Das Kleid, das uns bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels Löcher in den Bauch von Doris Leuthard fragen liess, verdient hinterher das Lob als kreative und witzige Auflockerung der pathetisch aufgeladenen Feier. Sie folgte konventionellen Regeln und passte gerade mal mit dem generös bemessenen Budget zum Jahrhundertwerk. Ansonsten stellte dieses alles in den Schatten, was das Einweihungsprogramm bot. Das bauliche Können überragte die Fähigkeit zum Feiern himmelweit.
Demokratie im royalen Modus
Was die ägyptischen Pyramiden waren, die griechische Tempel und die römischen Aquädukte, ist heute der Gotthard-Basistunnel: eine die Möglichkeiten und das Wissen der Zeit superlativ ausschöpfende Leistung. Sie darf als leuchtendes Modell für die Notwendigkeit gelten, mit dem Machbaren vernünftig und verantwortungsvoll das Denkbare zu erreichen.
Dagegen fällt unsere Einweihungskultur ab. Sie bedient sich bezopft der altbewährten Versatzstücke Musik, Reden, Darbietungen und Verpflegung für die beiden Gästekategorien Offizielle und Volk. Sie begehen in kleineren Gemeinden das Fest gleichberechtigt und ab Kantonshauptstadt bis hinauf zur Bundesebene getrennt nach dem Prinzip der "Gleicheren unter Gleichen". Das ist Demokratie im royalen Modus, der ein Oben und Unten bühnen- und medienwirksam zur Geltung bringen will.
Die Feier hebt sich vom Fest durch Gediegenheit ab, die Ernst verlangt, den Schraubstock der protokollarische Korrektheit und kontrolliertes Lächeln. Kleid und Tränen von Doris Leuthard störten das Zeremoniell. Königin Elizabeth II. hätte sich das nie gestattet. Doch unsere Magistratin setzte keck einen modischen und berührend einen emotionalen Akzent. Die beiden schönen Ausrutscher werden stärker in der Erinnerung haften als sämtliche Auftritte in strammer Beherrscheit.
Erschaudernde Sinnstiftung
Was das Rahmenprogramm jeweils nicht schafft, müssen die Reden erfüllen. Sie loben und verdanken das einzuweihende Werk und erklären dessen Bedeutung und Funktion. Dem Volk wird eingehämmert, was es bereits weiss, aber von den Redenden noch nie hörte. Sie nehmen auf den Gemeinplätzen gefahrlos Anlauf zum rhetorischen Überschwang, der angeblich der Wichtigkeit des Anlasses geschuldet ist. Das Finale veredelt den praktischen Nutzen des einzuweihenden Objekts mit einer erschaudernden Sinnstiftung. Auch am Gotthard.
Der weltlängste Tunnel wurde zum Garanten für die glückbringende Verbindung von Menschen, Gütern und Völkern. Der Glaube an diese Verheissung benötigt einige Ausblendungen. Zum Beispiel die Smartphones, mit denen wir uns mühelos im globalen Dorf bewegen. Oder die Tatsache, dass der Gotthard dank der Teufelsbrücke seit dem 13. Jahrhundert eine verbindende Bedeutung besitzt.
Der forcierte Jubel auf die zusammenführende Kraft musste die Abwesenheit der EU-Spitze übersehen, die Zerstückelung der Landschaft durch Verkehrswege ausklammern und die Frage vermeiden, was der Basistunnel für die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen dem Reusstal und der Leventina bringt. Und alles Vereinigungsgeschwätz hebt die Sprachgrenze zwischen Norden und Süden nicht auf, was allerdings ein Segen ist.
Rhetorische Offizialdelikte
Die von uns entwickelte Einweihungskultur ersetzt die Fantasie mit der gedankenlosen Schönfärberei und folgt von der Mehrzweckhalle über den Sportplatz bis zum Jahrhundertbau dem gleichen Schema. Nur die Kosten und die Medienaufmerksamkeit ändern sich, nicht jedoch die Plattitüden, auch wenn statt des Gemeindeoberhauptes ein Staatsoberhaupt hinters Rednerpult tritt. Einweihungsfeiern bleiben ohne Mehrwert.
Besser steht es um die Volksfeste. Sie pflegen eine ältere oder jüngere Tradition mit ausstrahlender und mitreissender Leidenschaft, überborden gelegentlich mit der kommerzialisierten Folklore, aber wollen unbeschwert und nicht mehr als sich selber sein. Bombastische Botschaften von Amts- und Würdenträgern lässt das gut gelaunte Volk als rhetorische Offizialdelikte straffrei durch.
Aus der Fülle sommerlicher Feste seien zur Anregung der Vorfreude das Paléo Festival in Nyon genannt, das Schäferfest auf der Gemmi, der Marché-Concours in Saignelégier, die Street Parade in Zürich und das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Estavayer-le-Lac.