Die Solothurner Filmtage führen jedes Jahr und zweifellos erneut vom 22. bis 29. Januar vor Augen, wie sehr staatliche und private Förderer samt SRG als Mitfinanziererin ihre Millionen alarmierend häufig in den Sand setzen. Regelmässig unterstützt werden Filme, die von der Öffentlichkeit zu Recht kaum beachtet werden. Daran sind hauptsächlich Expertinnen und Experten schuld, die unerschütterlich dem Glauben anhängen, auf Drehbücher sei Verlass. Trügerischer kann eine Entscheidungsgrundlage nicht sein. Sie führt schnell auf Schleuderkurs.
Unzuverlässige Prognosen
Film ist Spekulation. Das ist sein Wesen, seine Faszination und sein Problem. Deshalb weiss niemand, ob ein Filmprojekt gelingt. Gelungen im Sinne der Förderung ist ein Film, wenn er eine gesellschaftliche Relevanz besitzt, auf der Leinwand und auf dem Bildschirm ein grosses oder ein an einem bestimmten Genre besonders interessiertes Publikum für sich einnimmt, wenn er die Kritik zum Diskurs herausfordert, Festivalpreise gewinnt und wenigstens die nicht mit Beiträgen à fonds perdu gedeckten Kosten einspielt.
Diese Ziele bleiben für die Mehrheit der Filme unerreichbar. Mal überzeugen sie künstlerisch, mal wirtschaftlich; zu oft scheitern sie doppelt. Das Ergebnis entzieht sich jeder zuverlässigen Prognose.
Das Risiko bleibt
Die Förderer bemühen sich um die Risikobegrenzung und verlangen von den Produzenten Budgets und Finanzierungspläne, Stabs- und Besetzungslisten, Absichtserklärungen und Vorverträge oder Verträge mit Verleihern, Fernsehanstalten und Koproduzenten.
So detailliert und ordnerfüllend diese Papiere auch sind, so wenig taugen sie für die Ausrechnung des Erfolgs. Sie erlauben, die Kompetenz der Beteiligten und die Sorgfalt der Vorbereitung zu überprüfen, gehen jedoch über das Gewicht ehrlich gemeinter oder schön gefärbter Versprechungen nicht hinaus.
Drehbücher als Strohhalme
Als aussagekräftig stufen die Förderer die Drehbücher ein und messen ihnen für die Entscheide eine zentrale Bedeutung zu. Aber mehr als Strohhalme sind die Drehbücher auch nicht.
Sie geben wohl Aufschluss über das Thema, die Dramaturgie, die Dialoge. Doch nach der Lektüre macht sich jeder vom Film ein anderes Bild und eines, das sich mit jenem der Regie keineswegs decken muss. Vom Drehbuch zum Film führt keine eindeutig definierte Linie, sondern ein aleatorisches Liniengewirr.
Ein Drehbuch ist vom Film noch entfernter als eine Partitur vom Konzert, eine Bühnenvorlage von der Inszenierung oder ein Bauplan vom Bau. Es vermittelt in Worten lediglich eine Ahnung dessen, was an Bildern und Bewegungen werden soll. Die unerwartete Verwandlung glänzender Vorlagen in matte Filme und wackliger Entwürfe in solide Werke ist bekannt.
Glückliche Fügungen
Das Gelingen hängt von schwerlich beeinflussbaren Faktoren ab: Von erhofften und nicht erzwingbaren Geistesblitzen, vom schauspielerischen Vermögen, das sich so wenig befehlen lässt wie die geniale Kamera, das ideale Wetter, der perfekte Schnitt und das Arbeitsklima, das beflügeln oder lähmen kann. Es braucht als Geschenk der küssenden Musen glückliche Fügungen.
Drehbücher sind unverzichtbar für die Vorbereitung und die Realisierung einer Produktion. Die am Film leitend Beteiligten können korrigierend in die Herstellung eingreifen. Diese Kompetenz haben die Förderexperten beruhigenderweise nicht. In ihren Händen stiften Drehbücher immer wieder Unheil. Es begleitet das Filmschaffen seit Jahr und Tag.
Bescheidene Marktanteile
Erreichen die dänischen, norwegischen und niederländischen Filme auf ihren Heimmärkten einen Anteil von über zwanzig Prozent und die schwedischen und finnischen von klar über zehn, verharren die schweizerischen ebenso klar unter der Zehn-Prozent-Marke.
Aus schweizerischer Produktion halten "Die Schweizermacher" von Rolf Lyssy die Spitze der hiesigen Kinoeintritte mit einer Million. Bettina Oberlis "Herbstzeitlosen" sahen 600.000 Personen, Fredi M. Murers "Vitus" knapp 300.000 und Bille Augusts Koproduktion "Nachtzug nach Lissabon" annähernd 200.000. Zum Vergleich: "Titanic" ist mit zwei Millionen absoluter Rekordträger.
Wesentlich länger ist die Liste der generös geförderten Spiel- und Dokumentarfilme, die sich teils mit wenigen Tausend Kinobesuchern bescheiden mussten und auch qualitativ in der Filmgeschichte Fussnoten bleiben.
Mut als Ausrede statt Leistung als Massstab
Werden Filmförderer auf die dürftige Bilanz angesprochen, wehren sie sich mit dem Standard-Argument, vonnöten sei der Mut zum Risiko. Das ist leider keine Erfolgsstrategie, sondern eine von Selbstkritik freie Ausrede, um sich der Verantwortung zu entledigen. Geradezu wie Arbeitsverweigerung klingt das Leitmotiv des Geschäftsführers der Zürcher Filmstiftung: "Wir orientieren uns am 'Hollywood-Prinzip': Erfolg ist, wenn ein Film von zehn funktioniert." So viel Stolz aufs eigene Ungenügen blendet auch simpel aus, dass sich in Hollywood private und an der Limmat Steuergelder in Rauch auflösen.
Ohne Risiko kann die Förderung naturgemäss nicht sein. Aber "Mut" als heftiges und erregtes Verlangen, als Waghalsigkeit und Draufgängertum bis hin zur Mutwilligkeit und zum Übermut ist bei der Risikoabwägung wahrlich weder eine Tugend noch ein Beweis für ein liberales Kulturverständnis.
Gretchenfrage
Effektiver und verantwortungsbewusster als die unbändige Risikofreude ist das Vertrauen in die Projektverantwortlichen aufgrund ihrer bisherigen Leistungen. Für deren Beurteilung braucht es Sachverstand und keinen Mut. Die Gretchenfrage lautet, ob die besten Filmschaffenden oder die besten Drehbücher gefördert werden sollen.
Noch dominiert das Interesse an den schriftlichen Vorlagen. Die erfolgstraumatisierten Experten drängen auf normierte, bequem miteinander vergleichbare Drehbücher, vorzugsweise elaboriert von "Masters of Something", "Bachelors of Somehow" oder cleveren Absolventen höherer Schnellkurse für blendendes Schreiben. An der Geduld des Papiers und der beschränkten Aussagekraft der Drehbücher ändern auch diese Bemühungen nichts. Sie sind eine Fortsetzung der Täuschung mit anderen Mitteln.
Aufschlussreiche Kürze
Joseph Beuys zeigt eine Alternative auf mit dem Standpunkt, "Kunst kommt von Kunde, man muss etwas zu sagen haben, auf der anderen Seite aber auch von Können, man muss es auch sagen können." Ob ein Filmschaffender "etwas zu sagen hat", erhellt die auf einer A4-Seite notierte Botschaft. In der Kürze liegt nicht bloss die Würze, sondern auch die leichte Überprüfbarkeit. Die verdichtete Formulierung dessen, was ein Film will und welche Idee ihn trägt, zwingt zu Konkretheit und Präzision. Das ist aufschlussreich.
Der Ausweis des Könnens besteht in den voraufgegangenen Filmarbeiten. Sie sind die ebenfalls gut beureilbaren Referenzen der am neuen Projekt Beteiligten. Das Bemerkenswerte kann mühelos und sicher vom Belanglosen unterschieden werden, das Herausragende vom Durchschnittlichen sowieso.
Methodenwechsel
Förderentscheide auf der Basis kiloschwerer Dokumentationen samt Drehbücher setzen eine unnötige und stets nach oben offene Risikobereitschaft voraus. Entscheide hingegen, die sich auf die Filmographie und die schriftliche Filmskizze abstützen, sind wesentlich verlässlicher und liefern die Argumente für den sämtliche anderen Erwägungen überragenden Aspekt, ob die Projektverantwortlichen das Vertrauen rechtfertigen.
Als zusätzliches Element der Vergewisserung wäre zu erwägen, seitens der Fördergremien für die in die engere Wahl gekommenen Projekte eine so erfahrene wie unabhängige Persönlichkeit zu benennen, die das Drehbuch unvoreingenommen und genau studiert, seine Einschätzung im intensiven Gespräch mit der Regisseurin oder dem Regisseur erörtert und dann die finanzielle Unterstützung oder Nichtunterstützung beantragt.
Wenn Mut, dann zur Logik
Der mehr logische als radikale Folgeschritt könnte heissen, sich von den Expertenkommissionen zu verabschieden und zum Intendantensystem zu wechseln mit dem strahlenden Nebeneffekt, endlich Transparenz herzustellen, wer die Förderverantwortung trägt: ein kluger Kopf und keine disparate Gruppe, deren Mitglieder hintereinander versteckt die Hände in Unschuld waschen.
Die ehrliche Bilanz dessen, was die Förderung erreichte und was nicht, zwingt zu einem Methodenwechsel. Anschauungsunterricht beispielsweise in Dänemark würde Erleuchtung bringen.