Er wohnt nahe bei Zürich in bester Lage. Er könnte sich komfortabel zur Ruhe setzen und auf ein erfolgreiches Leben als Wirtschafts-Crack zurückblicken. Doch das liegt ihm nicht.
David Syz, fünf Jahre lang Staatssekretär für Wirtschaft unter Bundesrat Couchepin, will aufklären und mobilisieren. Er will uns zeigen, wie Armut und Hunger entstehen. Er will deutlich machen: Mit richtiger Hilfe könnte viel Elend vermieden werden.
„Im Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft, lernte ich viel“, erzählt er. Diese Erfahrung wollte er weiter vermitteln. „Ein Buch schreiben wollte ich nicht: Erstens kann ich nicht schreiben, zweitens will ich nicht schreiben und drittens liest keiner das Buch“.
Mit der Krawatte zur CS-Verwaltungsratssitzung
„So sagte ich mir: gut, du machst einen Film“. Als über 60-Jähriger schrieb er sich für sechs Monate an der „New York Film Academy“ ein. Zusammen mit Zwanzigjährigen lernte er das Filmhandwerk und Drehbücher schreiben. „Die Ambiance in der Academy war amerikanisch locker“, erzählt er. „Ab und zu zog ich dann eine Krawatte und einen Veston an und ging einen Block weiter zur Verwaltungsratssitzung der CS“.
Drei Filme hat David Syz inzwischen gedreht und finanziert. Sein letzter heisst „Hunger, genug ist nicht genug“. Eine halbe Million Franken hat er gekostet. Der 76-minütige Film will zeigen, dass die Entwicklungspolitik oft auf Abwegen ist, und dass es neue Wege im Kampf gegen Hunger und Elend gibt. „Mit kleinem, richtigen Einsatz kann viel erreicht werden“, sagt er.
Die Filme haben Erfolg. Mehrere Fernsehstationen zeigen sie: BBC World, deutsche Fernsehstationen, die Schweden, die Kroaten, sogar Aljazeera.
Das Schweizer Fernsehen zeigt „Hunger“ am 29. April in der „Sternstunde“ auf SF1.
Die Filme werden auch in Kinos vorgeführt. David Syz hofft, dass in der Folge der Dokumentarfilmmesse, die anfangs April in Cannes stattfand, sein Film noch andere weitere Sender verkauft werden kann. Der Autor reist selbst kreuz und quer durch die Schweiz. An Openairs, in Universitäten und Schulen stellt Syz seine Werke vor und diskutiert mit den Zuschauern. Hunderte kommen jeweils. „Mit dem letzten Film war ich an 39 Vorstellungen“, erzählt er.
Keine aufgeblähten Bäuche
Es sind keine Filme, die auf die Tränendrüse drücken. Man sieht keine weinenden Kinder und aufgeblähten Bäuche. Man sieht niemanden, der hungert. Aber man sieht, weshalb gehungert wird. Die Filme wollen zeigen, was falsch läuft – und weshalb es falsch läuft.
So erklärt sein letzter Film das Funktionieren der Agrarbörse in Chicago. Gezeigt wird, weshalb trotz Rekordernten die Preise klettern. Es geht um Exportsubventionen, die den Aufbau einer Landwirtschaft in der Dritten Welt fast verunmöglichen. Aufgezeigt werden die Auswüchse der Landflucht. Und gefragt wird: Weshalb hungert eine Milliarde Menschen, obwohl wir zwölf Milliarden ernähren könnten? Nicht die Knappheit der Ressourcen ist das Problem, sondern ihre Verteilung.
Da Wirtschaft und Politik im Kampf gegen den Hunger versagen, will der Film Lösungsvorschläge aufzeigen, die von der Basis kommen. Er beschreibt, wo neue Wege gegangen und Fortschritte erzielt werden können. Er zeigt ein erfolgreiches Selbstversorgungsprojekt in Äthiopien. Ein Bauer sagt: „Es gibt keinen Grund mehr, arm zu sein“.
In "dicken Hotels" sitzen und über den Hunger reden
Als Staatssekretär hat David Syz oft an internationalen Konferenzen teilgenommen. Da werden gescheite, globale Strategien im Kampf gegen Hunger und Elend propagiert. Syz hält wenig davon. Die Funktionäre, die „in dicken Hotels wohnen und über den Hunger reden“, mag er nicht. Einstimmig angenommene UNO-Deklarationen würden wenig bringen. „Wir sollten vermehrt den regionalen und lokalen Gegebenheiten Rechnung tragen“, sagt er. „Das Wichtigste ist, die Leute zur Selbsthilfe zu animieren“. Lokalinitiativen sind die Lösung. Der Film zeigt Beispiele, wo das funktioniert.
Als Staatssekretär für Wirtschaft konnte Syz viele Beziehungen in die Dritte Welt knüpfen. Trotzdem blickt er mit gemischten Gefühlen auf seine fünfjährige Zeit im Dienste des Bundes zurück. Dabei wollte der Jurist Syz gar nicht Staatssekretär werden. „Eines Abends nahm mich Bundesrat Couchepin an einem Empfang beiseite und sagte: ‚J’ai besoin de toi comme secrétaire d’Etat‘“. Syz lachte zunächst und fragte: „Was ist das ‚Staatssekretär‘?“. Er hatte keine Ahnung. Couchepin antwortete: „Je te le dirai plus tard“.
Das Geld, "oft schlecht eingesetzt"
So verliess Syz die SIG und wurde Staatssekretär. Nach langen Jahren in der Wirtschaft hatte er Lust, den Horizont zu erweitern und etwas für den Bund zu leisten. Doch er war bald frustriert. „Ich wurde als Ober-Lobbyist der Wirtschaft empfangen, traf auf eine unglaubliche Stabilität der Verwaltung und konnte wenig bewirken“.
Er findet auch, dass es zu wenige gute Seco-Projekte gibt. „Ich bin der Meinung, dass wir zu viel Geld in nicht nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit stecken“. Das Geld sei oft „schlecht eingesetzt“.
Oft hätte man Ende Jahr nicht gewusst, was mit dem noch verfügbaren Geld zu tun wäre. Ein Übertragen aufs nächste Jahr war nicht erlaubt. „Da steckte man es schnell in irgendein Projekt“. Es sei wie beim Militär gewesen. „Am letzten Tag des Dienstes musste noch alle Munition verschossen werden, damit im Folgejahr das Budget nicht gekürzt wird.“
*"Geld ist eine Droge"
Während seiner Tätigkeit als Seco-Chef hat er viele Reisen unternommen, auch in Entwicklungsländer. „Wenn man als Vertreter der Schweizer Wirtschaft kommt, zählt das schon“, sagt er. „Ich bin oft besser empfangen worden als Calmy-Rey“. 2004 verliess er das Seco und wurde Verwaltungsrat bei der CS. Die Beziehungen, die er als Staatssekretär auf seinen Reisen knüpfte, kommen ihm bei seinen Filmprojekten zugute. Schon arbeitet er an einem neuen Drehbuch.
Viele Zuschauer sind von seinen Filmen ergriffen und fragen ihn: Was kann ich jetzt tun? „Ich sage den Leuten: Das müsst ihr jetzt selbst wissen, überlegt euch, welche Fähigkeiten ihr in diesen Kampf einbringen könnt. Aber schickt kein Geld, Geld ist eine Droge, tut etwas“.
Wer einfach einen Einzahlungsschein ausfüllt, tut zwar etwas für sein gutes Gewissen. Doch er tut oft wenig für die Armen. „Was es braucht, sind Leute vor Ort, die den Leuten helfen, sich selbst zu helfen“.
"... der Frau zuhause auf den Wecker gehen"
„Geht hin“, ruft Syz, „nehmt ein Sabbatical, geht einige Monate nach Afrika, nach Lateinamerika, vermittelt den Leuten euer Wissen, euer Knowhow“.
Warum gehen pensionierte Landwirte nicht ein halbes Jahr in die Dritte Welt und zeigen den Leuten, wie gross der Abstand zwischen den Pflanzen sein muss, damit sie richtig gedeihen? Wieso nehmen Absolventen einer Hotelfachschule nicht eine Auszeit und zeigen den Menschen in Entwicklungsländern, wie man ein Hotel oder ein Restaurant führt? Wieso bringen Leute, die pensioniert sind und Geld haben, nicht in Afrika oder Südamerika eine Zeit lang ihre Erfahrung ein?
„Die Trägheit, die wir in unserem Wohlstand haben, führt dazu, dass wir wirklich nur das Minimum tun, um unser Gewissen zu beruhigen“, sagt Syz. Mit seinen Filmen möchte er Leute mobilisieren, ihr Wissen und ihre Erfahrung an Ort und Stelle zum Wohle der Einheimischen einzusetzen. Doch viele seien zu träge, selbst hinzugehen.
„Wenn ich einige meiner ehemaligen Kollegen sehe, – die sitzen nur zu Hause, lesen die Zeitung und gehen der Frau auf den Wecker“.