Ödeli war der erste, der ihn entdeckte. Der Penner lag in der Nische zwischen der Kopiermaschine und dem gläsernen Chefbüro, in dem Roger Rightwing gerade das neue Videogame “Wipe out Beggars, Burglars, Prostitutes” spielte. Er hatte schon 18 Bettler verbrannt, 14 Nutten totgeschlagen und 21 Einbrecher abgeknallt.
Der Unterkörper des Penners lag auf dem Boden ausgestreckt, seine Schultern waren an die Seitenwand des Xeroxgerätes angelehnt. Eine halbvolle Literflasche Veltliner war ihm aus den schmutzigen Fingern auf dem beigen Redaktionsteppich davon gerollt und hatte dort rote Flecken hinterlassen.
Der Mann war etwa sechzig Jahre alt, vollkommen verdreckt, in Fetzen gekleidet, ursprünglich weissbärtig (jetzt hatte der Bart die Farbe der Ausscheidung, wonach seine Hose roch), mit Stirnglatze und wirren grauen Haaren am Hinterkopf. Zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt er eine abgebrannte Zigarette. Aus dem schiefen Maul rann Schleim.
Ödeli hatte den Neuen neben sich erst bemerkt, als es blitzte und klickte. Der Neue war der noch grössere Schleimer als Ödeli.
„Was tust du da, Peterle?“
„Das siehst du doch. Ich mache Fotos. Wir besprechen im Sommer doch diese Videoserie: Wipe out Urban Trash. Das Bild passt.“
„Wo zum Teufel ist der Korrektor“, hörten sie jetzt Roger schreien. Er fuchtelte mit ein paar Blättern. „Stomp, zum Teufel, komm er mal her.“
Um den Penner herum (lebte der eigentlich noch?) hatten sich weitere Redakteure versammelt, Roger Rightwing musste sich durchkämpfen. Als er den stinkenden Haufen sah, hätte er sich beinahe erbrochen.
„Wuaaah! Wie zum Teufel kommt dieser Abschaum… Stomp! Ruf er sofort den Sicherheitsdienst! Ödeli, Peterle, schafft den raus!“
Roger tröpfelte etwas aus einem Fläschchen auf ein Taschentuch und hielt es sich vor die Nase. Da streckte der Penner plötzlich die Arme von sich, gähnte, rieb sich die Augen und wand sich in die aufrechte Stellung.
„Bist du Rightwing?“
Roger nuschelte etwas hinter dem Taschentuch.
Der Penner wühlte in der ausgebeulten Tasche der zerlöcherten Jacke. Rightwing schrie hinter dem Taschentuch: „Sicherheitsdienst! Polizei!“
„Was Polizei? Ich habe da ein Schreiben. Ein offizielles. Du bist doch dieser rechtsextreme Hetzer? Rightwing, hä? Lies das!“
„Danach gehst du aber. Klar? Sofort!“
Der Penner nickte und Roger Rightwing las.
Roger Rightwing las und sah zum Penner auf.
Roger Rightwing las und schüttelte den Kopf.
Da begann der Penner sich die Perücke abzunehmen, die Fetzen abzulegen, und darunter kamen ein grauer Anzug, ein weisses Hemd, eine gestreifte Krawatte und, immer noch etwas verdreckt - WER zum Vorschein?
Korrektor Stomp.
Stomp grinste breit.
„Sag mal Stomp, spinnst du? Was soll die Komödie? Deine Kündigung…“
Stomp nahm die Flasche Veltliner an sich und trank einen Schluck. Er rülpste.
„Weisst du, Roger, auf diesen Tag warte ich seit Jahren. Deine Zeitschrift ist zum Kotzen. Hast du das gewusst? Und diese Kotze habe ich tagein tagaus in Schokolade verwandelt. Nämlich in schönes Deutsch. Der Inhalt ist aber zum Ko-o-o-tzen!“
Roger Rightwing stand verblüfft.
Roger Rightwing wurde rot.
Er wurde blau.
Er wurde eine Trikolore.
„Verdammte Stinkmorchel!“, brüllte er jetzt Korrektor Stomp hinterher, der lächelnd auf den Ausgang zuschritt.
„Schmutzige Sau! Verlauster Haschischfresser! Intellektuelle Pestbeule! Subversiver Drecksack!“
Nichts da, Drecksack, dachte Stomp. Keine Spur von Dreck. Das ist, ganz im Gegenteil, ein sauberer Abgang.