Der erste und zweite Wahlgang haben drei Dinge deutlich gemacht: Erstens: Der Wahlpakt zwischen der Linken und Berlusconi hat nicht funktioniert. Zweitens: Die Linke ist tief gespalten. Drittens: der linke Parteichef Pierluigi Bersani ist schwer angeschlagen.
Die wichtigsten Fragen, die sich die Römer Politexperten am Donnerstagabend stellen, lauten: Hat Franco Marini überhaupt noch eine Chance? Viele haben ihn schon abgeschrieben. Wird bald ein neuer Name ins Spiel gebracht?
Der linke Parteiführer Pierluigi Bersani hatte sich am Mittwochabend gemeinsam mit Silvio Berlusconi auf die Kandidatur von Franco Marini geeinigt. Auch der bisherige Ministerpräsident Mario Monti schloss sich dieser Empfehlung an.
Doch im ersten Wahlgang am Donnerstagvormittag erzielte Marini ein überraschend schlechtes Ergebnis: nur 521 der 1007 Abgeordneten und Delegierten stimmen für ihn. Um die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, hätte er mindestens 672 Stimmen benötigt.
Demütigung des linken Partei-Chefs
Auf dem zweiten Platz liegt der vom Ex-Komiker Beppe Grillo vorgeschlagene Stefano Rodotà mit 240 Stimmen. Er wurde von der „linken Linken“ unterstützt. Der bald 80-jährige linke Rodotà ist Jurist und war Hochschulprofessor. Beppe Grillo hatte Rodotà aufgestellt, nachdem die Fernsehjournalistin Milena Gabanelli eine Kandidatur abgelehnt hatte. 104 Abgeordnete haben leer eingelegt.
Franco Marini war früher Mitglied der sehr bürgerlichen, katholischen Democrazia Cristiana (DC). Er gehört jetzt dem katholischen Flügel der Linken an. Bersani war es, der Marini als „seinen“ Kandidaten vorgeschlagen hat. Berlusconi, der einen möglichst rechtsgerichteten Linken will, stimmte dem Vorschlag zu.
Das schlechte Ergebnis von Marini, ein ehemaliger Senatspräsident, ist vor allem eine Demütigung für Pierluigi Bersani. Ihm war vor dem ersten Wahlgang vorgeworfen worden, er sei vor Berlusconi in die Knie gegangen. Franco Marini sei eigentlich Berlusconis Kandidat. Sogar Alessandra Moretti, die Sprecherin von Bersani, hat im ersten Wahlgang leer eingelegt. Michele Emiliano, der linke Bürgermeister von Bari, hat in einem Tweet Bersani aufgefordert zurückzutreten.
Vor dem Palazzo Montecitorio in Rom, wo die Wahl stattfindet, demonstrierten am Donnerstag einige hundert aufgebrachte Linke gegen Bersani. „Wir stimmen nicht mehr für euch“, hiess es auf Transparenten. „Nein zum mörderischen Pakt mit dem Kaiman“. Der Kaiman, das Krokodil, wäre Berlusconi. Auch in Tausenden SMS, Tweets und Facebook-Einträgen wurde Bersani angeprangert.
Der „Putsch“ von Matteo Renzi
Bersanis linkes Parteienbündnis ist plötzlich tief gespalten. Matteo Renzi, der 38-jährige Bürgermeister von Florenz und Mitglied des sozialdemokratischen Partito Democratio (PD) stichelt seit Wochen gegen seinen Parteiführer Pierluigi Bersani.
Bei den Primärwählen im vergangenen Herbst, war er Renzi, der „Jungtürke“, von Bersani noch klar geschlagen worden. Doch in der Zwischenzeit ist er laut Meinungsumfragen zum beliebtesten Politiker Italiens aufgestiegen.
Jetzt sah er die Zeit gekommen, offen gegen Bersani aufzustehen. Die altgedienten Parteigrössen innerhalb der Linken sind entrüstet. Anna Finocchiaro, einst Ministerin und jetzt Fraktionschefin der Linken im Senat, nannte Renzi einen „miserabile“.
Renzi wirft Bersani vor, er akzeptiere die Niederlage bei den Wahlen im vergangenen Februar noch immer nicht. Er wolle sich in die Arme von Beppe Grillos Protestbewegung „5 stelle“ werfen - nur, um endlich Ministerpräsident zu werden. Renzi fordert baldige Neuwahlen, um den politischen Stillstand zu beenden – eine Forderung, die Bersani kategorisch ablehnt.
Renzi geniesst in seiner Partei vor allem bei den Jüngeren viel Unterstützung. Vor dem ersten Wahlgang rief er dazu auf, nicht für den von Bersani vorgeschlagenen Franco Marini zu stimmen, sondern für Sergio Chiamparino, den Bürgermeister von Turin.
Auch die pointiert linke Partei „Sinistra, Ecologia, Libertà“ (SEL) von Nichi Vendola scherte aus. SEL gehört dem Mitte-Links-Parteienbündnis an. Vendola rief seine Parlamentarier auf, für Rodotà zu stimmen.
Kalkül im zweiten Wahlgang
Um 15.40 Uhr begann der zweite Wahlgang. Sowohl die Bersani-Partei als auch das Berlusconi-Bündnis vereinbarten, im zweiten Durchgang „weiss“, also leer einzulegen.
Deshalb erzielte Franco Marini nur 15 Stimmen. Stefano Rodotà kam auf 230 Stimmen, Sergio Chiamparino auf 90, Massimo D'Alema auf 38 und Romano Prodi auf 13. Weit entfernt von den nötigen 672 Stimmen. Das Ganze wurde zur Farce.
Das ist Kalkül. Um in den ersten drei Wahlgängen gewählt zu werden, braucht ein Kandidat mindestens zwei Drittel aller Stimmen. Der erste Wahlgang hat gezeigt, dass Franco Marini dies offenbar nicht schaffen wird.
Also wartet man auf den vierten Wahlgang. Dann muss ein Kandidat nur noch das absolute Mehr der Stimmen erhalten. Dieses hat Marini, wenn auch nur mit einer Mehrheit von 20 Stimmen, im ersten Wahlgang erzielt.
Doch bis zum vierten Wahlgang kann noch einiges geschehen. Jetzt beginnt das taktieren und paktieren hinter den Kulissen. Und wer weiss: plötzlich zaubert diese ohne jene Partei einen neuen Kandidaten aus dem Hut.
Die alten Schlachtrösser
Der Druck, schon bald einen neuen Kandidaten aufzubauen, ist gross. Hat Stefano Rodotà eine Chance? Oder kommt eines der alten Schlachtrösser doch noch zu Ehren? Prodi wird wieder gehandelt, oder D’Alema, Amato, Bonino? Oder taucht plötzlich ein ganz neuer Name auf?
Wann auch immer der neue Staatspräsident gewählt wird, eine seiner ersten Aufgaben könnte es sein, Neuwahlen auszuschreiben. Dann nämlich, wenn sich die Parteien nach dem Patt bei den Wahlen im Februar nicht auf eine funktionsfähige Regierung einigen können. Neuwahlen wünschen sich sowohl Berlusconi als auch Renzi. Das Berlusconi-Bündnis hat laut einer jüngsten Meinungsumfrage für den Corriere della sera die Linke knapp überholt. Berlusconi hofft, erneut Ministerpräsident zu werden. Er reibt sich jetzt schon die Hände. Das Trauerspiel der Linken gibt ihm Wasser auf die Mühlen. „Seht nur“, wird er jetzt sagen, „die Linke ist wieder einmal gespalten, sie ist nicht regierungsfähig“.
Renzi, Primadonna
Auf der andern Seite hofft der dynamische Renzi, dass seine sozialdemokratische Partei den bisherigen Parteichef Pierluigi Bersani durch ihn ersetzen wird. „Mit Bersani gewinnt man keine Wahlen“, sagt er mit Blick auf das enttäuschende Wahlergebnis im Februar. Er zählt darauf, dass - laut Meinungsumfragen - Berlusconi nicht einmal halb so vertrauenswürdig ist wie er. „Mit mir an der Spitze der Partei“, sagt er selbstsicher, „wird die Linke die nächsten Wahlen gewinnen“.
Renzi hat auch schon Primadonna-Allüren. Bei der heutigen Wahl fand er es müssig nach Rom zu reisen und blieb in Florenz. Dies akzeptierte der Chefredaktor der linksliberalen Römer Zeitung "La Repubblica" gar nicht. "Das ist die wichtigste Wahl, die es in Italien und einer, der Parteichef werden will, bleibt zu Hause. Wo ist das demokratische Bewusstsein? Schande über Renzi."