Nach der vorläufig letzten Wende im griechischen Schuldendrama soll nun also eine grosse Koalition zwischen der regierenden Pasok und der grössten Oppositionspartei Nea Dimokratia zustande kommen. Um diese Einigung zu ermöglichen, tritt der bisherige Regierungschef Papandreou zurück. Auch dieser Schritt, ob nun ganz freiwillig oder nicht, spricht für seine Bereitschaft, praktische Lösungen voranzubringen, anstatt endlose Machtspiele zu inszenieren.
Die Euro-Gretchenfrage
Was man auch immer von den Leistungen des seit 2009 amtierenden Ministerpräsidenten halten mag – eines kann man ihm nicht absprechen: Er hat in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel in Cannes das eigene Volk und gleichzeitig die EU-Öffentlichkeit als Ganzes mit den wahren Handlungsalternativen im griechischen Schuldendrama konfrontiert. Sie lauten: Ja zum EU-Schuldendiktat und Verbleib in der Euro-Zone, oder aber Nein zum EU-Schuldendiktat, Verzicht auf weitere Milliardenhilfen und Ausstieg aus dem Euro.
Ursprünglich wollte Papandreou zwar das überraschend angekündigte Referendum nur über die von der EU verlangten Sparmassnahmen für weitere Milliardenkredite durchführen. Doch die von der Referendums-Idee zunächst überrumpelten EU-Granden Angela Merkel und Nicolas Sarkozy setzten den griechischen Partner unter Druck, die Abstimmung auf die eigentliche Gretchenfrage zu konzentrieren: Wollt ihr beim Euro bleiben oder nicht?
Gewiss ist es ein Jammer, dass Papandreou dann nach der Rückkehr nach Athen diesen Referendumsplan wieder fallen liess – offenbar vor allem deshalb, weil ihm ein Teil seines eigenen Kabinetts und seiner Partei in den Rücken fiel. Eventuell war dieser Plan vom Regierungschef auch nicht ganz ernst gemeint, sondern mehr ein taktisches Manöver, um Zeit zu gewinnen und seine Gegner unter Druck zu setzen.
Klarheit über die Alternativen
Dennoch bleibt es das Verdienst von Giorgos Papandreou, erstens dem griechischen Volk mit seinem Referendumsprojekt reinen Wein eingeschenkt zu haben: Wer am Euro festhalten will – und das will offenbar die grosse Mehrheit der Griechen, die in den vergangenen Jahren von den Stärken dieser Gemeinschaftswährung gewaltig profitiert hat –, der muss unausweichlich die harten Sparauflagen der EU akzeptieren. Wer diese Bedingungen nicht akzeptiert, kann auch keine neuen Kredite von den EU-Partnern mehr beanspruchen. Griechenland geht bankrott und wird faktisch von der Euro-Zone ausgeschlossen.
Die Griechen würden so gezwungen, endlich eindeutig Farbe zu bekennen, für welchen Weg sie sich entscheiden wollen. Das heisst, wer weiter gegen das Spardiktat der EU und der Troika protestiert, wie das bisher die Gewerkschaften und die oppositionelle Nea Dimokratia getan haben, muss gleichzeitig wissen, dass dieser Kurs unweigerlich das Versiegen neuer Kredite und den Ausschluss (oder den Austritt) aus der Euro-Zone zur Folge hat.
Auch wenn nun das Referendum wieder abgeblasen worden ist, so dürfte vielen Griechen inzwischen diese Wahrheit deutlicher bewusst worden sein. Etwas anderes als diese harte Alternative wird keine griechische Regierung, wer immer diese in den nächsten Wochen und Monaten anführen wird, dem Volk anbieten können. Sie ist die Konsequenz aus der unverantwortlichen Schuldenwirtschaft und den Betrügereien, mit denen der griechische Staat und seine Bürger sich seit Jahren in stiller Komplizenschaft über die Runden gemogelt haben. Papandreou hatte zumindest den Mut, seinen Landsleuten uverblümt die Rechnung für diesen finanziellen Schlamassel zu präsentieren.
Mehr Mitsprache des Volkes wäre eine Stärkung der EU
Dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zuerst ungehalten über Papandreous Referendums-Idee reagierten, kann man insofern nachvollziehen, als der griechische Premier sie bei den Verhandlungen über das jüngste Rettungspaket offenbar mit keiner Silbe über solche Pläne informiert hatte. Trotzdem sollten sie im Grunde für diesen Vorstoss und seine Wirkung dankbar sein.
Denn die Referendums-Idee, die bei den Beratungen in Cannes für rote Köpfe sorgte und die europäische Öffentlichkeit für kurze Zeit elektrisierte, sollte allseits eine Grundtatsache wieder deutlicher ins Bewusstsein gerückt haben: Bei weit reichenden Entscheidungen wie der Ausdehnung des Euro-Rettungsschirms oder dem neuen Hilfspaket für Griechenland müssen in demokratischen Gesellschaften engere Mechanismen zur Konsultation der betroffenen Bürger berücksichtigt werden. In Deutschland ist diese Anforderung durch die vom Bundestag erzwungene Mitsprache des Parlaments im Vorfeld dieser Entscheidungen schon erheblich verbessert worden.
Die Mitsprache des Volkes – durch direkte Referenden oder indirekt durch die gewählten Parlamente – beim Ausbau von europäischen Institutionen und finanziellen Verpflichtungen sollte im gesamten EU-Raum intensiviert werden. Die Folge wäre wohl eine teilweise Verlangsamung der Handlungsfähigkeit, doch dieser Nachteil würde durch die demokratisch verstärkte Legitimität fundamentaler Weichenstellungen bei weitem aufgewogen.
Auswege aus dem Schuldensumpf sind möglich
Nun soll also in Griechenland eine grosse Regierungskoalition das Steuer des schlingernden Staatschiffs übernehmen. Das könnte ein Fortschritt sein, denn jetzt muss die oppositionelle Nea Dimokratia wohl endlich Farbe bekennen, ob sie bereit ist, das Spardiktat der EU mitzutragen – oder aber andernfalls den Austritt aus der Euro-Zone in Kauf zu nehmen. Bisher hatte sich diese Partei unter der Führung von Antonis Samaras nur darauf beschränkt, sämtliche Sparübungen destruktiv zu bekämpfen.
Die Aufnahme des wirtschaftlich schwachen und finanziell unsoliden Griechenlands in die Gemeinschaft der Euro-Währung war wohl ein grosser Fehler, wie inzwischen selbst der dezidierte Euro-Befürworter Helmut Schmidt einräumt. Aber nach dem Ausbruch der Krise sind ja immer alle klüger. In den Jahren, als der Euro stabil war und die Euro-Zone leidlich florierte, hatten sich die meisten heutigen Kritiker eher still verhalten.
Doch wer meint, für Griechenland sei eine Rettung aus dem Schuldensumpf im EU-Rahmen absolut illusorisch, sollte zumindest einen Blick auf das Beispiel Irland werfen, das sich nach dem Beinahe-Kollaps vor drei Jahren inzwischen wieder erheblich stabilisiert hat. Auch die baltischen Staaten Estland und Litauen sowie das kleine Island (das allerdings der EU noch nicht angehört) zeigen, dass Auswege aus tiefen Schuldenlöchern möglich sind. Voraussetzung ist allerdings, die harten Konsequenzen einer echten Sanierung auf sich zu nehmen und nicht in der Rolle des wehrlosen Opferlammes zu verharren.