Die Verärgerung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war unüberhörbar: Einmal mehr habe der Internationale Strafgerichtshof (ICC) im Haag bewiesen, dass er eine politische und keine juristische Einrichtung sei. Bei wirklichen Kriegsverbrechen schaue er weg und verfolge statt dessen Israel – „einen Staat mit starker demokratischer Regierung, der die Herrschaft des Rechts heiligt“. Und Netanjahu ging noch weiter: Wenn der ICC tatsächlich Israel wegen Kriegsverbrechen untersuchen sollte, dann ziele er damit auf „den einzigen Staat des jüdischen Volkes“ und dies sei „reiner Antisemitismus“.
Solch schweres Geschütz positionierte Netanjahu nur Stunden, nachdem der ICC beschlossen hatte, dass es juristisch zulässig sei, mögliche Kriegsverbrechen Israels gegenüber den Palästinensern und der palästinensisch-islamistischen „Hamas“ (und „anderer bewaffneter Palästinensergruppen“) gegenüber Israel zu untersuchen. Ein dreiköpfiges ICC-Gremium war mit einer 2:1-Mehrheit zu diesem Schluss gekommen, nachdem eine solche Abstimmung bereits vor über einem Jahr angekündigt worden war.
US-Sanktionen gegen ICC-Anklägerin Fatou Bensouda
Den Antrag dazu hatte die palästinensische Verwaltung in Ramallah unter Präsident Mahmoud Abbas bereits früher gestellt, allerdings hatte das in Israel wenig Aufsehen erregt: Süffisant verwies man darauf, der „Staat Palästina“ – wie die nach dem Oslo-Abkommen von 1993 entstandene Verwaltung heisst – sei zwar bereits 2015 dem Römischen Statut beigetreten (der rechtlichen Grundlage des ICC), völkerrechtlich sei dies jedoch kein wirklicher Staat: Einmal kontrolliere er nicht das von ihm beanspruchte Territorium und zum zweiten habe man in Oslo vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt über einen solchen Staat zu verhandeln. Ausserdem untersuche der ICC ja gar nicht das Verhalten von Staaten, sondern nur von Einzelpersonen. Im „Ernstfall“ müssten verurteilte Täter mit internationaler Fahndung rechnen. Und dem Staat Israel könne im Grunde nichts passieren, zumal Israel gar nicht dem ICC-Statut beigetreten ist.
Wie übrigens auch die USA, die bereits wiederholt in eine ähnliche Situation geraten waren wie jetzt Israel – wegen Kriegsverbrechen in diversen Ländern, in denen amerikanisches Militär im Einsatz war. Aus dem State Department war zu hören, dass die USA die Verfolgung amerikanischer Täter letztes Jahr erwidert haben mit der Verhängung von Sanktionen gegen ICC-Offizielle. Unter ihnen Anklägerin Fatou Bensouda, die jetzt auch am Beschluss zu Israel und Palästinensern beteiligt war: Ihr verweigerte die Trump-Verwaltung die Einreise in die USA.
Verstoss gegen internationales Recht
Bensouda hat über längere Zeit das Verhalten der Parteien intensiv untersucht und sie dürfte wohl auch Anklägerin in einem nun möglichen Verfahren werden. Allerdings ist sie offiziell nur noch bis Juni im Amt und es ist unklar, ob und wie sich das miteinander vereinbaren lässt.
Dabei könnte der Beschluss im ICC wegen der zu behandelnden Fragen und Themen eine Büchse der Pandora öffnen: Hauptanlass für den Antrag der Palästinensischen Verwaltung war offenbar der massive Krieg, den Israel im Jahr 2014 im Gazastreifen führte. Offiziell „nur“ gegen „Hamas“ und andere militante Gruppen, in Wirklichkeit aber mit massiven Bombardements auf zivile Wohngegenden und Hunderten ziviler Opfer. Vier Jahre später beschoss israelisches Militär Palästinenser, die auf ihrer Seite des Grenzzauns zum Gazastreifen demonstrierten. In tagelangen Auseinandersetzungen dieser Art wurden über 200 Palästinenser getötet, unter ihnen mehr als 40 Kinder. Andere Fälle gab – und gibt es immer wieder – auch im Westjordanland. Mit weniger Opfern, aber trotzdem ein Verstoss gegen internationales Recht.
Thema: Israelische Siedlungspolitik
Von Seiten der „Hamas“ und anderer radikaler Gruppen im Gazastreifen dürfte der immer wieder durchgeführte Beschuss israelischer Dörfer und Städte zur Untersuchung anstehen, wie auch die Entführung, Folterung und auch Ermordung israelischer Soldaten.
Ein weiteres folgenschweres Thema dürfte die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland sein. Selbst wenn man absieht von Gängelung und Vertreibung der dortigen palästinensischen Bevölkerung: Die Umsiedlung von Einwohnern besetzter Gebiete und die Ansiedlung eigener Bürger in besetzten Gebieten sind Verstösse gegen internationales Recht (z. B. die Genfer Konvention).
International längst bekannt, wurde seit den Eroberungen des Sechstagekrieges in den besetzten Gebieten zwar von Israel heftig gesiedelt und wurden auch Teile dieser Gebiete annektiert. Dagegen unternommen hat niemand etwas. Im Gegenteil: Trump hatte Netanjahu zugesichert, dass er 40 Prozent des Westjordanlandes annektieren könne.