Am Wochenende lehnte der russische UNO-Botschafter Witalij Tschurkin einen von der Arabischen Liga, den USA und der EU ausgearbeiteten Resolutionsentwurf mit der Begründung ab, dass damit eine Lösung der syrischen Krise "von aussen aufgezwungen" würde. Syriens Botschafter bei der UNO, Baschar Dschaafari, pflichtete Tschurkin erwartungsgemäss bei. "Syrien wird nicht Libyen werden", erklärte er.
Das Beispiel Libyen hat nicht nur in Moskau und Peking, sondern auch in einer Reihe von Drittweltländern ein Trauma geschaffen. Der Botschafter Südafrikas bei der UNO in New York zum Beispiel verlangte vergangene Woche Garantien, dass sich hinter der Syrien-Resolution kein "Plan für Regimewechsel" verbirgt.
Als im Frühjahr 2011 in der Stadt Bengasi eine Revolte ausbrach und das Ghaddafi-Regime zur Gegenoffensive blies, hatte der Weltsicherheitsrat eine Resolution zum "Schutz der Zivilbevölkerung mit allen nötigen Mitteln" angenommen. Russland und China liessen den Beschluss durch ihre Stimmenthaltung passieren. Die Folgen waren ein von der Nato geführter einseitiger Luftkrieg, die Anerkennung einer aus dem Hut gezauberten libyschen Übergangsregierung, der Sturz und die Ermordung Ghaddafis. Die Russen und die Chinesen fühlten sich über den Tisch gezogen. Als ständige Mitglieder des Sicherheitsrats mit Vetorecht wollen sie einen solchen Vorgang nicht nochmals zulassen.
Auf dem Verhandlungstisch am New Yorker Hauptsitz der UNO liegen derzeit einige mehrfach revidierte Resolutionsentwürfe: ein westeuropäischer, ein russischer und zuletzt ein im Namen der Arabischen Liga von Marokko unterbreiteter Text, an dessen Ausarbeitung die massgeblichen EU-Staaten beteiligt waren. Allen gemeinsam ist die Aufforderung, sofort jegliche Gewalt einzustellen. Die Verurteilung der Gräueltaten des Regimes fällt im arabisch-europäischen Entwurf wesentlich schärfer aus als im russischen. Aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, welcher Weg zur Lösung der syrischen Krise eingeschlagen wird.
Der arabisch-europäische Resolutionsentwurf fordert den syrischen Präsidenten auf, sofort alle Machtbefugnisse seinem Vize Faruk Al-Scharaa zu übertragen. Al-Scharaa gilt als gemässigter Politiker, der 2007 Papst Benedikt XVI. besuchte und mit ihm über den Status der Christen in Syrien verhandelte. Im Juli 2011 rief Al-Scharaa zur schrittweisen Einführung einer "pluralistischen Demokratie" in seinem Land auf.
Der von der Arabischen Liga und den Europäern entworfene Text sieht die Schaffung einer "Regierung der nationalen Einheit" vor, die während einer Übergangsperiode in Zusammenarbeit mit dem amtierenden Präsidenten Al-Scharaa "transparente und freie Wahlen unter arabischer und internationaler Aufsicht" organisieren soll.
Faktisch bedeutet der von seinen Autoren als "politische Strassenkarte" bezeichnete Resolutionsentwurf die Entmachtung des Assad-Clans. Ob der derzeitige Staatschef freiwillig sein Amt räumt, ist allerdings höchst fraglich. Für den gegenteiligen Fall droht der Text nicht näher beschriebene "weitere Massnahmen nach Konsultationen mit der Liga Arabischer Staaten" an. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon soll alle zwei Wochen Bericht erstatten, ob die syrische Regierung die Resolution befolgt.
Der Resolutionsentwurf erwähnt weder Sanktionen noch andere mögliche Zwangsmassnahmen gegen Syrien. Nur hinsichtlich der "fortlaufenden Waffenlieferungen an Syrien, die die Gewalt antreiben", drückt der Text "schwere Sorge" aus. Alle Staaten werden aufgefordert, die Lieferung von Waffen zu verhindern. Dieser Passus zielt klar auf Russland.
Für den russischen Chefdelegierten Tschurkin stellt der vorgelegte Entwurf daher "keine Verhandlungsbasis" dar. Russland lehnt sowohl Wirtschaftssanktion wie ein Waffenembargo gegen seinen langjährigen Verbündeten ab. Vize-Aussenminister Gennadi Gatilow drohte mit einem Veto, obwohl sich die Russen damit in der arabischen Welt in die Nesseln setzen würden. "Wir möchten wissen, was im Resolutionsentwurf mit weiteren Massnahmen gemeint ist", erklärte Gatilow in Moskau, "das ist hier die Frage".