Eine derart heftige Fronde von Richtern gegen den Staatspräsidenten hat es trotz einem stets gespannten Verhältnis zwischen Justiz- und Staatsmacht in Frankreich kaum je gegeben. Sarkozy, früher Rechtsanwalt, hatte die Richter in Nantes wegen "Fehlverhaltens" kritisiert, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der vermutliche Mörder der 18jährigen Laetitia Perrais, deren Leiche Anfang Februar zerstückelt in einem Teich bei Pornic (Loire-Atlantique) gefunden worden war, nicht unter Aufsicht stand. Der Fall hatte im ganzen Land Emotionen geweckt, vor allem nachdem sich herausstellte, dass der mutmassliche, nur teilweise geständige Täter Tony Meilhon ein besonders gefährlicher und gewalttätiger Delinquent war, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis vor einem Jahr eigentlich unter Aufsicht hätte gestellt werden müssen.
Dies war unterblieben, und auch eine neue Fahndung der Polizei gegen Meilhon wegen Autodiebstahls blieb ohne Resultat. Sarkozy drohte fehlbaren Richtern und Polizisten Sanktionen an. Die Magistraten von Nantes protestierten gegen die Unterstellungen und Drohungen des Präsidenten und starteten eine Protest-Kampagne mit der systematischen Verschiebung von Gerichtsterminen. Streiken ist dem Richterstand verboten, so wie auch der Polizei und den Militärs. Fast alle Gerichte im Land nahmen den Protest auf, verstanstalteten Generalversammlungen, um das Verhalten des Präsidenten zu verurteilen. Auch die Pariser Gerichtsbarkeit bis zum Appellationsgericht schloss sich diesen Verurteilungen an, mit der Unterstützung des Pariser Generalstaatsanwaltes Marin. Hohe Magistraten von der Staatsanwaltschaft stiessen in anderen Städten zu den Richtern. Selbst zwei der vier Polizeigewerkschaften unterstützen die Richter, obwohl Sarkozy immer darauf Wert legt, zwischen Polizisten, die verhaften, und Richtern, die wieder "freilassen", zu unterscheiden.
Der Versuch von Premierminister Fillon die Wogen zu glätten schlug fehl. Er bezeichnete die Reaktion der Richter als "überproportional" , relativierte aber den Rundumschlag von Sarkozy mit der Einschränkung, dass es Sanktionen gebe, "falls" Fehlverhalten erwiesen sei. Dies bestreiten nun aber gerade die Magistraten in Nantes aufs Heftigste. Denn wenn es Pannen oder Ungenügen im Justizapparat gebe, erklärten sie, dann wegen der Sparpolitik von Sarkozy, der auch der Justiz ständig die Mittel beschneide. Ein Richter monierte dagegen auch, der Richterstand habe selbst mit jahrelanger Gefügigkeit die Komplizierung des Strafwesens mit unüberschaubaren und nicht durchführbaren Massnahmen - frühzeitige Entlassungen, verbunden mit Aufsicht und Betreuung (meist zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse) - mitverschuldet. Die Mehrheit der Richter, die sonst eher dem rechten Parteienspektrum zuneigen, waren sich einig, dass Sarkozy einen "juristischen Populismus" pflege und eine gefährliche Anti-Stimmung in der Bevölkerung gegen die Justiz schüre - auch aus wahltaktischen Gründen. Die Richter, so diese über sich selbst, würden nur die Gesetze anwenden, die vom Parlament beschlossen worden seien, also auch von der Partei Sarkozys.
Sarkozy ein "Wiederholungstäter"
Ein bekannter Richter bezeichnete in Anspielung auf den kriminellen Meilhon vielmehr Sarkozy als "Wiederholungstäter". Er spielte damit darauf an, dass die Richterschelte seit 2002, als Sarkozy unter Präsident Chirac Innenminister wurde, stets Richter, die er einmal - netter als Berlusconi - als kleine grüne Erbsen lächerlich machte, ins Visier nahm. Er begann, sich in Justizaffären einzumischen, neue Sicherheitsgesetze auszuarbeiten, als ob er, wie der damalige Justizminister einmal klagte, auch der Justizminister sei. Sein eigener Innenmister Hortefeux tat es ihm dann gleich und kritisierte öffentlich Richterurteile. Beide nahmen es mit der Gewaltentrennung nicht ernst, was beim Präsidenten als besonders bedenklich und als Gefahr betrachtet wird. Denn er ist nach Verfassung der oberste Garant der Unabhängigkeit der Justiz, verstösst aber selbst ständig gegen diese wichtige Verpflichtung. Die Unterordnung von Gegengewalten, sei es die Justiz oder seien es die Medien, war immer eine Taktik von Sarkozy.
Als Sarkozy nach seiner Wahl zum Präsidenten die Juristin Rachida Dati zur Justizministerin ernannte, war ein erster Tiefpunkt im Verhältnis zwischen den Richtern und der Regierung erreicht. Wie ihr Lehrmeister machte Dati aus ihrer Verachtung für die Magistraten keinen Hehl. Sarkozy und sie bereiteten ein Gesetz zur Abschaffung der Untersuchungsrichter vor, weil der Untersuchungsrichter - im Gegensatz zu den Staatsanwälten und teilweise auch den Richtern - noch die einzige wirklich unabhängige juristische Instanz geblieben ist. Wenn sie auch nur etwa 5 Prozent der Straffälle bearbeiten, sind es doch die wichtigsten Affären, die sie damit den Manipulationen des Justizministeriums oder des Elysèes entziehen. Das gilt für sensible Prozesse, in die Politiker verwickelt sind, und für Wirtschaftsverbrechen, bei denen sich Sarkozy unvergleichlich verständiger zeigt als bei den übrigen Kriminalfällen - vor allem, wenn Freunde von ihm darin verwickelt sind. Die Geringschätzung und Verletzung der Gewaltentrennung führt so direkt zur Unterordnung der Rechtsprechung unter die persönlichen "Staatsinteressen".
Beifall vom Front national für den Präsidenten
Noch ist Sarkozy kein Berlusconi. Sein "Staatsinteresse" ist seine Wiederwahl im Jahre 2012. Mit seiner steten Parteinahme für die Opfer - er empfängt medienwirksam oft deren Familien - und seiner Kritik über die vorzeitige Entlassung von Wiederholungstätern sowie dem Versuch, mehr Geschworenengerichte einzurichten, findet er aber wie beabsichtigt breiteren Zuspruch, auch aus dem Spektrum des Front National. Dass dies verbunden ist mit der Gefügigmachung des Justizapparates, mit der Manipulation von Affären (Beispiel Bettencourt, Clearstream oder Karachi) und dem Rufmord an den Richtern zeigt aber auf eine fragwürdige Entwicklung der drei, nunmehr ungleichen Gewalten in Frankreich. Es ist etwas anderes, ob Verbrechen und Prozesse zu medialen Skandalen oder Grossereignissen werden oder ob ein Präsident sie dazu macht und zum eigenen Nutzen, lies Wahlkampf, einsetzt. Genau dies werfen die Richter ihm vor.