Russland ist offenbar im Begriff, sein militärisches Engagement in Syrien zu steigern. Dies geschieht, seitdem deutlich geworden war, dass die Truppen Asads, trotz der Hilfe, die sie von Hizbullah und von Iran erhalten, ihren Feinden, den verschiedenen Kampfgruppen der syrischen Rebellen, nur mit Mühe standhalten konnten und an verschiedenen der zahlreichen Fronten gezwungen waren, vor ihnen zurückzuweichen.
Rückschläge für das Asad-Regime
Der IS hatte sich Palmyras bemächtigt, war von dort aus weiter westlich vorgedrungen und soll vor kurzem nicht weit von Palmyra das letzte grössere Ölfeld, Jazal, erobert zu haben, das von der Regierung betrieben worden war. Jazal war schon einmal, im Juni, vom IS besetzt worden, dann von den Truppen Asads zurückerobert und scheint nun zum zweiten Mal in die Hände der Kämpfer "des Kalifates" gefallen zu sein. Parallel dazu hat die Nusra Front die Provinz Idlib von den Anhängern des Regimes gesäubert. Von dort aus bedrohen die Aufständischen die bisher vom Krieg unversehrte Provinz und Hafenstadt Lattakyia, die bisher als sicheres Rückzugsgebiet des Regimes gegolten hatte.
Zum ersten Mal wurden Artillerieangriffe auf Lattakiya gemeldet. Dies ist eine bedrohliche Entwicklung für Asad, weil die Alawiten, die sein Regime tragende Minderheit, zu der seine Familie gehört, in den Bergen über Lattakiya ihre Heimatgebiete aufweisen und nun ihre Ursprungsdörfer von ihren Feinden bedroht sehen. Es gibt Berichte über die Unzufriedenheit der alawitischen Truppen und der alawitischen Etappe über den verlustreichen Einsatz alawitischer Soldaten und Offiziere durch das Regime.
Aushebungskampagnen
Anzeichen dafür, dass die Mannschaften knapp werden, mehren sich in Damaskus. Versuche, mehr Soldaten auszuheben, werden beständig unternommen, und ihnen entsprechen Versuche vieler, sich der Aushebungen zu entziehen, sei es durch Flucht über die Grenzen, sei es durch Flucht von ihren bisherigen Wohnsitzen.
Gelegentlich ist in Damaskus auch davon die Rede, die Präsenz des Regimes und seiner Armee auf die zentralen Gebiete Syriens zu beschränken. Das wären Damaskus und die Verbindungsstrasse, die von dort nach Homs und dann nordwestlich nach Lattakiya führt. Aleppo, umkämpft in Stadt und Provinz, scheint nicht mehr zu den Gebieten zu gehören, die als zentral wichtig gelten, und der syrische Osten am Euphrat und jenseits des Stroms bis an die irakische Grenze ist bis auf ganz wenige Garnisonen entweder an die Kurden oder an den IS verloren gegangen.
Russischer Vorschlag: mit Asad gegen den IS
Im Vorfeld ihrer Steigerung der Waffenlieferungen haben die Russen eine diplomatische Kampagne geführt. In Gesprächen mit den Amerikanern, den Saudis, den Irakern und mit Teilen der syrischen Opposition, die nicht zu dem bewaffneten Aufstand gehören, deuteten sie an, dass auch sie bereit und interessiert sein könnten, ebenso gegen den IS zu kämpfen wie die Amerikaner und ihre Koalition und wie Iran.
Allerdings machten sie auch klar, dass dies für sie nicht bedeute, dass Asad und sein Regime verschwinden müssten. Im Gegenteil, sagten sie, die Notwendigkeit gegen den IS einzuschreiten, sei ein Grund mehr dafür, Asad zu stützen, der ja auch ein Feind des "Kalifates" sei.
Weiterhin hinter Asad
Nun unterstreichen vermehrte Waffenlieferungen, dass Russland das Asad-Regime tatsächlich weiterhin stützen will. Die Amerikaner beobachteten, dass zwei schwer beladene Kriegsschiffe in Tartous, der russischen Marinebasis in Syrien, gepanzerte Truppentransporter und möglicherweise Tanks ausgeladen hätten. Offenbar ist auch Material eingetroffen, das dazu dienen kann, zwei neue Militärflugplätze aufzubauen, der eine bei Lattakyia der andere bei Tartous. Transportable Kontrolltürme und Gerät, um Flugzeuge in Stand zu halten, seien eingeflogen worden. Zwei schwere Antonow Transportmaschinen seien auf dem zivilen Flughafen von Lattakiya gelandet.
Es gibt Anzeichen dafür, dass das neue Material von russischen Sodaten begleitet wird. Sie sollen der 810. Marine Brigade angehören und gelten als kampferfahrene Truppen, nicht als blosse Technniker wie die meisten der bisherigen Berater und Ausbilder. Doch die Rede ist vorläufig bloss von einigen Dutzenden, wahrscheinlich weniger als hundert Mann.
Das neu eingetroffene Kriegsmaterial übertrifft offenbar an Qualität und Feuerkraft alles, was bisher aus Russland an Waffen geliefert wurde. Zweifellos wird es von russischen Instrukteuren begleitet, welche die Syrer mit seiner Handhabung vertraut machen sollen. Ob jedoch russische Soldaten solches Material auch in Kampfhandlungen bedienen, ist nicht wirklich bekannt. Es gibt Berichte, die dies behaupten und Bilder, aus denen dies hervorgehen soll. Doch sie müssen als zweifelhaft gelten.
Militärflugplätze, wozu ?
Die amerikanischen Beobachter sagen, offenbar würden zwei Militärflugplätze in der Provinz Lattakiya gebaut. Einer bei Lattakiya und einer bei Tartous. Auch transportierbare Baracken würden dort aufgestellt, "genügend für mehrere Hundert Mann". Doch was Russland damit zu unternehmen gedenke, sei unklar. Die Militärflugplätze könnten dazu dienen, russische Flugzeuge über Syrien zum Einsatz zu bringen. Was heikel wäre, weil über Syrien ja auch die Luftwaffen der Amerikaner und ihrer Koalition gegen den IS und manchmal auch gegen die Nusra Front operieren.
Auch die syrische Luftwaffe operiert über Syrien. Bis jetzt ist es nie zu Zusammenstössen zwischen ihr und den westlichen Kriegsflugzeugen gekommen. Was nur dadurch erklärbar ist, dass im Hintergrund, öffentlich nicht eingestanden, eine gewisse Koordination zwischen beiden Luftwaffenkommandos bestehen muss. Jedoch, dass eine solche Koordination sich künftig auch auf die Russen und ihre Kriegsflugzeuge erstrecken könnte, wäre sehr seltsam und gewiss präzedenzlos.
Verdeckte Formen der Intervention?
Natürlich sind Mischformen denkbar, wie russische Flugzeuge, die offiziell von Syriern geflogen werden, jedoch begleitet von russischen "Instruktoren". Auch die amerikanischen Beobachter wissen zur Zeit nicht, was die Russen genau zu unternehmen gedenken.
Dies hindert die amerikanische Diplomatie nicht daran, die Russen vor einer Eskalation zu warnen. Kerry soll am Telephon am vergangenen Mitwoch seinem russischen Kollegen Lavrov angedroht haben, "falls die Berichte sich bewahrheiten, könne dies zu noch mehr Gewaltanwendung führen", wie ein offizieller amerikanischer Sprecher erklärte. Der Nato-Oberkommandierende Jens Stoltenberg äusserte sich ähnlich.
Überflugrechte
Bulgarien weigerte sich, den Russen Überflugrechte für die Waffenlieferungen nach Syrien einzuräumen. Doch ein Sprecher der russischen Botschaft in Teheran sagte, Iran habe solche Rechte gewährt. Um bis Syrien zu gelangen, müssten die Russen von Iran aus auch den Irak überfliegen. Ob ihnen Bagdad diese Rechte ebenfalls gewähren wird, ist mindestens zweifelhaft.
Waffenlieferungen "sind nichts Neues"
Russische Sprecher entgegnen auf die westlichen Warnungen, Russland tue nichts anderes, als es seit langer Zeit täte, nämlich ihre Verbündeten, die Syrer, mit Waffen zu versorgen, wie dies schon seit Jahrzehnten der Fall sei. In der Tat haben die Lieferungen russischen Kriegsmaterials an Syrien eine lange Geschichte, die bis auf die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgeht. Hafez al-Asad, der Vater des heutigen syrischen Machthabers, wurde damals in der Sowjetunion als Bomberpilot ausgebildet. - Putin wurde gefragt, ob er russische Soldaten nach Syrien zu senden beabsichtigte. Er vermied ein Ja oder ein Nein, indem er entgegnete: "Wir ziehen verschiedene Optionen in Betracht".