Vor einem Jahr, am 13. März, stieg weisser Rauch aus der Sixtinischen Kapelle. Aus Bergoglio wurde Franziskus. Knapp ein Jahr später, am 22. Februar, wurde Matteo Renzi, dieser Speedy Gonzales, italienischer Regierungschef. Beide haben etwas gemeinsam: Sie stehen einem schwer kranken Gebilde vor. Und beide schüren Hoffnung und verbreiten Aufbruchstimmung. Der eine will Italien reformieren, der andere die katholische Kirche. Beide haben grosse, fast himmelstürmende Erwartungen geweckt.
Sowohl Renzi als auch Franziskus pflegen einen neuen Stil: Der eine spricht im ehrwürdigen Senat mit den Händen in den Hosentaschen, der andere fährt mit einem dreissigjährigen Renault 4 über den Petersplatz. Symbolik sind das eine, Taten das andere.
Ob Renzi die versprochenen Reformen durchsetzen kann, ist mehr als fraglich. Und der Papst? Der Stil ist neu, vielversprechend. Doch konkret ist in seinem ersten Amtsjahr wenig geschehen. Die grotesk konservativen Eminenzen, diese weltentrückten Hardliner, verbreiten noch immer ihr abstruses Welt- und Gesellschaftsbild. Die Grossinquisitoren sind noch immer da. Die Huonders auch. Natürlich kann man einen Koloss wie die katholische Kirche nicht von einem Tag auf den andern ändern. Dennoch: hätte man in diesem ersten Franziskus-Jahr nicht etwas mehr erwarten dürfen? Der Papst hätte die Macht dazu. Doch die Widerstände sind enorm, sowohl auf der einen als auch auf der andern Seite des Tibers. Das katholische Kirchenvolk wartet, Italien wartet. Die Ungeduld wächst. Werden der italienische Matteo und der argentinische Franz einst das gleiche Schicksal teilen: neuer Stil, grosse Worte, geschürte Hoffnungen – und das war’s dann? Oder werden wir doch noch überrascht? Zumindest Päpste sind ja für Wunder zuständig.