Alle Jahre wieder kommt das Marinsky Ballett zur Weihnachtszeit ins Festspielhaus nach Baden Baden und von weit her reist das Publikum an. Das ist zur Tradition geworden.
Auch diesmal wieder bringen 14 grosse Trucks die restaurierten alten Bühnenbilder und Kostüme aus dem St.Petersburger Theater nach Deutschland. Das ganze Orchester reist von dort an, und natürlich die Tänzer. Deren Ausbildung an der berühmten Waganowa Akademie gilt als die beste der Welt für klassischen Spitzentanz. Fast alle russischen Primaballerinen, wie auch Rudolf Nurejew und Mikhail Baryshnikow studierten dort.
Kein Zittern, kein Nachfassen
Und wirklich, nach einer perfekt gedrehten, blitzschnellen Pirouette stehen die Tänzer plötzlich, tack, still wieder da. Nicht diese kleinen Nachschritte um wieder zum Stand zu kommen, kein Zittern, kein Nachfassen, wie bei andern Ensembles. Und die Tänzer zeigen jederzeit eine vollkommen kontrollierte, jeden Muskel erfassende, aufrecht aristokratische Körperhaltung.
Das Chorps de Ballet tanzt vollkommen synchron. Auch wenn vierzig ‚Schwäne’ gleichzeitig auf der Bühne tanzen, so erheben alle zur exakt gleichen Zeit das linke Bein im gleichen Winkel. Dies ergibt eine Harmonie und ästhetische Präzision, die einzigartig ist. Das Marinsky Ballett ist berühmt für seine tänzerische Eleganz, die scheinbar mühelose Leichtigkeit und Schwerelosigkeit seiner Bewegungen, und eben seine Präzision. Darin unterscheidet es sich vom andern russischen Spitzenballett, dem Bolschoi aus Moskau, das eher auf die athletische Seite des Tanzes setzt und dort immer wieder Grenzen ausreizt, was schon mal auf Kosten der Präzision gehen kann.
Das beliebteste Ballett der Welt
Diese Eleganz schmückt vor allem die klassischen Handlungsballette, und diese sind beim Kirov Ballett - dies sein Name während der Sowjetzeit - bis heute auch zu Hause. 1895 ist im Marinsky Theater die bis heute gepflegte Choreografie und Inszenierung des beliebtesten Ballettes der Welt aufgeführt worden: Schwanensee.
1880 hatte Peter Tschaikowsky das Werk zu seiner Musik zwar bereits in Moskau vorgestellt, doch die damalige Choreografie überzeugte das Publikum nicht. Erst der französische Tänzer und Choreograph Marius Petipa, der 34 Jahre lang das St. Petersburger Ballett leitete, und dort das italienische, das französische und das russische Ballett zum heute noch gültigen ‚klassischen’ fusionierte, sowie sein russischer Assistent Lew Iwanow, verhalfen den verzauberten Schwänen zum Erfolg. Sie schufen auch mit dem heute noch gebräuchlichen tiefblauen Bühnenbild und den schneeweißen Kostümen des Corps de Ballet dieses sofort erkennbare ‚Bild’ dieses Balletts.
Dornröschen
Begonnen hat das diesjährige Gastspiel allerdings am Samstagabend mit ‚Dornröschen’, einem Ballett, das nach ‚Schwanensee’ entstanden ist und eine noch erfolgreichere Zusammenarbeit vom Choreographen Marius Petipa und dem 20 Jahre jüngeren Komponisten Tschaikowsky bietet. Nach den früheren starken Querelen sollen sich die beiden hier entspannter und auch künstlerisch freier gefühlt haben. Allerdings musste Tschaikowsky weiterhin pedantisch genaue Anweisungen des Choreographen befolgen wie diese: 1. ‚Auftritt König’, sechs langsame, majestätische Takte. 2. Frage des Königs an den Haushofmeister; vier Takte, schneller. 3. Antwort des Dieners; vier Takte, noch schneller.
Dieses Ballett ist das besetzungsstärkste von allen: 59 Solisten, 66 Tänzern des Chorps de ballet, 22 Kindern und 16 Statisten sind es, die sich da in den prachtvollen historischen Kulissen bewegen. Diese waren ursprünglich für jeden der vier Akte von einem anderen Bühnenbildner geschaffen worden. Vier Akte hat ‚Dornröschen’; einen mehr als andere Handlungsballette. Nach dreien ist allerdings die Geschichte erzählt und der innere Spannungsbogen von Tschaikowskys Musik beendet.
Nurejew - Kran für die Primaballerina
Der vierte Akt zeigt im Rahmen eines Festes, wie an einer Ballettgala, dann die speziellen Fähigkeiten der Solotänzer während diversen ‚Darbietungen für den König’. Startänzer Nurejew soll sich beklagt haben, dass er da eigentlich nur ‚als Kran für die Primaballerina’ fungieren dürfe, sie zu halten und zu heben habe. Also hat er für seine spätere Version dieses Ballettes für die männliche Hauptrolle zahlreiche ‚Einschübe’ kreiert, die allerdings nur von einem Tänzer seines ausserordentlichen Formats zu bewältigen sind.
Den gab es am Samstagabend nicht, doch wurde ja die ursprüngliche Form des Ballettes gezeigt, und in dem agierten alle Tänzer, einschliesslich der Kinder, auf das Ansprechendste. Die opulente Ausstattung war ein Augenschmaus, der einsichtig machte, wovon Serge Diagilevs ‚Ballets Russes’ Inszenierungen inspiriert worden waren. So wird das Publikum auf die festliche Zeit des Jahres eingestimmt.
21./22. Dezember: "Dornröschen"
23., 25., 27. Dezember: "Schwanensee"
26. Dezember: Ballett-Gala mit besonderen Soli und Pas de deux