Der ESM wurde vor zwei Jahren als Nachfolger der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) aus der Taufe gehoben. Die EFSF erblickte im Jahr 2010 das Licht der Welt, um der Eurokrise nun aber endgültig ein Ende zu bereiten. Das war dann nix, aber mit dem ESM sollten überschuldete Mitglieder der Eurozone durch Notkredite und Bürgschaften vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden. Um damit der Eurokrise nun aber endgültig, usw.
Da liegt Geld rum
Der Eurokrise geht es weiterhin ausgezeichnet, dem ESM allerdings auch. Bislang wurden nur rund 50 Milliarden Euro an Spanien und Zypern ausgeschüttet. Nein, die beiden Staaten waren nicht am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Aber ein paar ihrer Banken. Schwamm drüber, viel wichtiger am ESM ist: Da liegt doch Geld rum. Massenhaft. Potenziell bis zu 500 Milliarden. Dabei gibt es nur ein kleines Problem: Der ESM ist ein Rettungsschirm, um in höchster Not Gefährdungen von der gesamten Eurozone abzuwenden, von der Währung Euro. Er ist keine Giesskanne.
Nun hat die Eurozone einen neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Nach längerem Gezerre und Gemurkse ins Amt gehievt, möchte der nun ein Zeichen setzen. Wie wäre es, wenn man mit Geld aus dem ESM die Konjunktur in Europa anschieben würde? Das ist nicht der mit heiligen Eiden beschworene Zweck des ESM? Ach ja, das wäre aber wohl das erste Mal, dass man sich von solchen Kleinigkeiten aufhalten liesse.
Schliesslich gibt es auch noch die Europäische Investitionsbank (EIB), und die könnte doch mal so 100 Milliarden zum Anfang ausschütten, damit Strassen, Brücken, Bahnhöfe oder ähnlich sinnvolle Dinge gebaut würden. Abgesichert durch Geld aus dem ESM. Zahlvater wäre mal wieder, Überraschung, Deutschland, das die grössten Garantien für den ESM abgegeben hat. Deshalb ist Deutschland auch sehr dagegen. Aber Frankreich, Italien, Spanien und diverse andere Eurokrisenstaaten sind, Überraschung, sehr dafür.
Der Sinn des ESM
Ursprünglich wurde der Rettungsschirm nach dem Modell Notvorrat beschlossen. Mit seinem Stammkapital von 702 Milliarden Euro sollte er ein klares Zeichen gegen Spekulanten setzen, die gegen einzelne Euroländer oder die Währung insgesamt wetten wollten. Der Wesenszweck eines Notvorrats ist allerdings, dass er unnötig und völlig überflüssig dumm rumliegt. Ausser eben, es tritt der Notfall ein, für den er angelegt wurde. Handelt es sich um Nahrungsmittel, kommen sie in einer Hungersnot sehr gelegen. Futtert man sie schon vorher weg, weil sie doch sonst nur ungebraucht einfach da sind, hat man bei einer Nahrungskrise ein echtes Problem.
Ganz abgesehen davon, dass vor allem die Zustimmung des deutschen Parlaments nur mit einer glasklaren Zweckbestimmung des ESM erreicht werden konnte. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Wäre doch toll, wenn Krisenstaaten wie Frankreich oder Italien Füllhörner voll Investitionen ausschütten könnten, ohne damit den offiziellen, sowieso schon viel zu hohen Staatsschuldenstand erhöhen zu müssen. Allerdings gäbe es auch noch kreativere Methoden, um diesen Zweck zu erreichen.
Check ausstellen
Die Europäische Kommission könnte zum Beispiel einen Check über 100, ach was, sagen wir doch 300 Milliarden Euro ausstellen. Damit geht sie zur Europäischen Zentralbank (EZB), hinterlegt ihn dort als Sicherheit und verteilt die frisch herbeigeklickten Euros fröhlich im europäischen Haus. Das würde gleichzeitig das Problem der EZB lösen, womit genau sie eigentlich ihr angekündigtes Aufkaufprogramm für Schrottpapiere wie Asset Backed Securities finanzieren will. «Wir haben da einen Check der Europäischen Kommission, von Juncker höchstpersönlich unterzeichnet, als Sicherheit», könnte sie sagen. Und Juncker weiss, dass er für seine Handlungen als Präsident vollständige Immunität und Haftungsfreiheit geniesst.
Nun ist das Ganze aber dermassen aberwitzig, dass sich selbst der finanztechnische Laie fragt, was das eigentlich soll. Wenn die Eurozone etwas nicht braucht, dann ist es noch mehr Neugeld, ob der Absender die EZB, der ESM oder Juncker persönlich ist. Warum dann das Gehampel? Ganz einfach, denn es gibt allerdings eine Branche, die dringend Geld braucht.
Diesen Monat werden die Ergebnisse des nächsten Stresstests der europäischen Banken bekannt gegeben. Selbstverständlich liegen sie der EZB und wohl auch der Europäischen Kommission bereits vor. Und da es genügend Zombie-Banken gibt, die wie die portugiesische «Banco Espiritu Santo» nicht abgewickelt werden, weil sie angeblich «systemrelevant» sind, brauchen die alle dringend neues Eigenkapital. Nicht zuletzt auch deswegen, um drohende Multimilliardenbussen wegen Manipulationen des Libor, von Devisengeschäften und anderem Handelbaren zu bezahlen. Plus Spätfolgen aus dem fröhlichen Verkauf von Schrottpapieren im Zusammenhang mit der Finanzkrise eins.
Rettet die Banken
Wie der anerkannte Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn (und nicht nur er) nicht müde wird zu wiederholen, soll all dieses Gemurkse dazu dienen, die Banken jener Staaten zu retten, die sich in einem EU-Hilfsprogramm befinden. Denn wenn die EZB und nun vielleicht auch noch der ESM zu den grössten Gläubigern von Banken werden, die die EZB eigentlich kontrollieren sollte, dann herrscht schlichtweg Wahnsinn. Oder ist das, professoraler à la Sinn ausgedrückt, «abenteuerlich».
Letztlich der Steuerzahler, wer denn sonst, übernimmt also Risiken, die sich private Aktiengesellschaften aufgehalst haben. Und da diese Risiken ja nur umgelagert werden und nicht verschwinden, darf er am Schluss bezahlen. Wenn er kann. Dagegen steht nur die ewige Antwort der Eurokraten, seit es die Eurozone gibt: Na und?