Eigentlich wollte ich nicht über das Schlachtverbot von Kühen in meinem Bundesstaat Maharashtra schreiben. In diesen Gefilden tummeln sich der Gemeinplätze und Fettnäpfchen und, ja, heiligen Kühe zu viele, um ungeschoren davon zu kommen. Aber wenn einem ein Titel wie dieser durch den Kopf geht, muss man zumindest den Stier bei den Hörnern packen. Vor Jahren hatte ein deutscher Politiker aus Angst vor der drohenden Invasion indischer Intelligenzarbeiter den unsterblichen Wahlspruch «Kinder statt Inder» geprägt. Und nun sind es diese selbst, die ihren Kühen den Vorrang gegenüber den eigenen Mitbürgern geben.
Indische Widersprüche
Wer in Indien «Kuh» sagt, muss auch «heilig» sagen. Was so viel wie «Schlachtverbot» heisst, und schon ist man in einem Dschungel von typisch indischen Widersprüchen und Scheinheiligkeiten. Da ist einmal die Indische Verfassung, die in Paragraph 48 sagt: «Der Staat wird darauf hin arbeiten (...), das Schlachten von Kühen und Kälbern und anderen Milch- und Zugtieren zu verbieten.» Darauf hin arbeiten? Entweder er tut es, oder er tut es nicht. Die indische Antwort: Er tut es, und er tut es nicht.
So kommt es, dass nur knapp die Hälfte der Bundesstaaten ein Schlachtverbot kennt. Und unter diesen gibt es solche, in denen das Schlachtverbot zwar gesetzlich verankert, aber nie realisiert wurde. In Maharashtra wurde das Gesetz von 1976 nie dem Staatspräsidenten zur Unterschrift vorgelegt, konnte daher im Amtsblatt nicht publiziert werden und blieb Papier.
Aber weil dies den Hindu-Parteien nicht genügte, setzte sich hier Gewohnheitsrecht durch, das da lautet: Milchkühe werden in Ruhe gelassen, dafür müssen Ochsen und Stiere auf die Schlachtbank. Die Nicht-Vegetarier kamen zu ihrem Beefsteak, während die Vegetarier einigermassen ruhig gehalten wurden. Nicht alle: Seit 1976 – 39 Jahre lang – campierte vor dem Eingangstor des Schlachthofs von Deonar in Bombay ein Grüppchen von Gandhianern. Jeden Tag kamen sie im Vorortsbus angefahren, entrollten ihr Banner «Rettet unsere heiligen Kühe», während Viehwagen hinein- und Lastwagen mit Kuhfleisch, Häuten und Knochen an ihnen vorbei hinausfuhren.
Plötzliche Verschärfung
Am 4. März konnten die Bannerträger zum ersten Mal zuhause bleiben – in einem Altersheim in Andheri. Die neue BJP-Provinzregierung (die BJP, Indische Volkspartei, ist die des Regierungschefs Narendra Modi) hatte den Entwurf von 1976 hervorgeholt, abgestaubt, dem Präsidenten vorgelegt und im Gazetteer publiziert. Die Hindu-Parteien jubilierten Gaumata ki Jay! – Hoch lebe Mutter Kuh! –, die mehreren tausend Metzger und Enthäuter und Viehhändler protestierten. Bauern meckerten, weil sie Haut und Knochen ihrer alten Kühe nicht mehr verramschen konnten. Plötzlich hatten sie eine Einkommensquelle weniger und ein Maul mehr zum Füttern.
Und Millionen von Dalits, Ureinwohnern, Muslimen und Christen, für die das Kuhfleisch die billigste Proteinquelle darstellt, waren plötzlich potentielle Kriminelle. Denn der Staat hatte das 76er Gesetz gleich noch verschärft: Wer dabei erwischt wird, wenn er Kuhfleisch transportiert, im Kühlschrank aufbewahrt oder, Gott bewahre!, isst, riskiert bis zu zehn Jahren Haft.
Beef ist nicht Kuh
Eine Woche nach Inkrafttreten dieses rabiaten Essverbots sass ich im vornehmen Breach Candy Club und bestellte einen Beefburger. «Beefburger», notierte der Ober, ohne mit der Wimper zu zucken. Zehn Minuten später biss ich in eine saftige Scheibe Hackfleisch, während meine Freunde vom Schweizer Treff zuschauten, quasi offenen Mundes.
Ich besass nicht etwa eine Ausnahmegenehmigung für Ausländer. Aber Indien wäre nicht Indien, wenn es mit dem neuen Gesetz endlich Eindeutigkeit geschaffen hätte. Wo ist das Problem?, fragte Chefminister Fadnavis scheinheilig, als es von allen Seiten Proteste hagelte. Verbietet das Gesetz etwa das Schlachten von Wasserbüffeln? Keineswegs! Und schmeckt Büffelfleisch etwa schlechter als Kuhfleisch? Wie kommt es dann, dass viele Restaurants in Bombay seit Jahrzehnten unter dem Namen Beef genau dies servieren, nämlich Büffelfleisch? Ich musste zugeben: Ich hatte nie etwas gemerkt. Der Buffaloburger jedenfalls schmeckte mir, gestand ich zähneknirschend, besser als ein Whopper von BurgerKing.
Politik mit heiligen Kühen
Dennoch zeigte genau diese Begründung, was für eine Charade dieses Schlachtverbot ist, so verlogen, dass sie tatsächlich auf keine Kuhhaut passt. Es war einmal mehr ein opportunistisches Verschieben religiöser Torlatten, um einen politischen Treffer zu landen. Denn das Schlachtverbot von Kühen ist kein ernster religiöser Tabubruch, und schon gar nicht geht es auf uralte Traditionen zurück.
Die ersten öffentlichen Proteste gegen das Schlachten von Kühen sind keine zweihundert Jahre alt. Sie stammen aus einer Zeit, als sich erste Protestströmungen gegen die Kolonialherrschaft formierten, waren also schon damals politisch motiviert. Später war es Gandhi, der die Verehrung der Kuh zum Symbol der Gewaltlosigkeit – Ahimsa – stilisierte.
Niemand bezweifelt, dass die Veden mit der Problematik von Himsa und Ahimsa (Sanskrit für Nicht-Verletzung, Gewaltlosigkeit) gerungen haben. Auch die Kuh wird seit alters verehrt, nicht untypisch für eine agrarische Gesellschaft, in der Besitz von Kühen ein sozialer und ökonomischer Gradmesser war.
Doch die alten Inder waren pragmatisch genug, aus Verehrung und Proteinbedarf kein Gegensatzpaar zu konstruieren. Das Manusmriti, vor zweitausend Jahren so etwas wie ein Kasten-Knigge der Hindus, stellt trocken fest: «Es ist keine Sünde, essbare Tiere zu verzehren, denn Gott hat sowohl essende wie essbare Kreaturen geschaffen.» Das Opfern von Kühen war nicht nur Teil von religiösen Ritualen, sie wurden im darauffolgenden Festmahl auch verspeist. Und die Götter waren Feinschmecker, wenn es um Kuhfleisch ging, ebenso wenn es um den Götterwein Soma ging, mit dem sie es herunterwuschen.
Wird Indien zum Hindu-Staat?
Aber es geht nicht nur um den Widerspruch zwischen puritanischer Theorie und liberalem Genuss, nicht um den Widerspruch, dass der Verzehr von Büffelfleisch (und Pferde-, Hühner-, Schweinefleisch) gestattet ist, während Kühe sakrosankt sind. Empörend ist die Selbstverständlichkeit, mit der Politiker in einem säkularen Staat dekretieren, ein religiöses Gebot gelte nicht nur für die Anhänger einer Religion, sondern für alle Bürger (einschliesslich der vielen Hindus, die nicht Vegetarier sind). Von da ist es nur ein kleiner Schritt, die Religion der Mehrheit zur alles bestimmenden Gesetzesgrundlage zu machen – die Scharia lässt grüssen.
An dieser schleichenden Politisierung stossen sich denn auch die meisten Proteste. Das selektive Schlachtverbot passe schlecht zu einer Gesellschaft, stand in der Zeitung Mint, die zu Recht stolz sei auf ihre multireligiöse Tradition. Toleriert nicht gerade der Hinduismus alle Glaubensformen? Mehr noch: Macht nicht gerade diese Religion die Vielheit quasi zu ihrer einzigen Doktrin?
Kastendenken
Einsprachen vor dem Obersten Gericht in Bombay machten eine gravierende Verletzung grundlegender Verfassungsrechte geltend. Wie kann der Staat mir vorschreiben, was ich essen darf? Sie weisen aber auch auf die soziale und ökonomische Diskriminierung hin, die das Gesetz fördert. Es trifft die Ärmsten – und typischerweise jene, die am härtesten körperlich arbeiten –, für die Kuhfleisch die einzige Proteinquelle ist, die sie sich leisten können.
Denn auch Büffelfleisch ist inzwischen wegen seines Exportwerts weit teurer als jenes von Stieren und Ochsen. Natürlich modert hier unterschwellig auch das Kastendenken weiter. Denn warum darf man weiterhin Büffelkühe schlachten? Weil sie nicht hellhäutig und treuherzig sind wie die Brahmini Gai, sondern dunkelhäutig und stumpf, wie Ureinwohner und Dalits eben! Einmal mehr war es das ungezogene Maul von Salman Rushdie, das mit seinem Twitter-Kommentar die wunde Stelle traf: «Ich gratuliere dem Staat Maharashtra! Es ist dort jetzt sicherer, eine Kuh zu sein als eine Frau, ein Dalit oder ein Muslim.»