Das Massaker ereignete sich am Samstag in Dasht-e-Barchi, einem Vorort im Westen Kabuls. Über hundert Menschen wurden teils schwer verletzt. Die meisten Opfer sind zwischen 9 und 20 Jahre alt.
Nach Angaben von Tareq Arian, einem Sprecher des Innenministeriums, war unweit der Sayed Al-Shuhada-Mädchenschule eine Autobombe explodiert. Als die Schülerinnen in Panik das Gebäude verliessen, seien weitere Sprengsätze detoniert.
„Ich eilte zum Tatort und fand mich inmitten von Leichen wieder, deren Hände und Köpfe abgetrennt und deren Knochen zertrümmert waren“, zitiert der Fernsehsender al-Jazeera Mohammad Taqi, einen Bewohner von Dasht-e-Barchi. Seine zwei Töchter waren in der Schule und blieben unversehrt.
Die Taliban oder der „Islamische Staat“?
Nicht klar ist, wer hinter dem Anschlag steckt. Die Regierung machte sogleich die Taliban für das Blutbad verantwortlich. Diese jedoch streiten jede Verantwortung ab und erklären, sie würden „Bildungszentren und Bildungseinrichtungen schützen und pflegen“. Im weiteren betonten sie, sie hätten seit dem Februar letzten Jahres, als mit Washington ein Abkommen unterzeichnet wurde, keine Anschläge mehr in der Hauptstadt Kabul durchgeführt.
Der Vorort Dasht-e-Barchi wird vor allem von Hazara bewohnt. Sie sind schiitische Muslime, die in dem 38 Millionen Einwohner zählenden Afghanistan seit jeher unter Verfolgung leiden. Vor allem sunnitische Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) verüben immer wieder Attentate. Beobachter schliessen nicht aus, dass IS-Terroristen auch jetzt für den Anschlag auf die schiiitische Mädchenschule verantwortlich sind.
Laut a-Jazeera machen Bewohner von Dasht-e-Barchi die Regierung für die mangelnde Sicherheit verantwortlich. Es habe über eine Stunde gedauert, bis die ersten Polizeikräfte am Ort der Explosionen eingetroffen seien. Als Polizei, Geheimdienst und Krankenwagen endlich eintrafen, wurden sie zur Zielscheibe wütender Menschen. Einige der Bewohner hätten gar den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani für die jahrelange Verfolgung der Azara verantwortlich gemacht.
Am Sonntag wurden die getöteten Mädchen auf einem abgelegenen Bergfriedhof, der den Hazara als Märtyrerfriedhof dient, beigesetzt.
IS-Attentate
Im Mai letzten Jahres verübte in Dasht-e-Barchi eine Gruppe von Bewaffneten einen Überfall auf ein Spital. 24 Menschen starben, darunter 16 Mütter von Neugeborenen.
Am 24. Oktober sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einem Unterrichtszentrum im selben Bezirk in die Luft und tötete 18 Menschen. Zu dem Anschlag bekannte sich der IS.
Ross Wilson, der amerikanische Botschafter in Afghanistan, nannte die Explosionen vom Samstag „abscheulich“. „Dieser unverzeihliche Angriff auf Kinder ist ein Angriff auf die Zukunft Afghanistans, der nicht hingenommen werden kann“, twitterte Wilson.
„Klare Verletzung der Vereinbarung“
Präsident Donald Trump und die Taliban hatten letztes Jahr in Doha vereinbart, dass die USA ihre verbleibenden 3’500 Soldaten bis zum 1. Mai aus Afghanistan abziehen würden. Präsident Biden verlängerte jedoch die Frist. Dagegen hatten die Taliban energisch protestiert und sprachen von einer „klaren Verletzung der Vereinbarung“. Haibatullah Akhunzada, der Chef der Taliban, erklärte am Sonntag: „Wenn Amerika erneut seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, müssen die USA alle Konsequenzen tragen.“
Seit Ende April und Anfang Mai wurde das Land von zahlreichen Attentaten erschüttert.
Kurz vor dem 1. Mai brachte ein Selbstmordattentäter einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen vor einem Gästehaus in Pul-e-Alam zur Explosion. 25 Menschen, vorwiegend Studenten, starben.
Am 1. Mai brach am nördlichen Rand der afghanischen Hauptstadt ein Feuer in mehreren Öltankwagen aus. Mindestens sieben Menschen starben. Weite Teile der Hauptstadt versanken in Dunkelheit.
(J21)