Im Editorial der ersten Weltwoche–Ausgabe 2013 verteidigt Chefredaktor Roger Köppel unter dem Titel «Kapitalismus» die Fehlbarkeit der Banken mit einem Zitat Immanuel Kants: «Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden» und zieht das Fazit: «Wo Menschen handeln und geschäften, passieren Fehler.» Nicht ohne sogleich zu relativieren, dass der Staat nicht weniger fehler- und korruptionsanfällig sei. Als Beispiel folgt das US-Immobiliendebakel, bei dem die UBS in «naivem Ur-Vertrauen auf die Verlässlichkeit der US-Politik» mitgemischt habe.
Weiter hinten im gleichen Heft beklagt sich Autor Kurt Schiltknecht (ehemals Leiter des volkswirtschaftlichen Bereichs der Schweizerischen Nationalbank und ausserordentlicher Professor an der Universität Basel) darüber, dass bei Bussen an Banken der zur Verfügung stehende Gewinn reduziert werde und diese letztlich zu Lasten der Kapitalgeber, also der Aktionäre, gehen würden. Es wäre besser, die verantwortlichen Personen und Gremien zur Rechenschaft zu ziehen.
Missbrauchtes Vertrauen
Ich glaube nicht, dass ein Banker jemals einem Politiker vertrauen würde. Und umgekehrt. Denn ich denke, dass beide Arten davon leben, das Vertrauen anderer auszunutzen im Wissen, letztlich die Verantwortung nicht tragen zu müssen. Im schlimmsten Fall treten sie einfach zurück. Den Scherbenhaufen können dann die Aktionäre oder Steuerzahler oder deren Nachkommen aufräumen.
Naiv ist in meinen Augen bei allem Respekt der Ansatz von Schiltknecht. Aktionäre könnten durchaus Unternehmen für ihr Fehlverhalten büssen, indem sie die Aktien dieses Unternehmens verkaufen respektive nicht kaufen. Längerfristig. Dass dieser Mechanismus nicht (mehr) funktioniert, hat vermutlich einen anderen Grund: Die Börse ist zu einem Casino geworden. Es wird gezockt bis zum «Rien ne va plus» im wahrsten Sinn des Wortes. Gier regiert.
Spekulativer Aktienhandel
Zwischen 1980 und 2008 nahm der Aktienhandel gemäss den Annual Statistics Reports der World Federation of Exchanges (WFE) um den Faktor 380 zu. Der Aktienbestand stieg lediglich um das Elffache. Aktien dienen offensichtlich zunehmend nicht nur der Investitionsfinanzierung und der langfristigen privaten Vermögensanlage, sondern werden immer häufiger zur Finanzspekulation genutzt. Entsprechend kürzer ist auch die Haltedauer der Aktien.
Wertpapiere werden immer schneller ge- und verkauft. Im Jahr 1980 lag die Umschlagshäufigkeit bei 0,1. Das heisst: Im Durchschnitt hielten die Käufer ihre Aktien zehn Jahre. 2008 wurden Aktien im Durchschnitt nach gut drei Monaten Haltedauer wieder verkauft. 2009 bis 2011 verlängerte sich die Haltedauer auf ein gutes halbes Jahr.
Gewinn um jeden Preis
Aktionäre wollen Gewinn. Sofort. Um jeden Preis. Ankündigungen von Entlassungen werden fast ohne Ausnahme mit perversen Kursanstiegen akklamiert. Das langfristige unternehmerische Denken bleibt auf der Strecke. Aktionäre freuen sich fraglos über happige Gewinne, um dann Entsetzen zu mimen, wenn herauskommt, dass ein Unternehmen diese Gewinne mit illegalen Mitteln erwirtschaftet hat.
Roger Köppel glaubt tatsächlich, dass es nur die kriminelle Energie einzelner Mitarbeiter von Banken ist, die zu den diversen Skandalen in letzter Zeit geführt hat. Dass dahinter ein System steckt, das diese Energie schürt und gleichzeitig so aufgebaut ist, dass im Fall eines Versagens der Einzelne fallengelassen werden kann, um die Struktur zu schützen, darüber wird nicht debattiert. Und auch nicht recherchiert.
Wenn ich die Gier der Aktionäre sehe, die Kursanstiege bei Entlassungen beobachte, die immer wiederkehrenden Skandale lese, dann muss ich feststellen, dass sich nichts geändert hat. Es muss offenbar noch viel schlimmer werden. Bis es dann wirklich heisst: Rien ne va plus.