Das Konklave des Politbüros der allmächtigen Kommunistischen Partei Chinas und danach die Zentrale Ökonomische Arbeitskonferenz geben jährlich in der zweiten Dezemberhälfte den politit-ökonomischen Ton an. Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping ist zwar so mächtig wie einst der utopische Staatengründer Mao Dsedong und der grosse Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping. Dennoch muss Xi Rücksicht nehmen auf Strömungen innerhalb der Partei und auf Interessen in der Nomenklatura und in den potenten Staatsbetrieben. Das Prozedere freilich ist intransparent. Nimmt man jedoch die veröffentlichten Fakten und die rasant sich verändernde chinesisch Gesellschaft als Grundlage, bewegt sich das Reich der Mitte relativ sicher und nach einem langfristigen Plan in die Zukunft.
Moderat Richtung Süden
Gewiss, das chinesische Wirtschaftswachstum ist im nun anbrechenden 41. Jahr der in der Geschichte einmaligen Reform und Öffnung eher moderat Richtung Süden unterwegs. Das vorgegebene Minimalziel, formuliert Anfang 2018, waren 6,5 Prozentpunkte. Dieses Ziel wird, wie könnte es anders sein, offiziell auch erreicht werden. Trotz heute unbegründeten Zweifeln an Chinas Statistiken wird die im Januar 2019 veröffentlichte Wachstumsrate plus/minus stimmen.
Für 2019 freilich wird nach Ansicht sowohl chinesischer als auch westlicher Ökonomen die Wachstumsrate weiter sinken. Erwartet wird, dass Chinas Regierung das Wachstumsziel auf 6 bis 6,5 Prozent festlegen wird. Die Erwartungen westlicher und chinesischer Ökonomen liegen für 2019 bei 6,3 Prozent. Ein nachhaltiges Wachstum in späteren Jahren zwischen 4 und 5 Prozent bis 2030 wäre nach allen Regeln der Ökonomie eine superweiche Landung nach den zweistelligen Wachstumsraten vor noch nicht allzu langer Zeit.
Leitartikler, Wirtschaftsexperten und weitere Pundits freilich schwadronieren in luftig formuliertem Ökonomen-Chinesisch schon seit Jahren von der Falle des Mittleren Einkommens, in die unweigerlich auch China treten werde. Das jedoch wird nicht eintreten. Der chinesische Markt ist zu gross, der Konsum selbst bei einem leicht negativen Konsumenten-Vertrauen zu gross, und – dies vor allem – die Innovationskraft zu stark.
Doom and Gloom
Vor dem zum Jahresende weltweit verbreiteten Doom and Gloom ist sowohl das optimistisch in die Zukunft blickende offizielle China als auch die Mehrzahl der Chinesinnen und Chinesen nur marginal betroffen. Sicher, auch in China türmen sich die Probleme. Die Verschuldung von Kommunen, Provinzen, Staatsbetrieben und neuerlich gar von immer mehr Privaten hat gewaltig zugenommen.
Im eher negativen internationalen Umfeld und angesichts des drohenden Handelskrieges mit den USA sind im Unterschied zur internationalen Finanzkrise 2008/2009 die Möglichkeiten der chinesischen Regierung beschränkt. Die roten Mandarine haben auch weniger Optionen, bei Konsumenten wie bei Firmen Vertrauen zu bilden, mit andern Worten: den Konjunktur-Optimismus anzukurbeln.
Ein aggressiver Wirtschafts-Stimulus wie einst 2008 ist für Peking keine Alternative mehr. Die Regierung hat deshalb bislang nicht eingegriffen. Chinesische wie ausländische Wirtschaftswissenschaftler sind sich in einem ziemlich einig: Der möglicherweise einzige Weg liegt in entscheidenden, mutigen Strukturreformen.
Sino-amerikanischer Handelskonflikt
Die grosse Unbekannte für 2019 ist natürlich der Handelskonflikt zwischen den USA und China. Als sich US-Präsident Trump und Chinas Staatspräsident Xi Jinping am G20-Gipfel trafen, einigte man sich auf weitere Gespräche, die spätestens am 1. März für beide Staaten akzeptable Resultate zeitigen müssen. China hat die neueste Gesprächsrunde auf der Ebene von Vizeministern positiv beurteilt. Zudem hat China beim wichtigen Investitions-Dossier Fortschritte gemacht. Vor dem Nationalen Volkskongress (Parlament) liegt ein Investitionsgesetz, welches auch das für die USA wichtige Thema des Schutzes von geistigem Eigentum mit einschliesst.
Im Mittelpunkt des amerikanisch-chinesischen Handelsstreits steht nämlich neben der negativen amerikanischen Handelsbilanz das für die Zukunft wichtige Thema der Copyrights. Die Amerikaner, aber auch die Europäische Union – die beiden grössten Handelspartner Chinas – werfen Peking seit Jahren vor, Urheberrechte zu missachten, forcierten Technologietransfer zu betreiben und den Marktzugang für Unternehmen administrativ zu erschweren. Das sei auch nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO unfairer Wettbewerb.
Ohne eine Einigung mit Washington bis zum 1. März würde das chinesische Wachstum weiter ins Trudeln geraten. Aber auch die Volkswirtschaften der USA, Europas, Japans und der Schwellenländer kämen dabei in arge Not. Schwer abzuschätzen ist, wie Washington reagieren und handeln wird. Donald Trumps erratischer Regierungsstil lässt Schlimmes aber genauso gut Positives erahnen. Man weiss es einfach nicht. Niemand. Wohl selbst Trump nicht.
Die beste aller Welten
Am Jahresende freilich sollte man – entgegen den negativen, hyperventilierenden internationalen Börsen und Analysten – nicht Trübsal blasen. Früher war eben nicht alles besser als heute. Im Gegenteil. Obwohl in der Schweiz, in Europa oder Amerika nach repräsentativen Umfragen kaum zehn Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, die Welt werde immer besser, ist bei einem gründlichen Tatsachen-Check unschwer erkennbar, dass dies eben doch der Fall ist.
In einem gut recherchierten und klug aufbereiteten Report hat die Zürcher „Sonntagszeitung“ gezeigt, dass wir in der besten aller Welten leben: Die Lebenserwartung steigt, die Zahl der Menschen in extremer Armut ist in den vergangenen 25 Jahren um – täglich – 137’000 gesunken, die Luft wird sauberer, die Naturschutzgebiete wachsen, es gibt mehr Gleichberechtigung, und so weiter und so fort (www.OurWorldinData.org). Oder was China betrifft: die Armutsrate (zwei Dollar oder weniger pro Tag per capita) betrug zu Beginn der Reform vor vierzig Jahren 90 Prozent, heute sind es noch zwei Prozent.
Natürlich gibt es auch in der besten aller Welten Probleme, grosse Probleme. Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen, ökonomische Konflikte beherrschen die Schlagzeilen der Medien. Zu Recht. Dabei allerdings sollte man sich zur Einordnung immer die alte Grundregel des westlichen Journalismus vor Augen halten: „Good News is no News. Bad News is good News.“ Etwas optimistischer tönt das chinesische Journalisten-Credo: „Das Gute betonen. Das Schlechte vernachlässigen.“ – Ihr Korrespondent versucht zwischen beiden Regeln eine Balance zu finden.