Der Irak hat soeben den Weltrekord für die längste Verhandlungszeit zwischen Wahlen und Regierungsbildung errungen. Doch nach den bisher 208 Tagen zeichnet sich plötzlich ein Ausweg aus der gegenseitigen Blockade der irakischen Politiker ab. Muqtada as-Sadr, der in Qum (Iran) seinen Studien obliegt, der absolute und verehrte Chef seiner as-Sadr Faktion von irakischen Schiiten der Unterschicht, hat seine Position geändert. Seine Gruppierung stellt sich nun hinter den amtierenden Regierungschef Nuri al-Maliki und öffnet ihm damit das Tor zur Bildung einer neuen Regierung.
Bisher waren die Sadr-Anhänger bittere Feinde von Maliki gewesen. Nicht ohne Grund; Maliki hatte im Frühling 2008 die Sadr-Milizen im Südirak und in den schiitischen Teilen von Bagdad mit amerikanischer Hilfe blutig bekämpft; viele der militärischen und politischen Oberhäupter der Gruppe liess er einkerkern. 2007 musste sich Muqtada as-Sadr unter dem Druck der Maliki-Regierung und der Amerikaner nach Iran zurückziehen.
Druck aus Teheran
Alle politischen Beobachter sind sich einig darüber, dass nun Druck aus Teheran Muqtada zu seinem Positionswechsel zwang. Teheran liegt daran, eine überwiegend schiitische Regierung im Nachbarland an die Macht zu bringen. Die Alternative zu dem Schiiten Maliki wäre der eher säkularistisch ausgerichtete Iyad Allawi gewesen, dem sich viele Sunniten angeschlossen hatten. Allawi hatte mit 91 die grösste Zahl von Mandaten errungen, doch Maliki (mit 89 Sitzen) hatte sich standhaft geweigert, ihm die Regierungsbildung zu überlassen. Maliki verwies auf ein Bündnis, das er nach den Wahlen mit der zweiten grösseren Schiitenallianz abgeschlossen hatte, der Nationalen Allianz. Deren gewichtigster Teil ist die Sadr-Gruppe.
Muqtada hatte bisher eine Zusammenarbeit der beiden nominell verbündeten Allianzen verhindert. Doch nun ist der Riegel der saderschen Opposition weggefallen, und Maliki kann über die 70 Parlamentssitze der Nationalen Allianz verfügen. Ein Zusammenschluss mit der Kurdischen Allianz (43 Sitze) dürfte ihm die absolute Mehrheit (163 Sitze) sichern.
Welche Bedingungen Maliki eingehen musste, um Sadr zu gewinnen, ist nur nach dem Hörensagen bekannt. Die arabische Zeitung al-Hayyat spricht von Zusagen, dass Maliki künftig weniger eigenwillig vorgehen werde, von Freilassung der gefangen Sadristen, sogar von Wiederzulassung der 2008 von Maliki aufgelösten Sadr-Milizen. Wichtiger als blosse Versprechen wird jedoch sein, wieviele Regierungsposten Maliki den Sadr-Anhängern wird einräumen müssen.
Die Kurden, deren Unterstützung Maliki braucht, werden ihrerseits möglichst viele Versprechen und Zusagen für Regierungsposten aushandeln. Regierungspositionen sind von grossem Gewicht, weil die Regierung über die Ölgelder verfügt - die weitaus wichtigste Geldquelle im Lande. Minister können die Gelder und Stellen ihren Anhängern zuschanzen, diese wiederum ihren Gefolgsleuten. Da lähmende Arbeitslosigkeit herrscht, sind die Verbindungen zu den Ministern für sehr viele Menschen eine Sache des Überlebens.
Sunniten bleiben draussen
Wenn der nun zu erwartende Durchbruch zustande kommt, werden die Sunniten einmal mehr weitgehend oder völlig leer ausgehen. Der gewaltsame Widerstand wird von Sunniten getragen, und ihre Fernhaltung von Regierung und Regierungspositionen droht ihn weiter zu verstärken.
Die Amerikaner hätten am liebsten eine Zusammenarbeit von Allawi und Maliki gesehen. Doch die beiden Hauptrivalen waren nicht zusammenzubringen. Teheran hat dies ausgenützt, um seine Wünsche durchzusetzen. Die zu erwartende Bildung einer Teheran verpflichteten schiitisch orientierten Regierung dürfte gerade in der Zeit zustande kommen, in der die Amerikaner bemüht sind, die Boykottmassnahmen gegen Iran zu abzudichten. Der Irak aber droht sich dem amerikanischen Einfluss weiter zu entziehen, obwohl noch bis Mitte des kommenden Jahres 50 000 Mann amerikanische Truppen im Lande verbleiben.