In den USA mit rund 300 Mio. Einwohnern wurde der Präsident in einer allgemeinen Volkswahl erkoren. In der Volksrepublik China mit einer Bevölkerung von 1.3 Mia spielte sich alles, wie schon in kaiserlichen Zeiten, «hinter dem Vorhang» ab. Im Gegensatz zu den USA, wo die letzten Finessen des Wahlsystems und der amerikanischen Befindlichkeit auf sämtlichen Fernseh- und Internetkanälen bis zur totalen Erschöpfung breitgetreten wurden, ist das «Wahl»-System der Volksrepublik der Erklärung bedürftig.
Der chinesische Machtapparat
Die allmächtige kommunistische Partei, seit 1949 an der Macht, zählt heute 82 Mio Mitglieder. Diese delegieren 2270 Genossen in die Grosse Halle des Volkes, am Platz vor dem Tor des himmlischen Friedens Tienamen in Peking. Diese wiederum ernennen 370 Männer und wenige Frauen, die im Zentralkomitee Einsitz nehmen. Das ZK wählt dann 25 Personen, darunter 2 Frauen, ins Politbüro. Schliesslich werden sieben bis neun Politbüromitglieder in den Ständigen Ausschuss gewählt. Dieser Ausschuss ist die Crème de la crème der KP und wird für die nächsten zehn Jahre die Geschicke Chinas bestimmen – wirtschaftlich, sozial, innenpolitisch und international.
Beide Staaten vor Herkulesaufgaben
Amerika und China war in dieser ersten Novemberwoche eines gemeinsam. Hüben und drüben handelte es sich um eine Richtungswahl. In Washington wird sich der wiedergewählte Präsident Obama wirtschaftspolitisch leicht korrigieren müssen, um mittels einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik und einem ausgleichenderen Staatshaushalt mittelfristig einen Schuldenabbau zu erreichen.
China wiederum ist gefordert mit der Umkrempelung seines seit 33 Jahren erfolgreichen Wirtschaftsreformmodells: weg von der einseitigen Abhängigkeit von Export und Infrastrukturinvestitionen, hin zu einem konsumorientierten Wachstum, also mehr Binnennachfrage. «Nachhaltiges» Wachstum also, umweltfreundlich, sozialverträglich und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich einebnend.
Das sind sowohl für den amerikanischen als auch für den chinesischen grossen Vorsitzenden Herkulesaufgaben. Sollte das gelingen, wird die ganze Weltwirtschaft profitieren. Die Welt ist, mit anderen Worten, ökonomisch auf den Erfolg der Volksrepublik und der USA angewiesen. Für beide Nationen gilt das, was Bill Clinton 1992 in seinem ersten Wahlkampf treffend formuliert hatte: «It’s the economy, stupid!»
Geopolitik und Sicherheit
Die Wirtschaft also wird für die kommenden Jahre wohl an erster Stelle stehen. In den internationalen Beziehungen freilich kommen macht- und sicherheitspolitische Überlegungen hinzu. Das gilt für Washington und Peking gleichermassen. Seit der grosse Revolutionär und Reformer Deng Xiaopin anfangs der 1980er Jahre den Kurs einer multipolaren Welt entworfen hatte, ist China dieser aussenpolitischen Maxime treu geblieben. Mit zunehmender wirtschaftlicher Potenz hat China aber auch seine Streitkräfte und insbesondere seine Flotte aufgerüstet, um seinen wohlverstandenen Interessen Nachachtung zu verschaffen.
Amerika dagegen ist erst auf dem Weg, das Blockdenken aus den Zeiten des kalten Krieges langsam abzuschütteln. Sein Verhältnis zu China, in den letzten zwei Jahrzehnten zwischen Konfrontation und friedlichem Wettbewerb oszillierend, wird sich mit dem Wahlsieg Obamas – nach der harschen Anti-China-Wahlkampfrhetorik – wieder hin zu wirtschaftlichem Wettbewerb und sicherheitspolitischer Kontrolle bewegen.
Das Gewicht Chinas wird, historische Zwischen- und Unfällle einmal ausgeschlossen, unter dem neuen Staats- und Parteichef Xi Jinping mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beträchtlich zunehmen. Doch die USA sind noch längst nicht, wie oft düster prognostiziert wird, alte Geschichte. Als pazifischer Staat hat sich das innovative Amerika schon längst umorientiert und den Blick nach Asien gerichtet. Dort sind die USA als willkommenes Gegengewicht zu China beliebt und hochwillkommen, selbst beim ehemaligen Erzfeind Vietnam. Europa, die Schweiz eingeschlossen, hat hingegen bis heute noch nicht richtig begriffen, dass sich das politische genauso gut wie das wirtschaftliche Zentrum vom atlantischen definitiv in den asiatisch-pazifischen Raum verschoben hat.
Die Schweiz und die Grossmächte
Die Schweiz schliesslich kann sich von Obamas Wiederwahl wenig erhoffen. Das gilt für die Frage des Steuerstreits und ebenso für die Schweizer Banken. In China wiederum wird auch der neue Staats- und Parteichef Xi die überaus freundschaftliche Politik gegenüber der Schweiz fortsetzen. Das wird den derzeitigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zugute kommen. Die Schweiz hat in China einen ausgezeichneten Ruf, die Banken eingeschlossen und die schwer verifizierbaren Vermutungen, dass einige recht hohe chinesische Parteikader ähnlich wie der gescheiterte US Kandidat Romney ein hübsches Bankkonto in der Schweiz unterhalten, ist nicht ohne weiteres vom Tisch zu wischen.