Am imaginären Stammtisch in San Antonio (Texas) geht es laut zu. Auf ihren harten Holzstühlen gestikulieren weisse alte Männer – darunter Farmer, Arbeitslose, Evangelikale –, also jene Bürger, die Trump mehrheitlich gewählt haben. In Washington D. C., im Cabinet Room des Weissen Hauses, geht es etwas weniger laut zu. Auch hier diskutieren weisse ältere Herren – Anwälte, Ex-Banker, Generäle –, die vom ebenfalls anwesenden Chef ausgewählt worden sind, „America great again“ zu machen. Hier die Milliardäre, dort die Frustrierten – wenn das nur gut kommt.
America first!
America first! Der Politslogan, der weitherum einschlug im Land der unbegrenzten Möglichkeiten (mit Ausnahme der West- und Ostküsten-Staaten), bestimmt das Tagesgespräch. Die Millionen der Loser, der Abgehängten, warten jetzt gespannt auf konkrete Resultate jener Leader, die dazu berufen sind, Trumps Versprechen „Wir werden unsere Nation mit amerikanischen Händen wieder aufbauen“ in Taten umzusetzen. Gemeint waren damit wohl neben der Mauer gegenüber Mexiko auch die in den letzten Jahrzehnten ins Ausland abgewanderten Industriekomplexe und die verrosteten Infrastrukturanlagen, nicht nur im Rust-Belt.
Es lohnt sich, die Leute am Stammtisch in San Antonio und jene im Cabinet Room unter die Lupe zu nehmen, immer mit dem Ziel, der Neuauflage des American Dream auf die Spur zu kommen – um wenigstens ansatzweise zu verstehen. Doch eine Illusionsblase bildet sich heran, von Traum keine Spur.
Frustration und Verbitterung
Wenn sie jetzt bei einem Budweiser (neuerdings „America“ genannt) mit einer gewissen Genugtuung und gespannter Erwartungshaltung mit der Faust auf den Stammtisch hauen, fühlen sie sich erstmals seit Jahrzehnten „erhört“. Sie haben viel verloren in diesen Jahren – Home, Job, Hope. Der renommierte amerikanische Philosoph Michael Sandel (Harvard-Universität) beschrieb das in einem Interview in der NZZ am Sonntag so: „Es geht nicht einfach um wegrationalisierte Jobs. Sondern hinter der Frustration und Verbitterung […] steckt die Wut über verlorene soziale Wertschätzung […], sie fühlen sich verachtet und haben das Gefühl, man respektiere sie und ihre Arbeit nicht mehr.“
Ausgelöst wurde das alles durch die Banken- und Hypokrise der Jahre 2007/2008. Nachdem über Jahre Luft in die Blasen gepumpt worden war, bis sie mit lautem Knall zerplatzten, waren nicht die eigentlichen Verursacher des Desasters die Verlierer. Nein, die Opfer waren jene, die den Vertretern der Hochfinanz bis anhin geglaubt hatten.
Seither beschleunigte sich die Spaltung der Nation – hier die mit enormen Boni und Salären ausgestatteten White Collar Top Executives, deren Bank- und Maklerhäuser zum Teil mit Staatsgeldern vor der Pleite gerettet hatten werden müssen, die weiterhin ungerührt ihre Millionen kassierten. Dort die genügsameren Blue Collar Workers, die zuverlässig ihre tägliches Brot in der Industrieproduktion, mit nützlichen Dienstleistungen oder auf den riesigen landwirtschaftlichen Feldern und Äckern verdient hatten.
Vergiftete Atmosphäre
Als weiteres Beispiel des imaginären, oben beschriebenen Stammtisches können wir auch nach North Carolina fahren. Farmers Land, Tabakplantagen, Baptisten- Prediger, Dutzende von Kirchen – über 75 Prozent der Wahlberechtigten haben in diesem Swing State für Trump votiert. Die Männer bezeichnen sich als „gläubig, stark, hart arbeitend“ (NZZ).
Hier hofft man auf Trumps Versprechen vom „Fairen Handel“ – was immer darunter verstanden sein dürfte. Man fürchtet sich vor der Dumping-Konkurrenz aus dem Ausland. Wenn die Handelsbilanz zuungunsten Amerikas ausschlägt, muss man das mit Importsteuern ausgleichen. Das ist eine der von Trump suggerierten einfachen Lösungen, über deren Auswirkungen (würde sie auch von ausländischen Ländern angewendet) man sich keine Sorgen macht. Diese Illusion wurde gezielt geschürt. Bereits sieht die Runde positive Zeichen des trump’schen Handelns: das Hoch an der Börse wird als Zeichen verstanden, dass es jetzt mit Amerika wieder aufwärts gehen wird.
Notebook statt Budweiser
Im White House, 1317 Miles entfernt, im imaginären, (so stelle ich mir das jedenfalls vor) gekühlten Cabinet Room eröffnet der Chef die strategische Diskussionsrunde. „Gestern war China unser Feind. Ab heute ist es unser Freund“, verkündet er mit breitem Grinsen und doppelt nach: „Gestern kämpften wir in Syrien gegen die Gegner Assads. Ab heute gegen Assad.“ Und noch etwas: „Gestern kritisierte ich die Nato, heute lobe ich sie.“ Die Männerrunde nickt zustimmend und tippt die Botschaft mit der Zweifingertechnik befliessen ins Notebook.
Zuerst meldet sich jetzt Michael Anton (47), seit kurzem Präsidentenberater, zu Wort. Er ist der neue Direktor für strategische Kommunikation im Sicherheitsrat. Er lehnt sich zurück, um seinem Votum mehr Ausdruck zu verleihen: „As I said before* – America’s national interests are to pursue and promote prosperity, prestige, and peace.“
Jetzt räuspert sich Stephen Miller (32), der Jüngste der Runde, seit kurzem Senior Advisor des Präsidenten. Obwohl Millers Eltern Demokraten waren, wechselte er zu den Republikanern, nachdem er das Buch der National Rifle Association „Guns, Crime and Freedom“ gelesen hatte: „Remember – everything that is wrong with this country today, the people who are opposed to Donald Trump are responsible for it!“ Die Runde nickt zustimmend, der Präsident anerkennend.
„How about Russia?“, „How about China?“
Für Wilbur Ross (79), dem Milliardär und neuerdings Wirtschaftsminister, ist das alles zu rückwärtsgewandt. Um abzulenken von der Kritik der US-Klimabehörde, die in seinem Ressort angesiedelt ist und die aufgeschreckt ist durch Trumps Zweifel am Klimawandel, plädiert er dafür, jetzt in die Zukunft zu schauen. Er erinnert daran, dass Wachstum innerhalb der US entscheidend sei und dass „unfaire Handelsbedingungen“ mit ausländischen Handelspartnern zügig geändert werden müssten. Seine etwas maliziöse Frage an den Präsidenten: „How about China?“
„And how about Russia?“ Der aus Moskau zurückgekehrte Aussenminister Rex Tillerson (65) hat sein breites Grinsen wieder gefunden, das ihm im April 2017 bei Putin abhandengekommen war. „Wasn’t Russia our friend – now our enemy? Mr. President, please advise my Department about your strategy.“
An dieser Stelle klinkt sich via Skype (verschlüsselte Version) der Ex-General und neuerdings Verteidigungsminister James Mattis (67), zurzeit an Bord des Flugzeugträgers USS Gerald Ford, in die Diskussion ein: „Morning folks! All 59 Tomahawks right on target! Confirm mission accomplished, for our national security. Expect further instructions.“
Ein Sitz ist übrigens leer geblieben, jener reserviert für Steve Bannon (64), White House Chief Strategist, früher Breitbart News. Bannon wird jeden Moment zurückerwartet, doch im Moment telefoniert er noch mit dem Vatikan. Genauer gesagt: mit dem amerikanischen Kardinal Raymond Leo Burke, der aus dem Hintergrund eine eigentliche Rebellion gegen den Papst Franziskus koordiniert. Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass Bannon – neben der amerikanischen Regierung – auch die katholische Kirche zurück auf eine erzkonservative Linie ausrichten will.
Der Präsident ergreift an dieser Stelle wieder das Wort: „By the way: I just said good-by to Jim Comey. Let’s all have a coffee now!“
Geteilte Nation
Die beiden geschilderten (fiktiven) Gesprächsrunden, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen stellvertretend für eine Bevölkerung, die in mehrerer Hinsicht tief gespalten ist. Der seit acht Jahren unerbittlich geführte „Krieg“ der Republikaner gegen die Demokraten – sie haben konsequent alles aus der Regierung Obamas Stammende bekämpft und verhindert, offenbart nun den dadurch bewirkten Riss durchs Land. Ebenso scharf kontrastieren West- (darunter Silicon Valley in Kalifornien) und Ostküstenstaaten mit dem Rest des Landes: Dort Aufbruch, Fokus auf Zukunft und Wissenschaft, verbunden mit finanziellem Reichtum. Hier Stillstand, Verklärung der Vergangenheit, des Farmlands und des Sektentums (Baptisten, Evangelikale, Amische etc.) und über weite Gebiete eine ärmliche bis arme Bevölkerung.
Konservative Ansichten interferieren mit progressiven. TV- und Radiosender gelten als Meinungsbilder, sie vertreten je gnadenlos ausschliesslich eine der beiden Strömungen. Während Fox News die Stammlande der Trump-Fans bedient, stehen Printmedien wie „New York Times“ oder „Washington Post“ für die „Eliten“, die es von der anderen Seite rigoros abzulehnen gilt.
Kompromissunfähige Egomane
Wie sollen unter solchen Vorzeichen diese Gräben überwunden werden? Wie wird die Stammtischrunde in Süden reagieren, wenn die Leute einmal realisieren, dass die andere Runde weiter oben im Osten viel Dringenderes zu tun hat, als Wahlversprechen einzulösen? Was wird dann aus diesen Wutbürgern werden? Und was wird die Cabinet Room-Runde proklamieren, wenn deren Teilnehmer realisieren, dass die USA Teil unserer Welt sind und im Alleingang keine Nation „Sicherheit und Wohlstand“ auf die egoistische Tour herbeizaubern kann? Könnte es sein, dass beide Gesprächsrunden ihre Argumente aus persönlichen Illusionen heraus entwickelten – allerdings unterschiedlichen?
Kämpferisch persönliche Ideologien zu proklamieren hat Hochkonjunktur, nicht nur in den USA, nicht nur bei Trump. Diese Egomanen bewegen sich auf gefährlichem Pfad rückwärts in die Zukunft. Kompromisse suchen und verwirklichen, diese aufklärerische Erkenntnis, hat es zurzeit auf der ganzen Welt schwer. Dem Andern die Hand zu reichen gilt als Schwächezeichen. ______________________
*Lesen Sie mehr dazu auf „American Affairs Journal“ (americanaffairsjournal.org)