Solange Amerikaner und Russen zusammenarbeiten, wird es mit der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen-Bestände vorwärts gehen. Wenn aber in der Syrien-Frage neuer Streit zwischen Washington und Moskau entsteht, wird der Vernichtungsprozess blockiert werden.
Die Umrisse einer Übereinkunft zwischen den Russen und Amerikanern über die syrischen Chemiewaffen liegen nun auf dem Tisch. Die Russen sind auf die amerikanische Forderung eingegangen, rasch zu handeln und eine Übereinkunft zu erzielen. Doch was geschieht, wenn die Syrer sich nicht an die Abmachung halten? Bei dieser Frage sind die USA einen Kompromiss eingegangen – einen Kompromiss zugunsten von Russland.
Sanktionen nur durch den Sicherheitsrat
Dieser Kompromiss lautet, die Verträge sollen im Rahmen von Kapitel VII des Sicherheitsrates geschlossen werden. Was bedeutet, dass im Falle von Nichterfüllung im Sicherheitsrat "Massnahmen" ergriffen werden können. Doch die russische Seite hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Massnahmen, eventuelle Sanktionen also, nicht "automatisch" erfolgen würden. Sie müssten vielmehr im Sicherheitsrat beschlossen werden.
Im Sicherheitsrat jedoch verfügt Russland über ein Veto. Bisher hat Moskau dieses Veto systematisch eingesetzt, um Asad und sein Regime in Schutz zu nehmen. Nun hat Aussenminister Lawrow erklärt, "angemessenen Massnahmen" müssten keine kriegerischen Massnahmen sein. Solche müssten auf alle Fälle vom Sicherheitsrat beschlossen werden. Was bedeutet, ein russisches Veto kann alle Massnahmen gegen das Asad-Regime, die Russland nicht passen, verhindern.
Russland bestimmt, ob Asad bestraft werden kann
Wenn also Asad sich nicht an die Abmachungen hält, muss nach diesem Kompromiss der Sicherheitsrat (nicht etwa die USA) darüber befinden, ob er den Vertrag gebrochen hat und was nun geschehen soll. Da im Sicherheitsrat ein russisches Veto droht, ist der Kompromiss von Genf offensichtlich zugunsten Russlands ausgefallen.
Asad kann nur bestraft werden, wenn Russland dies zulässt. Dies bedeutet, solange Amerikaner und Russen in Übereinstimmung handeln, werden die syrischen Chemiewaffen vernichtet. Womöglich nach dem nun vorgesehenen Fahrplan.
Dieser sieht vor: Die Giftgasbestände müssen innerhalb einer Woche offengelegt und von der internationalen Kontrollorganisation für Chemiewaffen protokolliert werden. Im November soll dann mit den Inspektionen an Ort und Stelle begonnen werden. Bis Mitte nächsten Jahres sollen die Chemiewaffen unschädlich gemacht, vernichtet werden. Jedoch werden Abweichungen von diesem Fahrplan nur sanktioniert werden, wenn dies der Sicherheitsrat beschliesst und die Russen dort zustimmen.
Es geht nicht nur um Chemiewaffen
Das geplante Vertragswerk hat nur dann einen Sinn, wenn eine fortdauernde russisch-amerikanische Zusammenarbeit in der Syrien-Frage zustande kommt. Sie soll an Stelle der bisherigen Konfrontation zwischen Washington und Moskau treten.
Doch es geht nicht nur um die Frage der Chemiewaffen. „Nur“ zwei Prozent der syrischen Kriegsopfer sind bei Giftgas-Einsätzen umgekommen. 98 Prozent jedoch verloren bei Kämpfen, Bombardements, Anschlägen und Explosionen ihr Leben. Viele von ihnen sind Zivilisten. Kommt es nun wirklich zu einer amerikanisch-russischen Kooperation könnte diese nicht nur die Frage der chemischen Waffen betreffen, sondern die gesamte Syrien-Frage. Es bestünde kein Grund mehr, weshalb sich Amerikaner und Russen nicht gemeinsam um eine Lösung des Syrien-Konfliktes bemühen würden.
Neue Weltordnung?
Vor diesem Hintergrund soll nun „Genf 2“ wiederbelebt werden. Das heisst: Eine grosse internationale Konferenz in Genf soll darüber verhandeln, wie der syrische Bürgerkrieg beigelegt werden kann. Dabei sollen möglichst alle Beteiligten einbezogen werden, nicht nur die Weltmächte, sondern auch jene, die das Asad-Regime ablehnen und jene, die es unterstützen: also einerseits Europa, die Türkei, die Arabische Liga mit Saudi-Arabien und der syrische Widerstand - und anderseits Iran und das Asad-Regime selbst.
Solange die Amerikaner und die Russen dabei am gleichen Strick ziehen, oder zumindest ein gemeinsames Ziel verfolgen, wird auch die Chemiewaffen-Vernichtung weitergehen. Wenn diese Zusammenarbeit aber scheitert, dürfte auch die Eliminierung des Giftgases ins Stocken geraten.
Ein wichtiger, aber stets optimistisch gestimmter Kommentator aus Libanon, Rami Khouri, schreibt bereits heute, die Übereinkunft von Genf werde eine "neue Weltordnung" einleiten. Er meint damit: Statt Konfrontation zwischen den USA und Russland jetzt Zusammenarbeit der beiden immer noch Super-Weltmächte.