Also alle wohlauf: Ödeli und Peterle, soeben vom Zoo zurück, Frassinetti und Ruhr-Pöhl, Dreissigprozent und Christoph Sünneli, der etwas missmutig dreinschaute. Und - tatsächlich! - Stomp, der Korrektor, der nach dreimonatiger Abwesenheit seelenruhig an seiner üblichen Stelle auf dem Stuhl hinten neben dem Fenster sass und sich den weissen Bart zupfte. “Alle beisammen? Obwohl wir hier zur dringlichen Sondersitzung vereint sind - schliesslich bricht nicht alle Tage ein Tiger aus dem Zoo aus -, kurz eine Personalie: Welcome back, Stomp! Ja, er ist wieder bei uns. Sein Auftritt als Penner damals war ja nichts weiter als ein Aprilscherz. Jetzt, da der Tiger sozusagen minütlich auch hier auf der Redaktion erscheinen könnte…”
Dreissigprozent schrie auf, Ödeli zuckte zusammen.
“Wir müssen jetzt zusammenhalten. Zunächst: Ödeli und Peterle, was zum Teufel ist passiert?”
Ödeli wurde von fiebrigem Zucken geschüttelt. Es sprach Peterle. “Wir waren also im Zoo und haben auch einiges rausgekriegt: Der diensthabende Wärter heisst zum Beispiel Mehmed Ahmedi.”
Rightwing machte einen Hüpfer. “Mehmed, ha ha.”
“Hm“, fuhr Peterle fort, “ein Secondo, türkischer Abstammung. Die Sache hat einen Haken: Er ist SVP-Mitglied, in Rümlang in der Schulpflege.”
Ohhh. Enttäuschtes Raunen.
“Der Direktor kriegt etwa Zweihunderttausend, wir können also dem seinen Rücktritt fordern.”
“Hmm“, meinte Rightwing, “sogar eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Ich meine: falls Ruby Raubtier jemanden frisst.”
“Am besten ein Kind!”, meinte Peterle, doch da stotterte bereits Ödeli: “Du vergisst, dass der Direktor ein Drittel seines Gehalts dem Verein ‘Rettet den Pfeilgiftfrosch’ stiftet.”
“Hm, du bringst mich auf eine Idee: Gefahrenquellen. Ich habe da etwas gelesen: Mit dem Gift dieser Frösche im Zürcher Zoo könnte man die ganze Schweizer Bevölkerung umbringen. Stomp, das kommt herein: Bei dieser Schlamperei im Zoo wäre es gut möglich, dass auch die Pfeilgiftfrösche abhauen. Und die Paviane, die sind hochgefährlich. Ich will ein Bedrohungsszenario über die gefährlichsten Tiere. Hm, und du vergleichst das mit den dazu doch eher harmlosen Atomkraftwerken.”
“Ist gut, Chef.”
“Kann ich jetzt weiter erzählen? Ödeli und ich, wir sehen uns gerade den Käfig von aussen an, da hören wir ein Fauchen. Der verdammte Tiger ist zurückgekehrt: Essensausgabe, immer um 11.30 Uhr. Zuerst hat er mich angesprungen und mir die Pranke in die Stirn geschlagen, dann hat er Ödeli, sagen wir mal, angeknabbert. Mehmed, der Wärter, hat aber gesagt, die Tiere hätten sich an Rindssteak und Poulet so gewöhnt, dass sie Menschenfleisch nicht einmal anrühren.”
“Das war unsere Rettung“, fröstelte Ödeli.
“Hm, Rindssteak. Hast du gehört, Stomp? Verschwendung. Zur Beamtenschlamperei kommt immer auch Verschwendung. Was fressen denn die vom Direktor gesponserten Pfeilgiftfrösche?”
“Fruchtfliegen“, meinte Stomp.
Rightwing klatschte in die Hände. Er grinste.
“Fassen wir zusammen: Wir ziehen diese Geschichte durchs ganze Heft, durch alle Rubriken, mitsamt der Habt-die-Tiere-lieb-Kolumne von Christoph Sünneli. Lauftext: Verschwendung, Schlamperei und Alarm, wenn all die Giftschlangen und Raubtiere ausbrechen. Wirtschaft: Was kostet so ein Zoo? Warum verdienen die Leute sich da eine goldenen Nase? Eine Liste mit dem Sparpotential! Gesellschaft: Das Weltbild der Grünen am Ende - unser Feind ist die Natur! Und Kultur… Wie war das mit diesem Tucholsky, Dreissigprozent… Sorry, Felicitas?”
“Der hat mit dem Stück über den Berliner Löwen die Propaganda der Rechten entlarvt. Dass denen noch das abwegigste Ereignis dazu dient, das Volk aufzuhetzen gegen …”
“Gut, du schreibst einen Kommentar: Warum nicht Tucholsky, sondern der Berliner Löwe Recht hatte. Ich mach mich ans Editorial: Ödeli, du kommst in mein Büro und berichtest. Ich schreibe das Ganze in der Ich-Form: Wie ich dem Raubtier in die Augen sah.
An die Arbeit, Leute! Wenn wir Glück haben, frisst Ruby Raubtier einen von der Alternativen Liste.”