Zunächst die vermeintlich guten Nachrichten. Die EU-Kommission bestätigt amtlich: Griechenland hat einen Primärüberschuss von 0,8 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Neue griechische Staatsanleihen gingen vor zwei Wochen weg wie warme Weggli, zu relativ bescheidenen Zinssätzen um 5 Prozent. Jetzt sollten endlich alle Schwarzseher, die von einem Pleitestaat sprechen, Pause machen.
Rechenkünste
Sehen wir’s positiv und nehmen an, dass diese Zahl stimmt und die Griechen die 1,5 Milliarden Euro Überschuss nicht wieder hingeschummelt haben. Damit muss es aber beim Vertrauen in den griechischen Götter- und Zahlenhimmel sein Bewenden haben. Denn was ist ein «Primärüberschuss» genau? Das ist die Summe aus den Einnahmen und Ausgaben des Staates – ohne Schuldzinsen und Tilgung.
Die spielen aber bei Staatsschulden, die gleichzeitig im Jahr 2013 auf den Rekordwert von 175 Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt) gestiegen sind, schon eine Rolle. Berücksichtigt man sie, haben wir ein neues Rekorddefizit von 12,7 Prozent des BIP, rauf von 8,9 Prozent im Jahr 2012. Aber das ist noch nicht alles. Würde man nur die Schuldzinsen abziehen, hätte Griechenland immer noch ein Haushaltsdefizit von 8,7 Prozent, wie die NZZ vorrechnet.
Wie macht man nun aus minus 8,7 Prozent plus 0,8 Prozent? Ganz einfach, wozu gibt es kreative Buchhaltung. Man rechnet zusätzlich noch «Sonderfaktoren» und «einmalige Massnahmen» raus. Nach der guten alten Devise: Was Europa ist, was eine europäische Buchhaltung ist, das bestimmt immer noch die EU, in diesem Fall die Troika. Also nimmt die unter anderem mal kurz Ausgaben von immerhin 10 Prozent des BIP für die Rekapitalisierung von absaufenden griechischen Banken raus. Warum? Na, darum.
Übersetzung hilft
Nehmen wir an, es gäbe den Zeyerstaat, fröhliches 29. Mitglied der EU. Der hat ein BIP von 100'000 Euro und Staatseinnahmen von 30'000 Euro. Dem stehen aber Ausgaben von rund 43'000 Euro gegenüber, was einem Defizit von 13 Prozent am BIP gemessen entspricht. Zudem hat der Zeyerstaat Schulden in der Höhe von 175'000 Euro. Damit wäre er restlos und unheilbar pleite und niemand würde ihm Geld leihen, weil ja seine Schulden kontinuierlich steigen, sein BIP aber nicht. Oder höchstens zu unbezahlbaren Zinsen von 30, 40 Prozent, wie das bei Griechenland auch schon der Fall war. Aus die Maus.
Nun ist aber der Zeyerstaat Mitglied der Eurozone, und das wäre seine Rettung. Er sagt dann nämlich «Hilfe», und ein Wunder geschieht. Die EU schmeisst ihm Kredite nach, rasiert seine Gläubiger und ermöglicht es ihm, dank impliziter EU-Garantie neue Schulden zu vergleichsweise erträglichen Zinsen aufzunehmen. Und setzt die Zinsen seiner Altschulden so niedrig an, dass sie sogar unter der Inflationsrate liegen. Wäre der Zeyerstaat damit gerettet? Leider nein. Aber er könnte weiter vor sich hinwursteln.
Auf in die Zukunft
Wenn die Gegenwart rabenschwarz aussieht, träumt man sich die Zukunft schön. Das heisst in der EU: Bis 2022 soll die griechische Verschuldung auf «nur» 110 Prozent des BIP sinken. Wie das geht? Na, einfach, kräftiges Wirtschaftswachstum plus ständiger Primärüberschuss. Da steigen die Einnahmen durch Steuern, und wenn der Staat ständig mehr Geld einnimmt als ausgibt, dann tilgt er die Schulden und die sinken sowieso prozentual am steigenden BIP gemessen. Ist doch trivial.
Da wollen wir uns diese Zukunftsträumereien doch nicht durch pessimistische Blicke in die Vergangenheit verderben lassen, also durch die Tatsache, dass Griechenlands BIP seit 6 Jahren ständig schrumpft und selbst bei einem utopischen Wachstum von kontinuierlich 5 Prozent pro Jahr erst in cirka 5 Jahren überhaupt wieder das Niveau von 2007 erreichen würde. Oder durch die kompetente Realrechnung des deutschen Instituts für Wirtschaft (IfW), dass Griechenland über viele Jahre einen Primärüberschuss von mehr als 5 Prozent bräuchte, um seine Schulden wenigstens stabil zu halten. Wohlgemerkt ohne kreative Buchhaltung bei dessen Berechnung.
Kassensturz
Also ist’s mal wieder eine gute Gelegenheit für einen Kassensturz. Griechenland war und ist pleite. Anders als durch einen massiven weiteren Schuldenschnitt, besser wohl durch den x-ten Staatsbankrott in der griechischen Geschichte, kommt das Land aus dieser Nummer nicht raus. Alles andere ist die Verwechslung von Wünschen mit Wahrheit. Und umso länger man wünscht, umso mehr leiden die Griechen. Unter zunehmender Verarmung, zusammenbrechenden staatlichen Infrastrukturleistungen wie im Gesundheitssystem, unter einer unsäglichen Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent.
Bleibt noch eine Frage: Wieso dann diese Jubelmeldungen? Die auch von seriösen Organen wie der NZZ («Griechenland nimmt wichtige Hürde») oder dem «Spiegel» («Griechen sparen sich ins Plus») aufgenommen werden? Ganz einfach. In einem Monat sind Europawahlen. Und noch niemals wurde vor Wahlen von den Regierungen schlechte Laune verbreitet. Der Katzenjammer soll gefälligst warten. Kostet doch nur ein paar weitere rausgeschmissene Milliarden.
Ist ja auch nicht Regierungsgeld. Sondern Steuergeld. Und den Steuerzahler brauchen die Eurokraten im Moment als Wähler. Der schlechtmöglichste Zeitpunkt, um ihm offen ins Portemonnaie zu greifen. Das wird er erst los, wenn er seine Stimme abgegeben hat. Denn weg ist weg.