Die Stimmung in Schweden ist zurzeit offenbar nicht besonders frohgemut. Die Regierung und zumindest ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sind verärgert, weil die WHO und eine Reihe europäischer Länder Schweden wegen der hohen Zahl von Covid-19-Neuerkrankungen als «Risikogebiet» einstufen. Das versperrt vielen Schweden den Weg zu den geplanten Ferien im Ausland und dürfte auch dem einheimischen Tourismus empfindliche Einbussen bescheren.
Das Nordland hatte zu Beginn und in den ersten Wochen der Corona-Pandemie weitherum Aufmerksamkeit erregt, weil es sich, abgesehen von Weissrussland, praktisch als einziges Land dazu entschieden hatte, auf eine breit angelegte Lockdown-Strategie zu verzichten. Die Landesgrenzen blieben geöffnet, ebenso Grundschulen und Restaurants. Die Regierung setzte auf die Verantwortung des Einzelnen und hoffte auf ein rasches Erreichen der sogenannten Herdenimmunität, die eine Ausbreitung des Virus entscheidend einschränken würde.
Manche Stimmen in der Schweiz und anderswo in Europa äusserten sich über das «schwedische Modell» mit Interesse und Sympathie. Man betrachtete es als attraktive Alternative zu den härteren Massnahmen der eigenen Obrigkeit, die als übertrieben, wirtschaftlich verheerend, oder autoritär kritisiert wurden. Inzwischen aber hat das «schwedische Modell» einiges von diesem Glanz eingebüsst. Die Zahl der Corona-Todesfälle pro Million Einwohner ist um ein Mehrfaches höher als in den skandinavischen Nachbarländern und mehr als doppelt so gross wie in der Schweiz. Die Neuinfektionen bleiben hoch, die Einstufung als «Risikoland» schmerzt, und wirtschaftliche Vorteile gegenüber den «Lockdown-Ländern» sind nicht zu erkennen.
Doch das alles ist kein Grund zur Häme oder Schadenfreude. Wir sollten im Grunde dankbar dafür sein, dass die Schweden sich für einen alternativen Weg gegen die Covid-19-Seuche entschieden haben. Wie könnten wir ohne diese Vergleichsreferenz je näher beurteilen, ob unsere Lockdown-Strategie einigermassen sinnvoll und angemessen war? Und welche konkreten Argumente würde man heute jenen Matadoren entgegenhalten, die schon vor Monaten behaupteten, die Schweden machten es im Feldzug gegen die Corona-Gefahr ungleich vorbildlicher und effizienter als der Berner Bundesrat?
Angebracht wäre bei dieser Debatte etwas mehr Bescheidenheit und weniger Rechthaberei – und zwar auf allen Seiten. Es trifft zu, dass es für ein abschliessendes Urteil über die richtigen und wirkungsvollsten Rezepte gegen die Covid-19-Ausbreitung noch zu früh ist. Wir können heute nur über ein Zwischenergebnis diskutieren. Niemand weiss genau, wie es mit dieser globalen Plage weitergeht und welche Massnahmen sich im späteren Rückblick als die effizientesten erweisen werden. Wir fahren, wie die deutsche Bundeskanzlerin schon im Frühstadium der Virus-Krise sagte, alle «auf Sicht».
Im Prozess von Trial and Error (Versuch und Irrtum) gegen die Corona-Herausforderung spielt das «schwedische Modell» unbestreitbar eine wichtige Rolle.