „unterversorgten Region“ eine neue Fachstelle zu schaffen. Aussenbeziehungen gehen uns alle an – nicht nur das internationale Genf, sondern zum Beispiel auch Zürich.
An wen richtet sich diese Weiterbildung?
Der Studiengang richtet sich an ein sehr breites Spektrum von Interessenten, die in ihren Berufen Auslandkontakte pflegen. Daher ist dieser Kurs für Personen aus ganz verschiedenen Berufsgattungen von Relevanz. Beispiele wären Vertreter aus Wirtschaft und Politik (Städte/Gemeinden, Kantone, Bund), Public-Affairs-Angestellte, Medienschaffende, Vertreter von Branchenverbänden, Personal des höheren Zoll-und Polizeiwesens, Spezialisten der Migrationsthematik oder Gymnasiallehrer.
Was können die Studienteilnehmer nach diesem Kurs?
Sie sind mit den Grundlagen der Internationalen Beziehungen vertraut und können Probleme aus einer interdisziplinären Perspektive betrachten. Ferner erlaubt eine solche Kleinklasse (maximal 24 Teilnehmer) einen regen Austausch mit den Dozenten und Praktikern.
Dadurch gewinnen die Teilnehmer einen direkten Einblick und können auch die Fragestellungen und Herausforderungen aus ihren Berufsfeldern einbringen und mögliche Lösungsansätze diskutieren. Am Ende sollten die Teilnehmer die nötigen fachlichen und sozialen Kompetenzen haben, um im Kontakt mit dem Ausland überzeugender und selbstbewusster aufzutreten. Sie sind mit den aktuellen Herausforderungen vertraut, sie kennen die relevanten Institutionen, sie sind mit Personen aus diesem Gebiet in direktem Kontakt und sie wissen, wie und wo sie sich zusätzliche Informationen einholen können.
Geben Sie uns ein Beispiel: Wie wird die Euro-Krise in Ihrem Kurs behandelt?
Dies ist ein Musterbeispiel für die verschiedenen Perspektiven, die die Teilnehmer erwerben: Einerseits wird das Euro-Thema aus internationaler und nationaler Sicht betrachtet, andererseits wird die entsprechende Literatur und Praxiserfahrung vermittelt. In diesem Fall würde unter anderem auf die Theorie optimaler Währungsräume (OCA) eingegangen, gleichzeitig aber auch ein Austausch mit dem Vertreter eines KMU stattfinden. Diese Brücke zwischen Theorie und Realität in der Praxis wollen wir bei allen Themen schlagen.
Die Welt ist gross, die Kulturen sind grundverschieden. Ist es nicht etwas anmassend zu behaupten, dass man nach 100 Kursstunden versteht, wie die Japaner, die Kongolesen und die Bolivianer funktionieren?
Die Frage, ob interkulturelle Kompetenz erlernbar ist, kann am besten mit Jürgen Boltens (2007) Feststellung beantwortet werden, dass interkulturelle Kompetenz eine Kombination aus sozialen Fähigkeiten und Fachkompetenz ist. Nun braucht es jedoch für jeden Kulturkreis spezifisches Wissen und die entsprechende soziale Kompetenz. Der Schweizer Japan-Kenner ist nicht zwingend erfolgreich am Verhandlungstisch in La Paz. Was wir jedoch erreichen können in diesem Kurs, ist eine Grundlagenvermittlung, auf der aufgebaut werden kann.
Internationale Kompetenz entsteht in erster Linie durch Auslandaufenthalte, doch auch hier in der Schweiz kann durch den Erfahrungsaustausch mit den Gastdozenten viel dazugelernt werden. Auch die beiden Exkursionen nach Genf und Bern sollten diesbezüglich hilfreich sein. Schliesslich hat das Verstehen anderer Kulturen auch mit der individuellen Haltung zu tun. Ein langjähriger Aufenthalt in Kinshasa bringt nichts, wenn sich die Person nicht aktiv um einen Austausch mit den Personen und dem Umfeld vor Ort bemüht.
Was raten Sie zum Beispiel einem Schweizer Wirtschaftsvertreter, der in Japan Geschäfte machen will?
Sich vorher mittels Lektüre abzusichern und mit Personen, die mit dem ostasiatischen Inselstaat Beziehungen pflegen, ausgiebig zu sprechen. Sodann muss entschieden werden, ob direkt oder indirekt gewirkt werden soll: Im ersteren Fall handelt es sich um ein grösseres zeitliches Engagement, im zweiten Falle um etwas weniger.
Im Falle von Japan würde ich dazu raten, wenn immer möglich Unsicherheiten und Unklarheiten zu vermeiden. Es muss sehr oft kommuniziert und Abmachungen müssen mehrfach bestätigt werden. Zudem ist der informelle Austausch unabdingbar, denn erst dort kann über das Geschäft ehrlich und offen gesprochen werden. Schliesslich braucht es langjährige, gute Beziehungen, bis das Vertrauen geschaffen werden kann, welches eine solide Grundlage für geschäftliche Beziehungen bildet.
Und einem Wirtschaftsvertreter, der in der Türkei etwas aufziehen will?
Ihm würde ich in jedem Falle raten, mit einem soliden lokalen Partner zusammenzuarbeiten. Dieser kann zum Beispiel dank der Dienste der OSEC gefunden werden. Darüber hinaus wäre der Kontakt mit der Botschaft oder dem Generalkonsulat sicherlich hilfreich. Was auch immer die Ergebnisse dieser Abklärungen sein werden: Das eingegangene Risiko sollte immer „kalkulierbar“ sein.
Man behauptet oft, das Menschliche sei in der Wirtschaft sehr wichtig. Zwei Wirtschaftsvertreter kommen nicht ins Geschäft, wenn sie sich nicht mögen. Lernt man in ihrem Studiengang auch, auf Menschen zuzugehen?
Wie bereits erwähnt, ist soziale Kompetenz ein wichtiger Faktor. Bei Verhandlungen sind jedoch die jeweiligen Interessen genauso wichtig. Es gibt nicht nur Geschäfte zwischen Partnern, die sich mögen, denken Sie etwa an den Kalten Krieg und die Ostgeschäfte! Für das erfolgreiche Absolvieren des Kurses ist eine offene Haltung anderen Menschen gegenüber ein Muss. Ansonsten können die Präsentationen und die mündlichen Prüfungen nur mit Mühe absolviert werden.
Ihre Weiterbildung richtet sich auch an Journalisten. Es ist eine Tatsache, dass die Schweizer Medien die Auslandberichterstattung stark reduziert haben. Fürchten Sie nicht, dass nur wenige Medien ihre Leute zu Ihnen schicken, weil Auslandthemen immer weniger gefragt sind?
Nein. Die Schweizer Presse hat zwar immer weniger Auslandkorrespondenten, doch die Berichte der Presseagenturen über Ereignisse aus dem Ausland müssen auch hier in den Redaktionen verarbeitet werden. Dabei sind die Kompetenzen, die im CAS erlernt werden, äusserst hilfreich; sowohl bei der Interpretation von Mitteilungen, wie auch beim aktiven Einholen von zusätzlichen Informationen oder Zitaten.
Sind die Schweizer im Ausland nicht oft etwas blauäugig und überheblich? Ganz im Sinne von „Achtung Platz, jetzt kommen wir Schweizer, die mit dem roten Pass“.
Schweizer sind im Ausland sicher oft blauäugig; dies betrifft nicht nur risikofreudige Touristen, sondern auch renommierte nationale Firmen, die - und da staune ich immer wieder - allein schon in unserer unmittelbaren Nachbarschaft viel Geld in den Sand gesetzt haben! Überheblich? – Ich weiss nicht - unterscheiden wir uns diesbezüglich wirklich von unseren nördlichen, südlichen oder westlichen Nachbarn?
Eine höhere Kaufkraft fördert natürlich auch einen selbstbewussteren Auftritt, aber gilt das nicht für alle gleichermassen? Und schliesslich: Wer kann nach dem schmerzvollen Swissair-Grounding noch mit erhobenem Haupt umherwandeln? Und welchen Eidgenossen beschleicht nicht eine leichte Melancholie, wenn er Flieger mit dem Namen „Swiss“ am Himmel sieht, die aus dem Norden ferngesteuert sind?
Die Schweiz ist ein kleines Land. Es gibt bei uns immer noch Leute, die glauben, wir könnten uns einigeln und alles alleine machen. Wie wenden Sie sich als langjähriger Diplomat an diese Leute?
Diese Sichtweise ist völlig normal, sie ist in den meisten Ländern vorhanden. Aber es gibt eben auch wichtige Bereiche in denen jeder sein eigenes Haus in Ordnung zu halten hat, Bereiche, in denen nur lokale, regionale oder nationale Lösungen zählen. Analysiert man die griechische Tragödie oder etwa die der spanischen Jugendarbeitslosigkeit, dann sind es „nationale Systeme“, die versagt haben.
Wünschen Sie sich mehr Engagement in der schweizerischen Aussenpolitik? Oder sind wir so klein, dass wir ohnehin kaum wahrgenommen werden?
Ich staune immer wieder über das Interesse an der Schweizer Aussenpolitik; ich verweise zum Beispiel auf das Forum Aussenpolitik (foraus) oder etwa auf die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA).
Zur Wahrnehmung: Wir werden überdurchschnittlich stark wahrgenommen, wir sind ganz eigentlich privilegiert! – Dies wird erst deutlich, wenn wir uns einwohnermässig zum Beispiel mit dem Freistaat Bayern, der ja um einiges grösser und bevölkerungsreicher ist, oder etwa mit dem Grossraum Istanbul vergleichen.
Sie waren 30 Jahre lang in Kontakt mit ausländischen Diplomaten, Politikern und Wirtschaftsvertretern. In der Schweiz gibt es Stimmen, die sagen, das Image der Schweiz im Ausland sei heute stark angeschlagen. Sehen Sie das auch so?
Das Image eines Landes, das geringe Staatsschulden, eine tiefe Arbeitslosenquote und eine hohe Innovationsrate aufweist, kann gar nicht „stark angeschlagen sein“, das schliesst sich gegenseitig aus.
Nach 30 Jahren Diplomatie sind Sie jetzt also Dozent. Was ist das für ein Gefühl?
Zuerst ist es eine Art Fortsetzung des dauernden Rollenwechsels, den wir im Rahmen unserer Existenz absolvieren: Schüler, Lehrling, Absolvent des 2. Bildungsweges, Student und später Doktorand, dann Diplomat mit all seinen hierarchischen Stufen, jetzt Dozent. – Nun zum Gefühl: schon wieder „grossartig“!
(Die Fragen stellte hh)