Blaubart ist das märchenhafte Motiv eines mittelalterlichen Ritters, der in seinem Schloss Frauen hinter Schloss und Riegel hält, weil diese ihm ungehorsam sind oder aber, von unbezwingbarer Neugierde für Juwelen, in eine vom Mann gestellte Falle tappen.
Der Märchenstoff erlaubt die unglaublichsten Varianten von Beziehungen zwischen Mann und Frau, von Dominanz und Kontrolle einerseits, aber auch von Liebe und Hingabe andererseits, die man sich zwischen dem Mittelalter und der Gegenwart dem Jahrhundert ihrer Ausgestaltung entsprechend ausdenken mag.
Natürlicherweise wird ein solcher Stoff auch für die Opernwelt mit der Zeit ein interessantes und ausdruckstarkes Reizthema, dem wir in der Geschichte des Musiktheaters einige aussergewöhnliche Werke verdanken. Heutzutage sind es vor allem drei Werke, denen wir unter Blaubarts Namen auf den Opernbühnen begegnen.
Da ist zunächst Offenbachs geniale komödiantische Operettenversion des Stoffes aus dem Jahr 1866, uraufgeführt im Pariser «Théâtre des Variétés», um die sich für den deutschsprachigen Raum vor allem der Schriftsteller Karl Kraus in Bearbeitungen verdient gemacht hat. Darauf folgt im Jahr 1907 eine Version des Ritters Blaubart von Paul Dukas auf einen Text von Maurice Maeterlinck. Unter dem Titel «Ariane et Barbe-Bleue» wurde sie des Komponisten auch ausserhalb Frankreichs bekannteste Opernschöpfung. Mit seiner Vertonung von Goethes «Zauberlehrling» als ein reines der Programmmusik verpflichtetes Orchesterwerk erlangte Dukas sogar Weltruhm.
Die am häufigsten zu hörende Opernform von Ritter Blaubart ist mit Sicherheit Béla Bartóks Einakter «Herzog Blaubarts Burg» aus dem Jahr 1918, die auf einen Text des ungarischen Maeterlinck-Schülers Béla Balázs beruht. Über diese Variante des Stoffes war in den «Arien des Monats» bereits früher einmal die Rede.
Ein humaner Raubritter?
Märchenerzähler liebäugeln gern mit der Variante des «Schauermärchens». Darum kennen wir Ritter Blaubart als brutalen Frauenmörder, der seine Geliebten umbringen lässt, sobald sie schwanger werden. Wir kennen ihn aber ebenso als einsamen Mann, der auf der Suche nach einer ebenbürtigen liebenden Partnerin ist. Es ist darum begreiflich, dass die französischen Symbolisten (die belgischen wie Maeterlinck eingeschlossen) die nicht brutalen Varianten des Stoffes bevorzugt haben und einen nicht-mörderischen Ritter oder Herzog Blaubart auf der Bühne erleben wollten.
In der Vertonung von Paul Dukas haben wir es zu tun mit einem männlichen Protagonisten, der sonderbar domestiziert wirkt durch die Handlungsweise seiner letzten geliebten Frau. Dukas hat ihm – im Gegensatz zur Figur Arianes und sogar zu jenen von Blaubarts früheren Geliebten – nur eine ganz kleine «stimmliche Erscheinungspräsenz» in der Oper eingeräumt. Darstellerisch ist der mörderische Haudegen Blaubart zu einer kleinen Nebenfigur degradiert, was manche Interpreten dazu gebracht hat, die Oper als ein frühes Manifest weiblicher Emanzipationsgeschichte zu deuten.
Dagegen spricht freilich, dass bei dem von einer Schar Bauern gefangenen Blaubart sich am Ende der Oper die von ihm in einem dunklen Verlies verbannten und von Ariane daraus erlösten früheren Frauen von einer Befreiung aus einem männlichen Machtbereich gar nichts wissen wollen und daher beschliessen, weiter bei Blaubart in seinem Schloss zu bleiben. Ob dies aus Zuneigung zu Blaubart selbst geschieht, oder aber – wie ein kluger Kritiker des Werkes einmal analysierte – eher aus Liebe zu seinen Reichtümern und zu seinen farbig leuchtenden Juwelenschätzen in seiner Burg, bleibt offen.
Die drei Akte dieser Oper sind auf jeden Fall eine wichtige Bereicherung der französischen Opernwelt im frühen 20. Jahrhundert. Denn die grosse Wende des romantischen Opernrepertoires leitete in Frankreich Debussy 1902 mit seiner «Pelléas et Mélisande» (auch ein «Maeterlinck-Stoff») ein. Danach durfte und musste alles anders werden in der Sprache der Töne.
Zeitenwende
Zu dieser «Zeitenwende» im Bereich des Musiktheaters trug auch Dukas Werk wesentlich bei. Eine der bekanntesten Einspielungen des Werkes wurde dabei die Aufnahme von Armin Jordan aus dem Jahr 1983, die man hier in ihrer ganzen Länge hören kann (Beteiligte siehe unten). Eine wichtige weibliche Figur ist zudem die Amme (La Nourrice), die an der Seite von Ariane steht, und sie in ihrem Befreiungsfeldzug rat- und tatkräftig unterstützt. Sie ist die, die die Türen öffnet zu den Schatzkammern des Schlosses und den Zugang möglich macht für den mutigen Abstieg Arianes in die lichtlosen Kellerräume des Schlosses, in denen sie ihre Vorgängerinnen lebendig vorfindet und in die Sehzonen von Blaubarts Prachtgebäude zurückführen kann.
Hier findet eine Anspielung auf die griechisch-mythische Ariadne statt, Tochter des kretischen Königs Minos, die ja ihren Helden Theseus mithilfe des «Ariadnefadens» aus dem Labyrinth, in dem der Minotaurus haust, herausholt und diesen so rettet. Die Oper ist in der Farbigkeit des Orchesters nicht weniger neu als die Tonsprache Debussys, ebenso eindrucksvoll sind auch die Chorszenen und die Ensembles. Man darf ruhig behaupten, dass das Spielen mit Licht und Schatten im Kolorit des verwendeten Instrumentariums bei Dukas der Kunst von Debussy (und übrigens auch schon von Berlioz) in nichts nachsteht.
Es ist keine leichte Sache, aus dem Schatten spätromantisch-wagnerischer Klangästhetik herauszutreten und die Türen zu neuen Erfahrungen im Tonalen zu öffnen. Das ist zwar auch Schönberg mit seiner seriellen Zwölftontechnik gelungen. Weniger radikal sind dabei aber die französischen Klangmeister vorgegangen. Sie haben uns dabei von den Impressionisten über Figuren wie Dukas, Albert Roussel, Ravel, Poulenc, Jaques Ibert bis zu Olivier Messiaen Hörbereiche eröffnet, vor denen man sich gerade als heutiger Hörer nur tief verneigen kann.
Paul Dukas - Ariane et Barbe-Bleue
Libretto: Maurice Maeterlinck e La «Barbe-Bleue» di Charles Perrault.
Atto I I. À mort! à mort! II. Où sommes-nous? III. Ô mes clairs diamants! IV. Ariane, que faites-vous? Est-ce vous qui chantez? V. Vous aussi … - Moi surtout Atto II I. Écoutez! La porte se referme avec un bruit terrible II. Ah! Je vous ai trouvées! III. Nous comptons mal les jours IV. Ah! ce n'est pas encore la clarté véritable! V. Je vois la mer! … Atto III I. Prélude II. Nous n'avons pu sortir du château enchanté III. Il revient! Il est là! IV. Madame? … On peut entrer? V. Adieu, adieu; vous nous avez sauvées VI. Adieu Ygraine –
Anne-Marie Blanzat, soprano Mélisande - Jocelyne Chamonin, soprano Bellangère - Michelle Command, soprano Ariane - Katerine Ciesinski, mezzosoprano La Nourrice - Mariana Paunova, mezzosoprano Sélysette - Hanna Schaer, contralto Barbe.Bleue - Gabriel Bacquier, baritono Un vieux Paysan - Chris de Moor, basso II. Paysan - André Meurant, tenore III Paysan - Gilbert Chretien, basso Alladine, mimo Coro: Paysans, Foule Chœurs et Nouvel Orchestre Philharmonique de Radio France Rainer Altorfer e Jacques Jouineau, maestri di coro, Armin Jordan, direttore.