Sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland ein wirksames Mittel? Auf diese Frage versucht eine an der Universität Amsterdam erstellte Studie zu antworten (Russland Analysen Nr. 344). Die Untersuchung erinnert zuerst an den Fall Siemens, der im August dieses Jahres Schlagzeilen machte. Gasturbinen, die vom deutschen Konzern hergestellt wurden, gelangten auf die Krim. Das Unternehmen sowie die deutsche Regierung versicherten, dass der Import von Gasturbinen auf die Krim ohne ihr Wissen stattgefunden habe. „Um ihrer echten oder vorgespielten Empörung Ausdruck zu verleihen“, so die Studie, „setzte die deutsche Regierung bei der EU eine Erweiterung der Sanktionen auf jene russischen Firmen durch, die für diesen heimlichen Transport verantwortlich waren.“ Der Fall Siemens habe gezeigt, wie löchrig das System der Sanktionen sei.
Die Studie unterscheidet zwischen Sanktionen, die Personen galten, und Massnahmen, die systemrelevante Unternehmen und Banken treffen sollten. Beide Varianten hätten vor allem den Oligarchen das Leben schwer gemacht, weil sich die meisten der betroffenen russischen Holdings in ihren Händen befanden. Im Rahmen von Sanktionen der zweiten Variante sei den betroffenen Banken der Zugang zu westlichen Krediten versperrt worden, die eine Laufzeit von über 30 Tagen haben. Darüber hinaus wurde den russischen Unternehmen des Rohstoffsektors der Zugang zu neuen Technologien erschwert. Westlichen Firmen wurde eine Kooperation mit russischen Unternehmen verboten.
Steueroasen und Schattenwirtschaft ...
Es waren die EU und die USA und nicht die Uno, die Russland sanktionierten. Deshalb sei es vielen nicht-westlichen Staaten möglich geworden, Russland bei der Umgehung der Beschränkungen zu helfen. So hätten beispielsweise chinesische Firmen Russland bei der Errichtung der Stromverbindung zwischen Russland und der Krim über die Strasse von Kertsch geholfen. Auf ähnliche Weise hätten türkische Firmen das Krim-Embargo unterlaufen trotz der Export- und Importzölle und Beschränkungen, die Russland und die Türkei gegeneinander verhängt haben. Die Türkei bleibe ein wichtiger Handelspartner Russlands und türkische Firmen nutzten die Gelegenheit, um auch die Krim zu beliefern.
Die Studie macht darauf aufmerksam, welche Rolle Steueroasen und die Schattenwirtschaft bei der Umgehung der Sanktionen spielen. Verbindungen russischer Unternehmer zu Steueroasen sind nicht erst eine Folge der Sanktionen, sondern dienen auch dazu, dem russischen Fiskus zu entfliehen und den unsicheren Eigentumsrechten in Russland zu begegnen. Durch eine Registrierung in einer Steueroase versuchten sich russische Firmen vor Enteignung zu schützen.
Als Folge dieser umfassenden Vernetzung russischer Firmen mit Briefkastenfirmen in Steueroasen erhalte Russlands Wirtschaft eine starke „extraterritoriale Komponente“. Gleichzeitig finde ein Grossteil des russischen Wirtschaftslebens im Schatten statt. „Instrumente wie die Gründung von Scheinunternehmen in Steueroasen wurden über Jahre erlernt und entwickelt. So verwundert es nicht, dass solche Unternehmen auch als Mittel genutzt wurden, Geschäfte sanktionierter Firmen weiter zu betreiben.“
… oder „Kalaschnikow USA“
Anstatt neue Unternehmen in Offshore-Ländern zu gründen, gibt es laut Studie einen einfacheren Umweg: Der russische Schusswaffenproduzent Kalaschnikow habe eine Tochterfirma in den USA gegründet, um US-amerikanische Sanktionen zu umgehen und weiter den amerikanischen Markt beliefern zu können. Diese Operation habe sich als erstaunlich einfach herausgestellt: „In der Tat ist die 2015 gegründete amerikanische Tochterfirma ‚Kalashnikow USA’ von den Sanktionen nicht betroffen.“
Russland gelinge es immer wieder, eine angebliche Wirkungslosigkeit der Sanktionen vorzutäuschen. Dazu habe das Manöver gedient, die grösste staatliche Ölhandelsfirma Rosneft quasi zu privatisieren, indem 19,5 Prozent der Aktien des Konzerns an die Schweizer Firma Glencore und den staatlichen Investitionsfonds Katar verkauft worden seien. Verdächtig erschien Beobachtern die Tatsache, dass Rosneft sich tags zuvor auf dem russischen Finanzmarkt fast die gesamte Summe besorgt habe, die für den Deal benötigt worden sei. Journalisten der unabhängigen Zeitschriften „Nowoje Wremja“ und „RBK“ interpretierten das so, Rosneft habe sich „selbst privatisiert“, um ein vermeintliches Interesse internationaler Investoren vorzutäuschen.
Politische Instrumente
Sind die Sanktionen ein wirksames Mittel? Die erwähnte Studie zieht folgendes Fazit: „Die Sanktionen sind effektiv, weil sie für viele Unternehmen die Fortsetzung des business as usual unmöglich gemacht haben.“ Gleichzeitig müsse betont werden, dass die Sanktionen in erster Linie politische Instrumente seien. Sie sollten die russische Regierung dazu bewegen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Die Sanktionen seien nicht gegen die russische Wirtschaft an sich gerichtet und sollten wirtschaftliche Beziehungen mit Russland nicht unterbinden.
Wie verhalten sich Russlands Bürger zur Sanktionspolitik der EU und der USA? Laut einer Umfrage des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada glaubt nur eine Minderheit (19 Prozent), Russland müsse Konzessionen machen, um aus den Sanktionen herauszukommen. 70 Prozent der Befragten sind überzeugt davon, dass Russland ungeachtet der Sanktionen seine Politik fortführen solle. Nur für eine Minderheit (19 Prozent) wirken sich die Sanktionen negativ aus. Rund 75 Prozent der Befragten erklären, sie hätten von den Sanktionen keine ernsthaften Folgen zu spüren bekommen.
Mit anderen Worten: Putin kann sich in seiner Ukraine-Politik auf eine breite Mehrheit abstützen. Aus russischer Sicht hat sich das Sanktionsregime des Westens als stumpfe Waffe erwiesen.